Es gab und gibt viele Ideen, Annahmen und Hypothesen, warum wir (soviel) schlafen (müssen), immerhin verschläft der Mensch rund ein Drittel seines Lebens. Im Vergleich zu anderen essentiellen Tätigkeiten wie Essen oder Atmen, deren Nutzen und Funktionsweise man gut versteht, ist der Schlaf, der nicht minder notwendig ist, rätselhaft geblieben.
Bis jetzt? Die neue Hypothese der Gruppe um M. Nedergaard aus New York lautet, daß das Hirn während des Schlafs den „Hausputz“ erledigt, sich also selbst reinigt. Und im Gegensatz zu diesen derzeit angesagten aber unsinnigen wenn nicht esoterischen Entschlackungs- bzw. „Detox“-Kuren (es gibt im Körper keine „Schlacken“ und zur Entgiftung reichen gesunde Leber und Nieren völlig aus), ist das sogar sinnvoll, denn während des normalen Betriebs des Hirns entstehen Stoffwechselendprodukte, die, wenn sie sich ansammeln, toxisch wirken können und daher abtransportiert werden müssen. Die Vermutung, daß Schlaf irgendwie der Erholung oder Reinigung dient, ist nicht neu aber in ihrer in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Studie legen Xie et al. dafür nun erstmalig direkte, experimentale Belege auf molekularer Ebene vor.
Die Studie basiert auf einer Entdeckung aus dem letzten Jahr: die Gruppe um Nedergaard hatte erstmalig ein Netzwerk mikroskopisch kleiner, flüssigkeitsgefüllter Kanäle im Hirn beschrieben, die, ähnlich wie das Lymphsystem (das allerdings nicht ins Hirn reicht), Toxine und Abfallstoffe abtransportieren können. Diese Kanäle, die die Gruppe „glymphatisches System“ getauft hat, enthalten jedoch keine Lymphe sondern abfallstoffbeladene Cerebrospinalflüssigkeit (CSF) und bevor sie entdeckt wurden, dachte man, das Hirn könne Abfallstoffe nicht abführen, sondern müsse sie chemisch aufspalten und dann die Einzelbestandteile recyclen.
Der CSF-Strom im Netzwerk wird, wie Nedergaard et al. beschreiben, durch Kanäle in den Zellmembranen von Gliazellen (= Hirnzellen, die aber keine Nervenzellen sind) kontrolliert. Der Flüssigkeitstransport durch Zellmembranen hindurch verbraucht jedoch sehr viel Energie und Nedergaard vermutete, daß das Hirn damit überfordert ist, gleichzeitig sensorische Information zu verarbeiten (was es im Wachzustand ständig tun muß) und den für eine Abfallentsorgung nötigen Flüssigkeitsstrom aufrecht zu erhalten. Um diese Vermutung zu überprüfen, entwarfen Nedergaard und ihre Gruppe ein Experiment, das die Veränderung der Aktivität des glymphatischen Systems während des Schlafes messen sollte. Dafür brachten sie Mäusen bei, sich trotz der stressigen Situation unter einem Zwei-Photonen-Mikroskop (2PLM) liegen zu müssen (damit kann man den Strom angefärbter Flüssigkeiten durch lebendes Gewebe verfolgen) zu entspannen und einzuschlafen.
Den trainierten Mäusen wurde dann über den Nacken eine Art Katheter angelegt, durch den sich Farbstoffe in die CSF einleiten lassen. Sobald die Mäuse auf dem Mikroskop eingeschlafen waren (das wurde durch eine EEG-Ableitung kontrolliert), wurde ein grüner Farbstoff injiziert und nach einer halben Stunde weckte man sie wieder auf und injizierte sofort einen roten Farbstoff, den das 2PLM gut vom grünen Farbstoff unterscheiden kann (s. Abbildung).
In einem weiteren Experiment injizierte man schlafenden und wachen Mäusen markierte Beta-Amyloid-Proteine (deren krankhafte Ansammlung mit Morbus Alzheimer in Verbindung gebracht wird) und fand heraus, daß im Schlaf die CSF diese „Verunreinigungen“ doppelt so schnell wegspülen konnte, wie im Wachzustand.
Interessanterweise sind viele neurologische Erkrankungen wie Alzheimer, Apoplex und Demenz mit Schlafstörungen assoziiert (siehe auch [2] und [3]). Die Studie von Nedergaard liefert dafür nun eine mögliche Erklärung, indem durch Schlafmangel ein unzureichender Abtransport von Abfall- und Giftstoffen bedingt wird, deren Ansammlung letztlich zu einer Schädigung des Hirns führt. Wenn sich diese Befunde bestätigen und so oder ähnlich auch beim Menschen zutreffen, ist eine sensationelle Entdeckung gelungen und die Grundlage für viele neue Diskussionen über Wert und Notwendigkeit von Schlaf dürfte gelegt sein.
Unklar ist bisher auch noch, ob auch das Schlafbedürfnis aktiv durch die Notwendigkeit des Abfallstoffabstransportes reguliert wird, ob man also von angesammelten Abfallstoffen im Hirn tatsächlich müde wird und auch zur Entstehung, Form und Funktion der Transportkanäle sowie zur Frage, ob und wie die nächtliche Hirnsäuberung in allen Spezies auftritt bleibt noch viel zu forschen. Als unstrittig kann wohl lediglich weiterhin gelten, daß Schlaf mehrere sehr wichtige Funktionen erfüllt und man ausreichend davon bekommen sollte.
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Literatur:
[1] Xie L, Kang H, Xu Q, Chen MJ, Liao Y, Thiyagarajan M, O’Donnell J, Christensen DJ, Nicholson C, Iliff JJ, Takano T, Deane R, & Nedergaard M (2013). Sleep drives metabolite clearance from the adult brain. Science (New York, N.Y.), 342 (6156), 373-7 PMID: 24136970
[2] Orfeu M. Buxton, Sean W. Cain, Shawn P. O’Connor, James H. Porter, Jeanne F. Duffy, Wei Wang, Charles A. Czeisler, and Steven A. Shea. Adverse Metabolic Consequences in Humans of Prolonged Sleep Restriction Combined with Circadian Disruption. Sci Transl Med 11 April 2012: 129ra43.
[3] Daniel A. Cohen, Wei Wang, James K. Wyatt, Richard E. Kronauer, Derk-Jan Dijk, Charles A. Czeisler, and Elizabeth B. Klerman. Uncovering Residual Effects of Chronic Sleep Loss on Human Performance. Sci Transl Med 13 January 2010: 14ra3.
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