Menschenhandel ist Schätzungen zufolge zu einer 32 Milliarden Dollar umsetzenden Verbrechensindustrie geworden und jedes Jahr werden Hunderttausende Kinder in eine moderne Form der Sklaverei verkauft, häufig zu Zwecken sexueller Ausbeutung. Sehr oft sind diese Kinder noch zu jung, um ihre Identität oder ihre Herkunft feststellen zu können, das heißt, selbst wenn solche verschleppten Kinder gefunden oder gerettet werden, ist es sehr schwierig, ihre Eltern ausfindig zu machen, um sie ihnen zurückzubringen. Hier kann die Forensische Genetik helfen.
Im Jahr 2004 gründete José Lorente von der Universität Granada die Organisation „Program for Kids Identification with DNA-Systems“ (kurz: DNA-PROKIDS) um Menschen- und speziell Kinderhandel zu bekämpfen. Das Programm stellt Materialien zur Sammlung von DNA-Proben von Kindern zur Verfügung, sog. „Kits“ (z.B. sterile Bakterietten zum Abrieb von Mundschleimhautproben), bei denen der Verdacht besteht, daß sie Opfer von Menschenhandel geworden sein könnten. In bisher 12 teilnehmenden Ländern schult es außerdem entsprechende Amtspersonen in Entnahmetechnik und Lagerungsbedingungen. Gesammelte Proben werden von forensischen Genetikern an Partnerinstituten wie der Universität von Nord-Texas untersucht und daraus ein DNA-Profil erstellt (wer sich für Methodik und Details des DNA-Profilings interessiert, kann diese in meiner Reihe zur Forensischen Genetik nachlesen). DNA-PROKIDS sammelt dann die so gewonnenen DNA-Profile und hat bis heute über 10.000 solcher Profile katalogisiert, über 700 verschleppte Kinder und junge Frauen identifiziert und mehr als 220 illegale Adoptionen verhindern können.
In den letzten Jahren haben sich die Möglichkeiten von DNA-PROKIDS dank Fortschritten der forensischen Genetik deutlich erweitert. So können inzwischen größere Probenmengen mit geringerem Kostenaufwand und in weniger Zeit sowie zusätzlich zu den autosomalen STR-Systemen auch X- und Y-chromosomale Merkmale aber auch die mitochondriale DNA analysiert werden, wodurch auch komplexere und/oder weiter reichende Abstammungslinien nachvollzogen werden können. An dieser Stelle ist lobend die Unterstützung durch die Firma Life Technologies hervorzuheben, welche DNA-PROKIDS mit ihrem aktuell besten STR-Kit, dem „Global Filer“ ausstattet, das nicht nur u.a. 21 STR-Systeme darstellen kann, sondern auch noch sehr leicht und schnell handzuhaben und bei geeigneten Proben sogar ohne vorherige DNA-Extraktion anzuwenden ist (für jeden Follower auf Twitter spendet die Firma übrigens 20$ an DNA-PROKIDS).
In naher Zukunft soll das Programm auch SNPs zur Identifikation einsetzen, wodurch sich die Informationen durch STR-Systeme sinnvoll ergänzen und auch entferntere Abstammungsverhältnisse (z.B. zu Onkel und Tanten) besser untersuchen lassen. Durch die Einbeziehung zusätzlicher regionspezifischer SNPs (das sind SNPs, die in den Populationen verschiedener Erdregionen spezifische Verteilungsmuster aufweisen) ließe sich zudem die ungefähre Herkunft eines Kindes und damit häufig auch seiner Entführer ermitteln.
Eine weitere Neuerung, die auch auf der Tagung in Melbourne besprochen wurde, ist das „Rapid DNA Profiling“, ein Verfahren, das durch starke Miniaturisierung und Automatisierung von STR-Analyseschritten die Erstellung eines DNA-Profils in ca. 2 Stunden ermöglicht (was sonst 1-2 Tage dauern kann). Die benötigten Geräte sind noch sehr teuer und aufwendig, aber man könnte sie z.B. an Grenzübergängen installieren, um so im Verdachtsfall in einer (für Unschuldige) vertretbaren Wartezeit ermitteln zu können, ob ein von Verdächtigen behauptetes Abstammungsverhältnis bestätigt werden kann, oder ob tatsächlich Menschenhandel versucht wurde.
Im (langsamen) Einzug von NGS in die Forensische Genetik sehe ich überdies sehr interessante weitere Möglichkeiten für die Arbeit von DNA-PROKIDS. Mit NGS können alle oben genannten Informationen (STRs, SNPs usw.) und noch mehr in einem Arbeitsgang und kurzer Zeit gewonnen werden und Zeit ist im Falle geraubter Kinder und verzweifelter Eltern ein sehr knappes Gut.
Schließlich wird auch an der Weiterentwicklung einer leistungsfähigen Software, M-FISys, die ursprünglich zur Identifikation der Opfer von 9/11 entwickelt worden war, gearbeitet, die Datenbank- mit Analysemethoden verbindet, so daß schnell und sicher neue Profile von aufgefundenen Kindern mit Tausenden bereits in der Datenbank befindlichen DNA-Profilen abgeglichen werden und ggf. so zuvor noch gar nicht vermutete Abstammungsverhältnisse (z.B. Geschwisterschaften zu anderen aber an andere Orte verschleppte Kinder) entdeckt werden können.
Die Implementierung einer solchen Software ist leider sehr kompliziert, da sie für jedes teilnehmende Land an die in diesem Land geltenden Gesetze und Datenschutzrichtlinien angepasst, dabei aber eine grenz- bzw. datenbanküberschreitende Funktionalität beibehalten werden muß. In der Tat bestehen die größten Herausforderungen für DNA-PROKIDS nicht in etwaigen technischen Einschränkungen oder Grenzen der DNA-Analyse, sondern in der Schwierigkeit, bei der internationalen Umsetzung des Programms den sehr verschiedenen Erfordernissen der Rechtssysteme der beteiligten Länder, aber auch Ansprüchen an Datenschutz sowie regionalen Gepflogenheiten gerecht zu werden.
Ein Beispiel für solche Schwierigekeiten ist Haiti, wohin DNA-PROKIDS nach dem verheerenden Beben von 2010 Tausende Entnahme-Kits gesendet hatte, um bei der Identifizierung von Kindern zu helfen, die in der Folgezeit nach dem Beben entführt worden waren. Es konnten zwar 13 Kinder identifiziert werden, aber es wurden nur sehr wenig Proben gesammelt und an DNA-PROKIDS zurückgeschickt, so daß nur wenig gegen den Menschenhandel nach dem Beben unternommen werden konnte.
Trotz solcher Rückschläge und der großen bestehenden Herausforderungen strebt das Programm eine stetige Erweiterung seiner Datenbanken, weitere Verbreitung und Einbeziehung von noch mehr Ländern, in denen der Menschenhandel floriert, an. So kann noch mehr Menschen geholfen werden, wo Hilfe keinen Aufschub duldet.
DNA-PROKIDS ist dafür größtmöglicher Erfolg zu wünschen, denn eine Familie, der gestern oder vorgestern ein Kind gestohlen wurde, kann man nicht um Geduld bitten.
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