Eine erste Veränderung trat nach der Verhaftung von Ed Gein, 1957, ein, die landesweit große Beachtung fand. Gein war ein nekrophiler Grabräuber und Kannibale gewesen und seine Taten, die in der öffentlichen Wahrnehmung häufig mit Psychopathie identifiziert wurden, beeinflussten die Darstellung von Psychopathen in Filmen, indem sie ab diesem Zeitpunkt vornehmlich im Genre des Horrorfilms vorkam.
Das Auftreten mehrerer wirklicher Psychopathen und Serienmörder in den 60er und 70er Jahren und die begleitende Berichterstattung und mediale Repräsentation führte dann zu einer informierteren Wahrnehmung klinisch-psychopathischen Verhaltens, das in ritualhaftem Mord gipfelt und das Kino griff dieses Motiv und die weithin mißverstandenen Verhaltensweisen der Täter auf und verarbeitete sie sensationalistisch, indem das Unter-Genre des „Slasher-Films“ geschaffen wurde. In diesen Filmen gibt es typischerweise einen Schurken mit „Signatur“, der also mit gleicher Methode, gleicher Waffe und häufig in einer wiedererkennbaren Maske reihenweise Heranwachsende brutal dahinschlachtete. Dieses Unter-Genre sollte für Jahrzehnte bestimmend für das cineastische Psychopathen-Modell sein und brachte sehr bekannte „Marken“ wie die Filmreihen „Halloween“, „Freitag der 13.“, „Ich weiß, was Du letzten Sommer getan hast“ und dgl. hervor (die Figuren dieser Filme waren aber zu unrealistisch, als daß sie die o.g. Selektion überstanden hätten und man findet sie daher auch nicht in der Tabelle).
Eine weitere Veränderung in der Darstellung von Psychopathen stellten die Autoren nach dem Bekanntwerden der Taten neuerlicher echter Psychopathen wie John Gacey, Ted Bundy und Jeffrey Dahmer fest, denen auch die Gründung des ViCAP zuzuschreiben ist, eines Programms, das dem besseren Verständis von Gewaltverbrechen dienen sollte. Das Interesse der Filmschaffenden an einer realistischeren Darstellung von Psychopathen stieg an und es finden sich zunehmend Figuren, die als „Elite-Psychopath“ bezeichnet werden könnten und Hannibal Lecter ist eines der bekanntesten Beispiele für einen dieser unrealistischen aber sensationellen Psychopathen mit übertriebener, fast unmenschlich hoher Intelligenz und Scharfsinn sowie überaus feinen Manieren (auch er fehlt in der Tabelle).
Erst seit den frühen 2000er Jahren hat sich die Beschreibung und Darstellung von Psychopathen der Realität mehr angenähert. Die Figuren wurden menschlicher und mit echten Schwächen gezeichnet. Als besonders gutes Beispiel nennen die Autoren Anton Chigurh, den Killer aus „No Country for old men“. Chigurh ist ein gut entworfener prototypisch/idiopathischer bzw. primärer Psychopath. Er ist unfähig zu Liebe und Einfühlung, empfindet weder Scham noch Bedauern und er lernt nicht aus gewonnener Erfahrung. Er ist kaltblütig, skrupellos, handelt ohne Empathie dafür mit extremer Zielstrebigkeit und scheint völlig unempfänglich für jede Form von Emotion oder menschlicher Regung. Für Chigurhs Verhalten sei eine zwar extreme aber durchaus realistische Beschreibung die einer „anti-menschlichen Persönlichkeitsstörung“.
Schlussbemerkung
Obwohl wir Psychopathen sehr genau beschreiben können, sind wir doch nicht in der Lage, sie zu verstehen [6]. Ein besonderer Wert der Literatur, zu der auch der Film zu rechnen sei, liege deshalb auch in der Möglichkeit zu stellvertretender Erfahrung, das (Mit)erleben von Personen und Situationen, die uns in unserem alltäglichen Leben (oft zum Glück) nicht begegnen. In Rückschau auf frühere Kinozeiten stellen die Autoren allerdings fest, daß viele Charaktere aus bekannten Filmen, die so geschaffen wurden, daß sie zur damaligen Auffassung eines Psychopathen passten, nach heutigem Verständnis und heutigen Kriterien ganz anders zu bewerten wären. Dennoch entspreche die Mehrzahl auch der heute portraitierten Kino-Psychopathen eher dem unrealistischen Hollywood-Archetypen des „Super-Schurken“ wohingegen realistisch dargestellte Psychopathie zwar vorkomme, aber deutlich seltener sei. Doch gerade diese realistisch dargestellten Psychopathen können, so die Autoren, von pädagogischem Wert sein und sogar in die Lehre und Ausbildung von Psychiatern und Psychologen einbezogen werden, da durch sie verschiedene Aspekte der forensischen Psychiatrie illustriert würden, wie Persönlichkeitsstörungen und Paraphilien aber auch Einblicke in die Rechtsauffassung zu Psychopathie, das Strafrechtsprozedere und die Bedeutung von Sachverständigen bei der Bewertung psychopathischen Verhaltens.
Eine weitere interessante Entsprechung zur Realität sei übrigens, daß weibliche Filmpsychopathen selten und nicht gut untersucht sind und daß sie, wenn sie überhaupt vorkommen, sehr häufig als Pläne schmiedende Manipulatorinnen aufträten, die sich vor allem „sexueller Waffen“ bedienten.
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Literatur
[1] Leistedt SJ, & Linkowski P (2014). Psychopathy and the cinema: fact or fiction? Journal of forensic sciences, 59 (1), 167-74 PMID: 24329037
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