Dabei handelt es sich um die fehlerhafte Annahme, daß etwas nur dann „gut“ oder zu befürworten sei, wenn es „natürlich“ ist. Dieses Scheinargument hat die Form:
- Prämisse: was nicht natürlich ist, ist schlecht.
- Prämisse: x ist nicht natürlich.
- Schluß: x ist schlecht.
Die Richtigkeit beider Prämissen wird einfach vorausgesetzt. Dabei sind sie höchst fragwürdig: wodurch wurde denn bewiesen, daß etwas, das „unnatürlich“ ist, auch schlecht ist? Und anhand welcher Kriterien wird überhaupt entschieden, daß etwas, z.B. „x“ nicht natürlich ist?
Sind denn, Herr Matussek und Bruder Spindler, Ihre Sehhilfen „natürlich“, oder, Frau Lewitscharoff, Ihr ziemlich unnatürlich aussehendes Makeup? Was also ist in Ihren Augen natürlich und was unnatürlich? Warum ist Homosexualität widernatürlich aber der Zölibat nicht? Warum ist künstliche Befruchtung widernatürlich aber die jahrelange Lebensfunktionserhaltung eines hirntoten Menschen nicht? Oder Sprache: es gibt zwar Homosexualität im Tierreich (und zwar keineswegs nur bei Pantoffeltierchen und anderen nahen Verwandten eines in geradezu obszönem Maße bornierten Herrn Matussek) aber Sprache kennt nur der Mensch. Ist das nicht total unnatürlich? Ich behaupte, daß so ziemlich kein Mensch in einer modernen Industrienation ohne „künstliche“ „Machinationen“ überleben würde. Und wenn man den Menschen als Teil der Natur also als natürlich betrachtet, so sind auch seine Verhaltensweisen, seine Hervorbringungen und Konstrukte natürlich, deren Grundbausteine und Materialien er ja ebenfalls der Natur entnommen hat.
Aber klar, in Wirklichkeit geht es natürlich überhaupt nicht um Natürlichkeit. Dieser Begriff ist nur eine populistische Schamkapsel und ein diskursives Instrument, mit dem sich Mitläufer besser rekrutieren lassen, als mit den alten Hetzparolen (man ist ja nicht gegen Schwule, man ist ja bloß für die Natur). Es geht, wie so oft, um gut und böse, „us and them“ und, noch banaler, um gewohnt und ungewohnt. „Gut“, „natürlich“ oder „normal“ ist in den Augen dieser Leute nur das, was sie persönlich vor ihrem Hintergrund eines religiös geprägten, feisten Wohlstandslebens in Westeuropa zufällig dafür halten und was sich mit einigen reaktionären Sentenzen aus ihren erbärmlichen ‘heiligen Schriften’ übereinbringen läßt (übrigens keineswegs mit allen; soweit mir bekannt, hat ein gewisser J. von N. bei seiner Catchphrase “Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst” die Homosexuellen nicht ausgenommen und ebensowenig lautete der Satz nach “Gehet hin und mehret Euch”: “aber ohne Inanspruchnahme moderner Reproduktionsmedizin”).
Und während sie sich in einem Land, das die Freiheit ihrer Meinung, welche es sich ironischerweise gegen den fauchenden Widerstand ihrer eigenen Kirche hat erkämpfen müssen, schützt, mit ihrem inflammatorischen, menschenverachtenden Geschwätz als Rebellen, Unverbogene, “Schlechtmenschen” (ist das das Gegenteil von Gutmensch?) oder Endlich-sagt-es-mal-Jemande gefallen und sich von sich für Intellektuelle haltenden Gesinnungsgenossen dafür hochleben lassen, kann ich nur hoffen, daß sich eine Mehrheit, daß sich die, die nicht, auch nicht im Geiste, geklatscht haben, voller Abscheu von ihnen, ihrer Religion des Hasses und ihren Werken abwenden und in ihnen nur noch das sehen, zu dem man niemals werden darf.
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