Nutzlose Monographien, fragliche Standards, mangelhafte Forschung
Während für die in Deutschland verwendeten „Standard-Teedrogen“ hochwertige, sorgfältig ausgearbeitete Monographien im Arzneibuch zur Verfügung stehen, sieht es mit den TCM-Monographien eher dürftig aus. Diese sind unzureichend ausgearbeitet und informationsarm, zudem ist die im Chinesischen Arzneibuch vorgeschriebene sensorische Prüfung für mitteleuropäische Standards völlig ungeeignet: hier müssen Geschmacksrichtung und Temperaturverhalten geprüft werden, und das könne ja wohl nur ein erfahrener TCM-Apotheker gewährleisten. Er muss mittels der organoleptischen Methode herausfinden, ob genug Qi in der Droge vorliegt. Das sind natürlich keine harten Prüfkriterien. Ebenso fehlen deutschen Apotheken für die Prüfung solcher Inhaltsstoffe oft die Referenzsubstanzen. Hier müssen zunächst neue Richtlinien und Standards geschaffen werden. Die uneinheitliche Nomenklatur stellt ein weiteres Problem dar, ist man sich ja nicht einmal in China einig, welche Pflanze(nteile) nun wie benannt wird (werden).
Außerdem sind Interaktionen mit „normalen“ Arzneimitteln und dem Leberenzymstoffwechsel kaum erforscht – dies kann ein großes Problem in Bezug auf Wechselwirkungen darstellen. Insbesondere Patienten mit ausgeprägter Niereninsuffizienz können hiervon betroffen sein.
Verunreinigungen und Qualitätsprobleme
Große Defizite hat das Chinesische Arzneibuch im Bereich der Reinheitsprüfungen aufzuweisen. So werden für die in deutsche Apotheken gelieferten Drogen zwar Prüfzertifikate ausgestellt, diese erweisen sich jedoch oft als wertlos. Entweder fehlen wichtige Prüfungen oder es wurden Grenzwerte im Bereich der Schwermetalle, Pestizide, Mykotoxine und mikrobiellen Verunreinigungen zum Teil deutlich überschritten. Dies macht eine weitere, intensive Prüfung in der Apotheke unabdingbar. Auch bei der Vorverarbeitung muss aufgepasst werden: sie soll gewährleisten, dass toxische Inhaltsstoffe harmlos gemacht werden. Doch hin und wieder geschieht auch dies nur unzureichend. Die Chinesische Regierung hat die Umsetzung der GMP (Good Manufacturing Practice) und der GACP (Guidelines for Good Agricultural Practice) gefordert und verspricht sich davon mittelfristig eine Verbesserung. Hier gilt also für deutsche Apotheken größte Sorgfaltspflicht.
Wirkungslosigkeit und fehlender Fortschritt
Doch das größte Problem auf diesem Gebiet ist natürlich der esoterische Charakter der fernöstlichen Heilslehre. Es gibt keine Belege für die Wirksamkeit dieser Art von Medizin, die aber auch für sich in Anspruch nimmt, aufgrund ihres individualisierten Charakters nicht in klinischen Studien untersuchbar zu sein. Doch der pharmakologische Nutzen von Gips und gelatiniertem Hirschhorn sowie Dekokten aus nicht-wasserlöslichen Verbindungen darf mit Recht angezweifelt werden, erst recht das dem zugrunde liegende Gedankenkonstrukt, das mit einer höchst unwissenschaftlichen Vorstellung der Beschaffenheit und Funktionsweise des Körpers aufwartet. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für die Existenz eines Qi, eines Yin oder Yang oder der Meridiane, geschweige denn anatomische Korrelate. Diese Ideen widersprechen den uns bekannten naturwissenschaftlichen Konzepten und würden die Vergabe mehrerer Nobelpreise nötig machen, könnte man deren Richtigkeit beweisen. Es gibt keine belastbaren Daten aus qualitativ hochwertigen Studien, die eine Erhabenheit der TCM über die gängige Phytomedizin belegen. Auch ist eine Methode, die sich damit rühmt, seit mehreren tausend Jahren unverändert und nach den selben Prinzipien zu agieren, fortschrittsfeindlich und steht im deutlichen Widerspruch zu dem, was wir im Westen unter evidenzbasierter Medizin verstehen.
Perspektiven der TCM
Was also tun? Es ist nicht zu leugnen, dass die chinesische Kräuter- und Exkrementmedizin im Westen auf dem Vormarsch ist. Es müssen also Wege gefunden werden, damit umzugehen. Zunächst kann man seine Drogenkunde-Erkenntnisse anwenden und herausfinden, was denn überhaupt eine Wirksamkeit entfalten kann. Dass es in der Phytomedizin potente Arzneistoffe gibt, weiß jeder, der diese Inhaltsstoffe schon einmal hat auswendig lernen müssen. Es finden sich faszinierende und hilfreiche Pflanzenstoffe, die bei minderschweren Erkrankungen sehr gut eingesetzt werden können. Die gibt es auch in der TCM, einige Pflanzen, die dort Verwendung finden, sind auch in mitteleuropäischen Gefilden heimisch und schon lange in der Anwendung. Dazu müssen sie nicht einmal nach einem esoterischen Konzept aufbereitet werden.
Chinesische Medizin evidenzbasiert betreiben
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Wirkung von TCM-Rezepturen auf wissenschaftliche Weise zu untersuchen. Ein kluges Studiendesign stellt sicher, dass auch eine noch so individualisierte Medizin in großen, qualitativ hochwertigen Studien untersucht werden kann, wenn man die Parameter entsprechend gestaltet. Diese Ausrede darf man nicht länger gelten lassen. Auch Fall-Kontroll-Studien sind ein Feld, über das nachgedacht werden muss. Und in jedem Fall sollte man abwägen, ob man Theorien, welche die Grenzen der gängigen physikalisch-chemischen bzw. physiologischen Ansichten sprengen und diese Felder in Schutt und Asche legen würden, wirklich bis ins Detail erforschen muss. Interessant ist also nicht, ob gekochter Eichhörnchenkot oder Venusmuschelschalen die Leber-Winde beflügeln oder das Herz-Qi beruhigen, sondern ob es in fernöstlichen Kräutern neue, nutzbare Wirkstoffe gibt, welche die Phytotherapie, aber auch die konventionelle Pharmazie bereichern könnten.
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