Ich wurde von der GBM eingeladen, ihrer diesjährigen Verleihung der Otto-Warburg-Medaille im Rahmen des 65. Mosbacher Kolloquiums beizuwohnen und bei dieser Gelegenheit ein Interview mit Rudolf Jaenisch, dem Preisträger für 2014, zu führen.
Rudolf Jaenisch ist ein vielfach (u.a. mit der National Medal of Science) ausgezeichneter Genetiker und Molekularbiologe und Pionier der Stammzellforschung, dessen wissenschaftliche Schwerpunkte die Generierung induzierter, pluripotenter Stammzellen (iPSC) aus differenzierten adulten Zellen und die Erforschung der epigenetischen Mechanismen verschiedener Krankheiten, darunter Krebs, sind.
Jaenisch wurde 1970 wurde der erste Post-Doc des Genetikers Arnold Levine, der während dieser Zeit sein Labor an der Princeton University aufbaute. Mit kurzer Zwischenstation am Krebsforschungsinstitut Fox Chase in Philadelphia erhielt er schließlich Ende 1972 eine Assistenzprofessur am Salk Institut in La Jolla in Kalifornien. Dort entwickelte er die erste transgene Maus, mit der Erkrankungen des Menschen auf Gen-Ebene erforscht werden können. Mittlerweile war der damalige Direktor des Hamburger Heinrich-Pette-Instituts auf Jaenischs Forschung aufmerksam geworden und bot ihm eine Stelle an. So kehrte Jaenisch 1977 nach Deutschland zurück und leitete die Abteilung für Tumorvirologie des Instituts. Im Jahr 1984 ging er zurück in die USA und nahm eine Stelle am Whitehead Institut für Biologische Forschung in Cambridge an, dessen Gründungsmitglied er ist. Zugleich ist er Professor für Biologie am benachbarten Massachusetts Institute of Technology (MIT). 2007 veröffentlichte er in der Zeitschrift Nature eine der ersten Arbeiten zur Herstellung induzierter, pluripotenter Stammzellen aus Fibroblasten und legte damit einen Grundstein für deren Erforschung und mögliche Therapieansätze.
Ich traf Herrn Jaenisch am Nachmittag des 28.3., kurz vor der Preisverleihung und erlebte ihn als freundlichen, lebhaften und immer noch neugierigen und von seinem Gebiet begeisterten Gesprächspartner. So hat mir das Gespräch viel Spaß gemacht.
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Cornelius Courts: Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch zur Verleihung der Otto-Warburg-Medaille! Welche Einsatzmöglichkeiten und welches Potential sehen Sie für Ihre Erkenntnisse im Sinne einer translationalen Medizin und speziell in Hinsicht auf eine personalisierte, patientenindividuelle Therapie?
Rudolf Jaenisch: Da gibt es zwei Aspekte. Der eine, der momentan, so glaube ich, sehr viel realistischer ist, ist, daß man diese IPS-Zellen benutzt, um in vitro-Modelle einer Krankheit aufzubauen und ein Medikament oder eine Chemikalie zu finden, die das beeinflusst. Ein Beispiel ist Parkinson – wir sind sehr interessiert daran und ich glaube, da gibt es Teilerfolge.
CC: Sie denken an Screenings?
RJ: Ja. Man muß einen Phänotypen haben, der relevant ist – das ist das Wichtigste – und dann screenen. Und das ist, glaube ich, das Problem: diesen relevanten Phänotypen zu kriegen. Das ist eine der wichtigsten Fragen und ich meine, das ist etwas, das funktionieren wird, vielleicht für manche Krankheiten besser als für andere.
Bei der Zelltransplantation gibt es verschiedene Probleme, die noch gelöst werden müssen. Eines davon ist, daß man wissen muß: welche Zellen und wo muß man sie hintun? Für manche Krankheiten ist das einfach. Zum Beispiel Knochenmarks- und Bluterkrankungen – die Zellen „wissen“, wo sie hin müssen. Oder Diabetes Typ I. Bei anderen Krankheiten ist es nicht so einfach z.B. Muskeldystrophie. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man das mit Zelltransplantation therapieren kann, oder Alzheimer, oder Zystische Fibrose. Das ist zu kompliziert, da kann man keine Zellen verabreichen; da muß man mit Molekülen arbeiten.
Das andere Problem ist, IPS-Zellen zu reifen, funktionellen Zellen zu differenzieren. Z.B. um reife Beta-Zellen herzustellen. Das kann man noch nicht. Sie sind unreif – bisher. Ein anderes Beispiel wäre die Herstellung hämatopoetischer Stammzellen, die transplantierbar sind. Bisher hat es absolut nicht funktioniert. Das muß geklärt werden und ich meine, daß das möglich ist. Aber momentan ist es noch eines der wichtigsten Probleme.
Es gibt aber eine Art von Krankheit, für die es schon jetzt sehr vielversprechend aussieht und das sind Retina-Erkrankungen. Retina-Pigmente, RPE, kann man machen aus ES- und IPS-Zellen: die sehen gut aus und haben sehr ähnliche Eigenschaften. In Tierversuchen kann man sie transplantieren und findet einen Effekt – sie können also in der Tat bei degenerativen Erkrankungen der Retina oder bei Retinitis pigmentosa wirken. Das ist ein sehr gutes System, weil es sehr lokalisiert ist, d.h. man weiß, wo man hinmuß und wenn es schief geht, kann man das Transplantat wieder herausholen. Das ist besser als eine systemische Krankheit.
Ich glaube also, daß es da gute Fortschritte und ich halte es für nicht unwahrscheinlich, daß das vielleicht eine der ersten Anwendungen sein wird. Die anderen sind vielleicht ebenso wichtig, aber ich glaube, da sind noch die Barrieren der Differenzierung zu überwinden.
CC: Wie schätzen Sie die Einsatzmöglichkeiten und die Bedeutung von Next Generation Sequencing und Adaptionen wie der Sequenzierung des gesamten Epigenoms für Ihr Feld ein?
RJ: Sequenzieren und der genomische Ansatz sind wahnsinnig wichtig und erzeugen sehr viele Informationen. Ich denke, das nächste dicke Problem ist, das auf Einzelzellen anzuwenden. Es gibt jetzt relativ robuste Einzelzellen, sodaß man deren Expressionsmuster erhalten kann. Das sind ganz neue Erkenntnisse, die dabei herauskommen. Aber für Epigenetik muß man natürlich eher 100.000 Zellen haben, wenn man da nach dem Chromatin schauen will; vielleicht auch 10.000 – aber das wird schon knapp. Ich denke, das müsste man lösen. Wenn man das mit einer Einzelzelle machen könnte, dann würde ich viele Fragen angehen können, die man jetzt noch nicht gut angehen kann.
CC: Das bringt mich zu der Frage, was derzeit die größten technischen Probleme sind, vor denen Sie stehen.
RJ: (überlegt) Es gibt viele Erkenntnisse diesbezüglich, z.B. die Frage, wie Reprogrammieren funktioniert. Darüber kann man ewig sprechen und das war von großem Interesse für uns. Wenn man jetzt aber bei der Anwendung der Technologie bleibt, um eine Krankheit zu verstehen, dann ist das Wichtigste, einen Phänotypen in der Kulturschale zu bekommen, der robust und relevant ist. Das Problem, welches viele Leute nicht beachten, ist, daß zwei IPS-Zellen verschieden sind, auch wenn sie vom gleichen Patienten kommen. Sie haben verschiedenes Potential bezüglich ihrer Differenzierung und der Richtung der Differenzierung. Auch ES-Zellen sind verschieden voneinander; da ist viel Variation drin. Wenn man jetzt eine Krankheit wie Parkinson untersuchen will, nimmt man als Kontrolle eine Parkinson-Zelle die man findet und differenziert. Dann nimmt man eine IPS-Zelle eines gesunden Patienten. Die hat natürlich einen völlig verschiedenen genetischen Hintergrund und ist anders entstanden. Durch die Variation taucht ein Problem auf, wenn man einen phänotypischen Unterschied findet: ist dieser dann die systemimmanente Variabilität oder ist er krankheitsrelevant? Das wird oft nicht ernst genommen oder nicht bedacht. Viele Leute publizieren das einfach, ich aber glaube, daß man da vorsichtig sein muß: sind die Phänotypen wirklich krankheitsrelevant, weil so viele Unterschiede bestehen? Wir haben vor ein paar Jahren beschlossen, daß wir das nicht so machen wollen. Wir möchten das genetisch definiert machen und haben daraufhin isogene Zellen (Zellen, die von der selben Vorläuferzelle abstammen; Anm. CC) hergestellt, die nur am krankheitsrelevanten Nukleotid eine Mutation tragen.
CC: Wenn wir uns einmal generell das Stammzell-Gebiet anschauen: vor kurzem wurde ja der Rückzug (= retraction) eines wahrscheinlich zum Teil gefälschten Stammzell-Papers in den Medien diskutiert. Auch generell gab es bei den präklinischen Studien eine gewisse Glaubwürdigkeitskrise angesichts vieler Arbeiten, die nicht reproduziert werden können. Wie stellen Sie die Reproduzierbarkeit Ihrer eigenen Arbeiten sicher? Welchen Standard verlangen Sie?
RJ: Sehr hohe Standards. Ich glaube, das ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Das Einzige, was man als Wissenschaftler hat, ist sein Ruf. Und den dann durch so eine Arbeit in Frage zu stellen… (schüttelt den Kopf)
Eine Reihe von Leuten haben keine große Kredibilität in dem Gebiet, aber drei haben sie: das ist der Niwa, der Saito und der Wakajama. Letzteren schätze ich besonders. Der hat die ganzen Mausexperimente gemacht, die ja wirklich gut sind! Für mich war es immer so, daß man eine Arbeit wirklich ernst nehmen muß, wenn diese Leute ihren Namen dahinter gesetzt hatten. Und jetzt kommt heraus, daß sie diese Versuche nie gemacht haben. Sie haben alles der Erstautorin anvertraut, die ja nun in ein Betrugsverfahren verwickelt ist – schon während ihrer Doktorarbeit.
Wenn ich mitbekomme, daß in meinem Labor jemand bewusst eine Fälschung macht, schmeiße ich ihn am selben Abend noch raus. Keine Frage! Mit so einem Menschen will ich nichts zu tun haben. Das hat Wakajama nicht gemacht und das kann ich nicht verstehen. Und ich denke, der Niwa und die anderen Autoren werden es sehr bereuen, ihr vertraut zu haben. Wenn jemand wirklich betrügen will, kann man sich leider kaum davor schützen, es sei denn, man reproduziert die Ergebnisse noch einmal unabhängig.
Die Obokata hat das so dumm gemacht! Wenn man schon betrügen will, dann muß man es ein wenig geschickter angehen. Ein so wichtiges Experiment zu machen und dann so plump zu täuschen, das ist genau wie das Experiment von dem Wang in Südkorea, zum Klonieren. Wenn das ein unwichtiges Experiment wäre, würde es vielleicht keiner herauskriegen, dann ginge der Betrug ja durch. Aber bei einem so wichtigen Experiment kann man das nicht machen. Das ist töricht und insofern verstehe ich das nicht: das musste doch herauskommen! Wie man sich dagegen schützen kann, ist eine wichtige Frage. Vertrauen ist schon eine sehr wichtige Sache in der Wissenschaft.
CC: Ein anderer ethischer Aspekt in der biomedizinischen Forschung ist die Durchführung von Tierexperimenten. Unlängst war ja der Kollege Andreas Kreiter aus Bremen, der an Makaken forscht, mit seinem Sieg vor dem BVG in den Medien. Angesichts seiner Situation: hatten Sie bisher jemals Probleme mit Gegnern von Tierexperimenten oder Schwierigkeiten bei der Genehmigung tierexperimenteller Arbeiten? Und wie beurteilen Sie die gegenwärtige und zukünftige Bedeutung von Tierexperimenten?
RJ: Ja, das ist eine Frage der Ideologie. Ich persönlich arbeite mit Mäusen, die stehen nicht so im Vordergrund wie Primaten, das ist klar. Wie ich dazu stehe, Tierversuche zu machen, die nicht bestimmten Regeln unterliegen? Das ist natürlich nicht akzeptabel. Wir müssen unsere Tierversuche beschreiben, wir müssen dafür von einem Kommittee Zustimmung bekommen. In den USA geht das besser als hier in Deutschland, wo man für jede Maus verantwortlich ist. Es ist unglaublich, der Wust von Regeln, der hier in Deutschland existiert – mit der Stammzellforschung ist es das Gleiche. Ich befürworte Tierversuche, wenn sie unter den richtigen Bedingungen gemacht werden. Zur Behandlung der Tiere gibt es ja Tierschutzgesetze, die zum großen Teil sinnvoll sind und die muß man befolgen.
CC: Aber Tierversuche sind eben auch notwendig…
RJ: Absolut notwendig. Wenn man sich diese Tierschützer anguckt, die auch sehr ideologisch motiviert sind: sie gehen gegen Mäuseversuche vor oder gegen manche Versuche, die unter klaren Bedingungen stattfinden aber nicht gegen die Hühnerhaltung oder die Landwirtschaftshaltung, die ja nun wirklich erschreckend ist. Da sind zwei Standards, die da angewendet werden. Man muß auch immer den Hintergrund betrachten.
CC: Wenn man die ethische Frage über Tierexperimente hinweg noch etwas ausweitet: mußten Sie je einen Ihrer Forschungsansätze gegen ideologische Kritik verteidigen?
RJ: Ja, bei dem, was wir mit Mäusen alles gemacht haben, Therapie mit Mäusen, Einsatz von Nuclear Transfer usf.: da habe ich Mails gekriegt, daß ich in der Hölle braten soll! Das waren Leute, die gegen Tierversuche waren. Und in den 19 Jahren mit therapeutischem Klonen gab es natürlich eine große öffentliche Debatte. Soll man das machen? Soll man mit menschlichen Embryos ..? Darf man..? Darf man nicht..? Das sind Debatten, denen muß man sich auch stellen. Ich war auch dann öfters in Washington, wenn da Anhörungen stattfanden im Kongress, zu der Frage, ob man das tun soll oder nicht. Das sind wichtige Aufgaben, die man als Wissenschaftler ja auch hat.
CC: Es kommt aber immer darauf an, von welcher Grundlage aus man Kritik übt. Das eine sind ja wissenschaftlich begründete Einwände, das andere sind Kritiken, die Dinge voraussetzen, die einem unter Umständen völlig fremd sind und die nicht einmal auf realen Konzepten beruhen, z.B. religiös motivierte Kritik an Stammzellforschung.
RJ: Ich bin nicht gerade ein Kirchgänger. Und ich denke, die katholische Kirche hat da gerade einen ausgesprochen negativen Einfluss auf die Stammzellforschung und fördert, ich würde sagen, fünftgradige Wissenschaft mit dieser Stamina-Sache. Solche Firmen, die dann an irgendwelchen somatischen Stammzellen operieren, an ganz kleinen Zellen: das ist wissenschaftlich alles Unsinn. Und da steckt der Vatikan Geld rein. Das finde ich erstaunlich. Ich war zwei Mal im Vatikan zu solchen Kongressen und insofern kenne ich auch ein wenig die Ideologie, die dahinter steckt. Es wäre gut, wenn man da ein bisschen zur Aufklärung beitragen könnte. Und in Amerika wird das alles – das ist ja das Unsinnigste überhaupt – zu einer Abtreibungsfrage. Stammzellen haben nichts mit Abtreibung zu tun, aber in Amerika fällt ja alles in den Bereich Abtreibung, das ist ja geradezu absurd. Seit 150 Jahren bestimmt das ja irgendwo die amerikanische Politik. (lacht) Das ist unglaublich.
CC: Das wäre auch meine nächste Frage: Sie leben und arbeiten seit 1984 in den USA. Wie empfinden Sie das dortige Wissenschaftsklima und die Berichterstattung über Wissenschaft, auch im Vergleich zur Situation in Deutschland?
RJ: In Deutschland macht man sofort Gesetze, z.B. das Embryonenschutzgesetz. Oder, bekannt von früher: das molekulare Klonieren. Es gibt eine große Kontroverse: darf man Gene „machen“? In Amerika gab es großen Widerstand dagegen, da haben die Wissenschaftler dann eine Konferenz abgehalten und bestimmte Bedingungen vorgeschlagen. Auf diese Weise gab es kein Gesetz, und dann kam molekulare Klonierung. Hier in Deutschland wurde ein Gesetz gemacht und ich glaube, die deutsche Industrie hat darunter jahrzehntelang gelitten. Für die ganze Biotech-Industrie wurde in Amerika alles möglich; in Deutschland war es absurd, was die durchmachen mussten, um ein Gen zu klonieren.
Und jetzt ist es auf dem Forschungsgebiet der Stammzellen genauso. Ich denke, dieses Embryonenschutzgesetz ist Unsinn. Es ist dogmatisch und ideologisch begründet – und durch nichts anderes. Daß man Embryonen schützen muß, ist völlig klar. Ich würde sagen, das Beispiel dafür, wie man es machen muß, haben die Engländer statuiert. So wie die die Diskussion durchgegangen sind, in den 90er Jahren, und festgelegt haben, unter welchen Bedingungen man mit menschlichen Embryonen experimentieren darf und unter welchen nicht, so daß man nicht auf eine „slippery slope“ gerät und etwa sagt: „In der dritten oder vierten Woche darf man dann nicht mehr“, das wäre eine Slippery Slope. Sie haben unterschieden zwischen vor und nach der Implantation: davor darf man Stammzellen machen, danach nicht. Eine klare Linie, gut begründet und viele Länder haben das nachvollzogen. In Deutschland gibt es diese völlig unsinnige Regelung: wenn man mit Embryonen in der in-vitro-Fertilisation arbeitet, so muß man das noch vor der Kernverschmelzung tun, weil es da noch kein Leben ist – und danach ist es Leben. So etwas Unsinniges!
CC: Woran arbeiten Sie derzeit hauptsächlich und welchen Herausforderungen sehen Sie sich jetzt und voraussichtlich in nächster Zeit gegenüber?
RJ: Ich denke, eine wichtige Frage ist zum Beispiel das Thema des Mechanismus, das finde ich schon sehr faszinierend. Ich würde gerne Modelle von komplexen Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer oder Adrenoleukodystrophie bzw. Krankheiten, bei denen Demyelinisierung stattfindet, herstellen und wirklich etwas Neues über sie lernen. Das ist wirklich sehr komplex: kann man bei einer Krankheit mit einer langen Latenzzeit, wie Parkinson, wirklich etwas Sinnvolles in der Gewebekulturschale bekommen? Ich glaube, man kann. Kann man das insbesondere für sporadische Krankheiten bekommen, bei denen ganz viele Gene ein kleines bisschen zur Krankheit beitragen? Das sind wirklich Probleme.
Oder GWAS-Studien, die letztlich deskriptiv sind und auf einen Locus hinweisen, der im Prinzip 5% oder 10% zu einer Krankheit beiträgt. Wenn man von so etwas jetzt IPS-Zellen macht: was heißt das dann eigentlich? Das sind wirklich sehr komplexe Fragen. Kann man da wirklich ein mechanistisches Verständnis bekommen? Ich denke, die IPS-Technologie gibt einem da ein Tool in die Hand.
Aber jetzt kommen die ganzen genetischen Tools. Ich denke, das Wichtigste für mich ist im Moment, daß genetische Manipulation so effizient wie möglich durchgeführt werden können, was die CRISPR-Technologien (eine neue und vielversprechende RNA-geführte Genomeditierungstechnik; Anm. CC) sofort aufgegriffen haben. Die sind ein Game Changer und aus meiner Sicht genauso wichtig wie die PCR für das Gebiet! Das ist wirklich ein Durchbruch und sie wird die siRNA und die Viren ersetzen; Erstzellen werden obsolet, um Mutationen an Mäusen zu generieren – was wir früher in zwei Jahren gemacht haben, können wir jetzt in drei Wochen erreichen. Ich denke, das hat einen enormen Einfluß.
CC: Eine letzte Frage. Da ich selbst von den Wissenschaftsblogs komme, wollte ich fragen, ob Sie dieses Medium kennen, ob Sie mal ein Wissenschaftsblog gelesen haben und was Sie von dieser Form von Wissenschaftsvermittlung ohne Vermittlung durch Wissenschaftsjournalisten halten?
RJ: Der Knoepfler sitzt in Kalifornien und schreibt da einen Blog über Stammzellen. Den habe ich sehr genau verfolgt und das ist immer sehr informativ zu lesen. Und bei den Stammzellen hat das wirklich geholfen, glaube ich und das war auch das erste Mal, daß ich das ein bisschen verfolgt habe und ich fand das wirklich ganz positiv. Daß Leute sofort sagten: wir können’s nicht reproduzieren: das ging dann raus und wurde gefiltert von manchen Stellen, man konnte Kommentare einbringen. zumal diese Art von Medien auch in der Politik immer wichtiger wird. Man muß nur in die Türkei schauen und man sieht, wie die sich da schützen, das ist schon erstaunlich. Es ist phänomenal, wie bedroht Erdogan sich da fühlt…
CC: …jetzt, da er alle sozialen Medien abschaltet und das den Streisand-Effekt hervorruft…
RJ: Es ist erstaunlich, wie manche nicht verstehen, daß man das nicht zurückschrauben kann. Aber zurück zu den Wissenschaftsblog: viele solcher Dinge spielen eine Rolle, und viele muß man ignorieren. Ich habe keine Zeit, das alles zu lesen aber ich finde das sehr effektiv, besonders wenn es gut gemacht ist. Auf ein bisschen Qualität kommt es an, das ist, glaube ich, wichtig.
CC: Vielen Dank für das Gespräch.
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Anmerkungen:
Ich habe versucht, Jaenischs lebhaften und spontanen Sprach- und Erzählstil so gut wie möglich auch in der Schriftform zu erhalten. Da er zum Teil komplizierte Sachverhalte erläuterte bzw. Fachjargon verwendete, habe ich als Hilfestellung an einigen Stellen Anmerkungen eingefügt und Links zu erläuternden Webhinhalten gesetzt.
Die obige ist eine gekürzte Version des Interviews. Hier geht es zur ungekürzten Version.
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