Wie bei Augen- und Haarfarbe besteht aber die Möglichkeit, SNPs zu finden, deren Ausprägungen mit bestimmten, gut definierbaren Gesichtsmerkmalen assoziiert sind und eine Vorhersage der Ausprägung dieser Merkmale gestatten. Genau dies haben F. Liu 2012 [3] und vor kurzem erst P. Claes und ihre Gruppen [4] getan. Liu et al. hatten in mehreren verschiedenen Populationen das menschliche Gesicht durch dreidimensionale MRI-Aufnahmen des Kopfs und zweidimensionale Portraitbilder kartiert und typische, bei allen Menschen vorhandene und gut erkennbare sogenannte „Landmarken“ definiert.
Die exakte Position dieser Landmarken, z.B. die Abstände zueinander, lassen sich sehr gut messen, so daß man objektive Parameter zur Beschreibung eines Gesichts erhält. In einer genomweiten Suche entdeckte Gruppe so fünf SNPs, die mit unterschiedlichen Phänotypen assoziiert waren und die, wie sich zeigte, allesamt in Genen lagen, die bekanntermaßen oder wahrscheinlich mit der Entwicklung der Gesichtsmorphologie zu tun haben. Sie stellten außerdem fest, das der Beitrag der einzelnen Polymorphismen auf das gesamte Erscheinungsbild jedoch sehr gering ist. Damit war jedoch der Boden für eine weitere, „größere“ Studie bereitet, die kürzlich P. Claes et al. vorlegten.
Die Forscher gingen anders vor als Liu: sie stellten 3D-Bilder der Gesichter von Probanden her und superpositionierten darüber ein Netz mit mehr als 7000 Einzelpunkten. Die Position jedes einzelnen Punktes wurde exakt gemessen und beschrieben. So erhielten sie eine sehr detaillierte 3D-Oberflächenstrukurkarte der Gesichter.
Dann entwickelten sie ein statistisches Modell, um den Einfluss von Genen, Geschlecht und Morphotyp (also europäisch vs. afrikanisch etc.) auf die Lage dieser Punkte und damit die Gesamtform des Gesichts einschätzen zu können.
Anschließend untersuchten sie bei allen Probanden die Ausprägung von 76 Varianten (z.B. SNPs) in Genen, die zuvor bereits mit Gesichtsanomalien in Verbindung gebracht worden waren, da sie annahmen, daß die natürliche Variation in Genen, die solche Anomalien bedingen können, einen wie auch immer subtilen Einfluss auf die Form des Gesichts haben würde. Sie setzten dann ihr statistisches Modell ein, um den Einfluss von Geschlecht und Morphotyp zu bestimmen und aus ihren Meßdaten herauszurechnen, um so nur auf die genetischen Einflüsse fokussieren zu können. Dabei fanden sie 24 Varianten in 20 verschiedenen Genen, die sich als hilfreich bei der Vorhersage der Gesichtsform erwiesen.
Auch diese Ergebnisse reichen eigentlich noch nicht aus, um das Verfahren in forensischen FDP-Analysen zur Rekonstruktion des Aussehens von Tatverdächtigen einsetzen zu können. Dennoch wurde es bereits zur Unterstützung der Ermittlungen in einem Fall von Vergewaltigung in Pennsylvania genutzt, um Hinweise zum Aussehen des Täters zu erhalten. Wie gut oder schlecht das Verfahren jetzt schon funktioniert, kann man einschätzen, wenn man sich die Gegenüberstellung echter Photos und der DNA-basierten Rekonstruktionen der Gesichter von Kunden der Fa. Snapshot anschaut, die einen FDP-Test haben durchführen lassen: HIER
Als nächstes müssen weitere Studien an mehr verschiedenen und größeren Populationen durchgeführt werden, um die Ergebnisse zu bestätigen und statistisch abzusichern und ggf. um noch weitere genetische Varianten zu finden, die in den Pool der gesichtsformvorhersagenden Merkmale aufgenommen werden können. In etwa 10 Jahren sollte dann eine vollständige, rein DNA-basierte Gesichtsrekonstruktion möglich sein.
Diese wird aber nicht das Standard-DNA-Profiling ersetzen: Tatverdächtige, die durch Übereinstimmung mit einer DNA-abgeleiteten Gesichtsvorhersage aufgefallen sind, werden also nicht allein wegen dieser Übereinstimmung verurteilt werden. Die Methode gestattet es lediglich, die Anzahl möglicher Täter drastisch zu reduzieren und man kann dann auf diese Weise entdeckten Tatverdächtigen DNA-Proben abnehmen und ihr Standard-DNA-Profil mit dem der DNA vom Tatort vergleichen.
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