Ich trage mich schon eine Weile damit, einen Artikel zum „forensic DNA phenotyping“ (FDP) zu schreiben, also zur Bestimmung der äußeren Merkmale einer Person, meist eines Tatverdächtigen, durch DNA-Analyse. Zurückgehalten hat mich bisher, daß in Deutschland nicht mit FDP gearbeitet wird und laut §81e StPO auch nicht werden darf und daß ich daher selber keine praktische Erfahrung damit besitze. Da sich aber inzwischen die Berichte und auch die Anfragen an mich häufen, ist es wohl doch langsam an der Zeit, etwas zu FDP zu berichten:
Häufig findet man an Tatorten einer Straftat oder eines Verbrechens den/die Täter selber zwar nicht mehr aber doch seine/ihre Hinterlassenschaften vor, z.B. in Form von Zigarettenkippen, ausgefallenen Haaren, Fingerabdrücken oder vom ihm/ihnen benutzten liegen gelassenen Werkzeugen. Manchmal verraten auch Leichen etwas über ihre Mörder, z.B. durch Hautspuren unter den Fingernägeln oder an Prellmarken. Wie man aus diesen biologischen Spuren ein DNA-Profil des Täters gewinnen und ihn damit später eindeutig identifizieren kann, habe ich in meiner Serie zur Forensischen Genetik (hier geht es zum ersten Teil) damals schon beschrieben.
Wie aber geht man vor, wenn man nicht einmal einen Tatverdächtigen und damit keine Ahnung hat, wer die Tat begangen hat? In solchen Fällen wäre es natürlich extrem hilfreich, wenn man wüßte, wie der Täter ausgesehen hat, um z.B. mit Phantombildern gezielt nach ihm fahnden zu können. So wird es mit Bildern aus Videoaufzeichnungen gemacht, falls auf solchen der Täter eines Verbrechens zu sehen ist. Und so könnte es auch mit Informationen aus der DNA gemacht werden, seit K. Ballantyne und M. Kayser und ihre Gruppen in den Jahren 2011 und 2013 beschrieben haben, welche Stellen in der DNA Auskunft über Haar- und Augenfarbe eines Menschen geben können [1,2].
Das System, das sie entwickelt haben, heißt „Irisplex“ und gestattet die gleichzeitige Vorhersage von Augen- und Haarfarbe durch die Typisierung von 24 Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP). Das ganze funktioniert also über Assoziation: man muß nicht genau wissen (und tut es auch nicht), wie und durch welche Gene die Ausprägung der Haar- und Augenfarbe festgelegt wird, es reicht, SNPs zu finden, deren Ausprägung (die meisten SNPs haben eine von zwei (ganz selten drei) möglichen Ausprägungen) mit statistisch relevanter Häufigkeit mit einer bestimmten Haar- und/oder Augenfarbe korreliert, z.B. weil sie mit einem für den Phänotyp relevanten Gen gekoppelt sind (d.h. so nah dran sind, daß sie selten durch Rekombination getrennt werden). Dann braucht man nur noch die Ausprägung des SNP festzustellen und kann dann mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auf einen bestimmten, damit korrelierten Phänotyp schließen. Um die Stärke solcher Vorhersagen zu verbessern und auch komplexere Phänotypen oder Kombinationen von Phänotypen (eben Haar- UND Augenfarbe) vorhersagen zu können, muß man sich mehr als einen SNP gleichzeitig ansehen, z.B. 24 wie bei Irisplex. Hier sind es dann Kombinationen von SNP-Ausprägungen, die mit definitierten Häufigkeiten mit bestimmten Phänotypkombinationen zusammen auftreten. Methodisch ist das erfreulicherweise sehr einfach, da sich SNPs leicht mit dem Standardgerätepark eines forensisch-genetischen Labors typisieren lassen.
Irisplex wurde bereits weiterentwickelt und an forensische Proben angepasst, so daß es auch mit sehr geringen Mengen (63 pg) und sogar degradierter DNA funktioniert. Das System sagt korrekt blonde Haare mit 69,5%, braune Haare mit 78,5%, rote Haare mit 80% und schwarze Haare mit 87,5% Wahrscheinlichkeit voraus, die Augenfarbe sogar mit über 90%.
Deutlich besser als an Haar- und Augenfarbe läßt sich ein Mensch jedoch an seinem Gesicht erkennen, das ihn in den allermeisten Fällen unverwechselbar macht. Daß die Gesichtsmorphologie, also seine dreidimensionale Form und Gestalt, zu einem großen Teil, (etwa 80%) genetisch bedingt ist, ist unstrittig und z.B. ersichtlich an der Ähnlichkeit eineiiger Zwillinge, die ja genetisch identisch sind. Einige Gesichtsmerkmale, wie die Gesichtshöhe und die Position des Unterkiefers sind dabei in höherem Maße vererblich als andere und auch die generelle Morphologie des Gesichtsschädels ist stark vererblich und nur zum Teil abhängig von Umwelteinflüssen. Doch obwohl man einige wenige Gene kennt, die eine Rolle bei der Ausbildung der Gesichtsform spielen, ist auch hier die die genetische Grundlage für die normale Variation des menschlichen Gesichts größtenteils unbekannt.
Wie bei Augen- und Haarfarbe besteht aber die Möglichkeit, SNPs zu finden, deren Ausprägungen mit bestimmten, gut definierbaren Gesichtsmerkmalen assoziiert sind und eine Vorhersage der Ausprägung dieser Merkmale gestatten. Genau dies haben F. Liu 2012 [3] und vor kurzem erst P. Claes und ihre Gruppen [4] getan. Liu et al. hatten in mehreren verschiedenen Populationen das menschliche Gesicht durch dreidimensionale MRI-Aufnahmen des Kopfs und zweidimensionale Portraitbilder kartiert und typische, bei allen Menschen vorhandene und gut erkennbare sogenannte „Landmarken“ definiert.
Die exakte Position dieser Landmarken, z.B. die Abstände zueinander, lassen sich sehr gut messen, so daß man objektive Parameter zur Beschreibung eines Gesichts erhält. In einer genomweiten Suche entdeckte Gruppe so fünf SNPs, die mit unterschiedlichen Phänotypen assoziiert waren und die, wie sich zeigte, allesamt in Genen lagen, die bekanntermaßen oder wahrscheinlich mit der Entwicklung der Gesichtsmorphologie zu tun haben. Sie stellten außerdem fest, das der Beitrag der einzelnen Polymorphismen auf das gesamte Erscheinungsbild jedoch sehr gering ist. Damit war jedoch der Boden für eine weitere, „größere“ Studie bereitet, die kürzlich P. Claes et al. vorlegten.
Die Forscher gingen anders vor als Liu: sie stellten 3D-Bilder der Gesichter von Probanden her und superpositionierten darüber ein Netz mit mehr als 7000 Einzelpunkten. Die Position jedes einzelnen Punktes wurde exakt gemessen und beschrieben. So erhielten sie eine sehr detaillierte 3D-Oberflächenstrukurkarte der Gesichter.
Dann entwickelten sie ein statistisches Modell, um den Einfluss von Genen, Geschlecht und Morphotyp (also europäisch vs. afrikanisch etc.) auf die Lage dieser Punkte und damit die Gesamtform des Gesichts einschätzen zu können.
Anschließend untersuchten sie bei allen Probanden die Ausprägung von 76 Varianten (z.B. SNPs) in Genen, die zuvor bereits mit Gesichtsanomalien in Verbindung gebracht worden waren, da sie annahmen, daß die natürliche Variation in Genen, die solche Anomalien bedingen können, einen wie auch immer subtilen Einfluss auf die Form des Gesichts haben würde. Sie setzten dann ihr statistisches Modell ein, um den Einfluss von Geschlecht und Morphotyp zu bestimmen und aus ihren Meßdaten herauszurechnen, um so nur auf die genetischen Einflüsse fokussieren zu können. Dabei fanden sie 24 Varianten in 20 verschiedenen Genen, die sich als hilfreich bei der Vorhersage der Gesichtsform erwiesen.
Auch diese Ergebnisse reichen eigentlich noch nicht aus, um das Verfahren in forensischen FDP-Analysen zur Rekonstruktion des Aussehens von Tatverdächtigen einsetzen zu können. Dennoch wurde es bereits zur Unterstützung der Ermittlungen in einem Fall von Vergewaltigung in Pennsylvania genutzt, um Hinweise zum Aussehen des Täters zu erhalten. Wie gut oder schlecht das Verfahren jetzt schon funktioniert, kann man einschätzen, wenn man sich die Gegenüberstellung echter Photos und der DNA-basierten Rekonstruktionen der Gesichter von Kunden der Fa. Snapshot anschaut, die einen FDP-Test haben durchführen lassen: HIER
Als nächstes müssen weitere Studien an mehr verschiedenen und größeren Populationen durchgeführt werden, um die Ergebnisse zu bestätigen und statistisch abzusichern und ggf. um noch weitere genetische Varianten zu finden, die in den Pool der gesichtsformvorhersagenden Merkmale aufgenommen werden können. In etwa 10 Jahren sollte dann eine vollständige, rein DNA-basierte Gesichtsrekonstruktion möglich sein.
Diese wird aber nicht das Standard-DNA-Profiling ersetzen: Tatverdächtige, die durch Übereinstimmung mit einer DNA-abgeleiteten Gesichtsvorhersage aufgefallen sind, werden also nicht allein wegen dieser Übereinstimmung verurteilt werden. Die Methode gestattet es lediglich, die Anzahl möglicher Täter drastisch zu reduzieren und man kann dann auf diese Weise entdeckten Tatverdächtigen DNA-Proben abnehmen und ihr Standard-DNA-Profil mit dem der DNA vom Tatort vergleichen.
Wenn die Methode ausgereift ist, kann sie aber auch anderen forensischen Zwecken als der Strafverfolgung dienen. Z.B. wird man skelettierten, enthaupteten oder auf andere Arten unkenntlichen Leichen auf Grundlage der DNA aus verbleibenden Körperzellen ein Gesicht geben und so viel besser ihre Identität ermitteln können. Zusammen mit NGS werden sich so ungeahnte Möglichkeiten eröffnen…
Spätestens dann wird sich hoffentlich auch der deutsche Gesetzgeber dazu bewegen lassen, die StPO anzupassen und die Einbeziehung von DNA-Polymorphismen, die zur Bestimmung des äußeren Erscheinungsbildes dienen, gestatten.
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Referenzen:
[1] Walsh S, Lindenbergh A, Zuniga SB, Sijen T, de Knijff P, Kayser M, Ballantyne KN. Developmental validation of the IrisPlex system: determination of blue and brown iris colour for forensic intelligence. Forensic Sci Int Genet. 2011, Nov;5(5):464-71
[2] Walsh S, Liu F, Wollstein A, Kovatsi L, Ralf A, Kosiniak-Kamysz A, Branicki W, Kayser M. The HIrisPlex system for simultaneous prediction of hair and eye colour from DNA. Forensic Sci Int Genet. 2013 Jan;7(1):98-115
[3] Liu F, van der Lijn F, Schurmann C, Zhu G, Chakravarty MM, et al. A Genome-Wide Association Study Identifies Five Loci Influencing Facial Morphology in Europeans. PLoS Genet, 2012, 8 (9):e1002932.doi:10.1371/journal.pgen.1002932
[4] Claes P, Liberton DK, Daniels K, Rosana KM, Quillen EE, et al. Modeling 3D Facial Shape from DNA. PLoS Genet. 2014, 10 (3): e1004224. doi:10.1371/journal.pgen.1004224
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