Zusätzlich verkompliziert wird die Debatte durch die mosaikhafte Vielfalt von teilweise nicht einmal im Weltbild derselben sie vertretenden Person konsistenten Meinungen, Haltungen und Überzeugungen zu den verschiedenen Funktionen, Rollen und Nutzungen von Tieren in unserem Alltagsleben. Viele Menschen, die beispielsweise laut und wohlfeil grundsätzlich alle Tierversuche ablehnen, haben selbst durchaus bereits von Medikamenten und Impfstoffen profitiert (und verdanken ihnen vielleicht sogar ihr Leben), die selbstverständlich zuvor an Tieren getestet wurden und sie würden diese Medikamente jederzeit und ohne zu zögern wieder einnehmen und sich auch nicht selbst für Versuche zur Verfügung stellen. Nicht wenige dieser Leute „halten“ sich zudem Haustiere, ohne daß sie einen Widerspruch darin wahrnähmen, daß sie ausschließlich zu ihrer eigenen Erbauung diesen Tieren, die als „Besitz“ bezeichnet werden, die Freiheit und oft genug die Möglichkeit zur „natürlichen“ Reproduktion vorenthalten.
Bemerkenswert ist, daß dieser Themenkomplex zuverlässig hochemotionale und recht schnell unsachlich werdende Diskussionen auslöst. Das führt dann zu Abscheulichkeiten, wie den von verschiedenen Gruppierungen (ernsthaft?) vorgetragenen Vorschlag, statt Tieren bestimmte mißliebige Menschengruppen für pharmazeutische Versuche einzusetzen oder gleich die Todesstrafe für Tierquäler verhängen zu wollen. Auch bin ich immer wieder überrascht von Ausmaß und Aggressivität der hermetischen Selbstbeschwichtigung und -täuschung und anthropomorphen Projektion mancher sich als Tierfreunde und -liebhaber verklärender Haustierhalter, die nicht selten fast religiöse Züge annimmt und sie für eine kritische Betrachtung der eigenen Handlungsweise und vor allem der eigenen Inkonsistenz völlig blind macht.
Ähnliche gelagerte und aufgeladene Diskussionen sind bisweilen mit sendungsbewußten Vegetariern oder Veganern zu führen (nur zur Klarstellung: ich habe überhaupt kein Problem mit vegetarischer Lebensweise als solcher: jede(r) soll essen, was sie/er möchte und ihr/ihm schmeckt, aber eben auch jede(n) essen lassen, was sie/er möchte und ihr/ihm schmeckt). Den so gut wie immer inkonsistenten Argumenten dieser leider nicht so selten missionierenden und selbstgerechten Ostentativverzichter halte ich dann gerne den Vorwurf des „Neuronismus“ entgegen (ein Begriff, den ich aus der Philosophie des Geistes entlehnt habe): Ich frage sie, wie sie denn guten Gewissens Pflanzen und Pilze töten und essen können, nur weil diese erstaunlichen Geschöpfe kein Nervensystem (und daher auch keine niedlichen Knopfaugen) haben und nicht weglaufen können*. Ich verweise dann auf die vielgestaltigen Möglichkeiten von Pflanzen, ihre Umgebung wahrzunehmen, untereinander zu kommunizieren und sich mitzuteilen (Tabakpflanzen z.B. können Fressfeinde einer bestimmten Raupe herbeilocken, wenn sie an Fressrhythmus und Speichelzusammensetzung merken, daß sie gerade von genau dieser nikotinresistenten Raupe angefressen werden!), auf die Diskussion über Pflanzenrechte und darauf, daß in der Schweiz sogar der Begriff der Pflanzenwürde geführt wird.
Solche Ernährungspolizisten müssen sich also die Frage gefallen lassen, warum sie das Leben von Tieren dem Leben von Pflanzen überordnen bzw. auf welcher Grundlage (die verschieden ist von der einfachen Hoffnung, daß es so sei) sie letzteren die Leidenfähigkeit absprechen. Wenn es nur um die empathische Vermeidung von Schmerz geht, die ich unbedingt unterstütze, wäre doch ein garantiert schmerzfreier Tod eines Tieres eine akzeptable Lösung. Geht es aber um den Tod und das Töten an sich, wäre zu begründen, warum ein Tier (schmerzlos) zu töten schlimmer ist, als eine Pflanze zu töten, oder mit anderen Worten: was ein Tierleben wertvoller als ein Pflanzenleben macht.
Richtig ungemütlich werden solche Gespräche erfahrungsgemäß immer dann, wenn die Fleischlosen zugleich Inhaber eines naiven, romantisierten, „disneyfizierten“ Tierbildes sind und sich in ihrem Verzicht nicht einfach selbst genügen können, sondern sich aufgrund ihrer jeweils arbiträren Ernährungspräferenzen großzügig eine überlegene moralische Position gegenüber uns carnivoren Barbaren einräumen und eine Notwendigkeit empfinden, dies auch noch zu proklamieren: sie erwecken dann häufig den Eindruck, daß sie für den durch ihre ach so tugendhafte Fleischaskese geübten Verzicht auf Lebensqualität Beifall oder Anerkennung verdienen. In Wirklichkeit macht einen eine fleischlose Lebensweise aber natürlich nicht zu einem besseren Menschen und nicht einmal zu einem besseren Tierfreund und schon gar nicht erhebt sie einen zu einer moralischen Instanz, die mit dem Recht oder der Kompetenz ausgestattet wäre, andere zu belehren oder zu korrigieren.
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