Konsequent wäre eigentlich also nur die Lebensweise eines Frutariers, der noch dazu auf jegliche nicht notwendige Verhaltensweisen verzichtet, die den Tod anderer Lebewesen in Kauf nehmen, z.B. Autofahren oder ohne Besen spazieren gehen. Leider ist mir so jemand noch nie begegnet, was möglicherweise daran liegen mag, daß der in einer solchen Lebensführung liegende Gewissensfrieden nur überaus selten die ebenfalls damit verbundenen alltäglichen Unbilden auszugleichen vermag.
Wie gehe ich selbst damit um? (ich beschreibe meine ganz persönliche Sicht- und Handlungsweise, die keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt)
Daß ich mich in der Anschauung von und beim Umgang mit der Umwelt und ihren nicht-menschlichen Bewohnern nicht durch biblische Verfügungsfreigaben legitimiert sehe, dürfte niemanden wundern. Aber bekanntlich sieht auch unsere Verfassung vor und basiert ein erheblicher Teil unseres Alltags darauf, daß ein Menschenleben mehr „wert“ ist, als das Leben eines Tieres (oder einer Pflanze) und daß Tiere für verschiedene menschliche Interessen (Nahrung, Forst- und Landwirtschaft, Krankheitsabwehr etc.) getötet werden dürfen. Das Gesetz unterscheidet bei Tieren übrigens noch wesentlich zwischen Wirbeltieren und Wirbellosen (ein „Vertebratenchauvinismus“, der mir eingedenk einiger Cephalopoden recht willkürlich erscheint).
Ich versuche daher, aufrichtig zu sein und mir nichts vorzumachen: ich kann meinen Konsum getöteter Lebewesen vor mir selbst ethisch eigentlich nicht rechtfertigen: ich könnte ja ohne mich selbst zu gefährden darauf verzichten und daß ich es nicht tue ist in meinen Augen moralisch inkonsistent, insbesondere sofern die Bereitstellung solcher Produkte mit dem Leid anderer Wesen verbunden ist.
Diese Inkonsistenz stört mich zwar aber die moralische „Schuld“, die ich darüber empfinde, ist nicht groß genug, als daß mein Hedonismus mir nicht gestatten würde, sie auszuhalten, denn für den Verzicht auf Tier- und Pflanzenprodukte hätte ich eine erhebliche Einbuße an Lebensqualität zu ertragen, die mich auf die Dauer wohl unglücklich machen würde. Ich würde aber sofort, gerne und ausschließlich Laborfleisch und Laborsalat essen, sofern diese genauso gut schmecken, wie die „Originale“. Endlich lehne ich noch Massentierhaltung, aber auch Qualzucht und generell alle Praktiken ab, die Tieren vermeidbares Leid zufügen, wie überflüssige (=kosmetische) Tierversuche oder das widerliche religiöse Schächten.
Andererseits ist für mich der Wert eines Menschenlebens unverhandelbar höher einzuschätzen, als der eines Tiers. Auch diese Einschätzung ist meine ganz persönliche, mit der ich nach langer Abwägung aller mir zur Verfügung stehenden Information und auf Grundlage meiner eigenen moralischen Grundsätze aber auch in Einklang mit den Gesetzen meines Landes am besten leben kann. Daß diese Unterscheidung nicht trivial und letztbegründet ist, ist mir dabei durchaus bewußt und die Frage, wo und warum diese Grenze zu ziehen ist, sollte Gegenstand anhaltender wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Diskurse sein. Dennoch folgt für mich aus diesem Unterschied, daß kontrollierte medizinische und pharmazeutische Tierversuche zum Wohle des Menschen so lange notwendig und unverzichtbar sind, bis sie vollwertig ersetzt werden können und daß im Entscheidungsfall „Mensch oder Tier“ immer der Mensch vorzuziehen ist.
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*Nachtrag am 19.03.2015: hier noch eine sehr eindrucksvolle Studie über die Blumennessel, für alljene, die ohne Gewissensbisse den Tod von Pflanzen für ihre Nahrung in Kauf nehmen: Blumennesseln üben praktisch eine totale Kontrolle über ihr Pollenangebot und in ihrem komplexen Verhalten erinnern sie eher an ein Tier als an Pflanzen. Die Blumennesseln nehmen zahlreiche Reize aus der Umgebung wahr, verarbeiten diese und stimmen darauf ihr Verhalten ab. Unter zwölf Grad Celsius oder bei Dunkelheit sind die Staubblätter für Bestäuber nicht zugänglich. Dann sind nämlich keine Bienen unterwegs. Wie im Magazin eines Revolvers sind mehr als 100 Staubgefäße in der Blüte hintereinander aufgereiht, die ausgelöst durch Insekten oder Kolibris nacheinander zum Zentrum der Blüte klappen. Damit lässt sich die portionsweise Pollenabgabe in der Blüte rund 100 Mal wiederholen. Wie sehr die Blumennesseln ihr Verhalten an die Bestäuber angepasst haben, zeigt sich auch, wenn kein Insekt vorbeikommt. Dann verlängern die Pflanzen die Lebenszeit ihrer Blüten um ein Vielfaches auf mehr als eine Woche und präsentieren frischen Pollen nur in großen Zeitabständen, um vielleicht doch noch einen Bestäuber anzulocken. Bemerkenswert ist auch, wie schnell (2-3 min) sich die Staubgefäße zur Blütenmitte bewegen, nachdem eine Biene die Nektarschuppe bewegt hat. Das kann man mit bloßem Auge beobachten:
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