Wenn ein bösartiger Tumor für sich genommen nicht tödlich ist, z.B. indem er so groß wird, daß er das Gewebe oder Organ, aus dem er stammt, verdrängt und zerdrückt, so kann er dennoch zu einer tödlichen Gefahr werden. Nämlich dann, wenn er beginnt, sich auszubreiten, benachbartes Gewebe zu durchwuchern und zu infiltrieren (Invasion) und zuletzt Tochtergeschwulste, sogenannte Metastasen zu bilden, die an anderen Stellen im Körper zu neuen, zusätzlichen Tumoren heranwachsen und in der Tat sterben die meisten Krebspatienten an den Auswirkungen von Metastasen und nicht an den sogenannten Primärtumoren.
Bei einigen Krebsarten, z.B. dem schwarzen Hautkrebs (Melanom), ist das sogar das eigentliche Problem, da der Tumor in der Haut selbst nicht lebensbedrohlich ist, aber sehr schnell und effizient Tochterzellen im ganzen Organismus verbreitet, die sich dann an anderen Orten niederlassen und zu tödlichen Geschwulsten heranwuchern.
Man kann diagnostisch erkennen, daß ein bestimmter Tumor in Wirklichkeit die Metastase eines anderen, ganz woanders wachsenden Primärtumors ist, indem man durch histopathologische und/oder genetische Untersuchung herausfindet, woher der untersuchte Tumor ursprünglich stammt. Manchmal wird sogar die Metastase bemerkt, bevor der eigentliche Primärtumor überhaupt bekannt ist. Das ist z.B. häufig beim Lungenkrebs der Fall, der erst sehr spät Symptome verursacht, meist wenn es schon zu spät ist und bereits Metastasen gebildet wurden, die man dann, das weiß ich aus meiner Zeit in der Neuropathologie, oftmals im Hirn findet. Der weibliche Brustkrebs hingegen, bildet z.B. besonders häufig Knochenmetastasen. Diese “Präferenz”, Tochtergeschwulste nur an einigen bestimmten von sehr vielen möglichen Orten zu bilden, nennt man “metastatischer Tropismus”
Der Prozeß der Metastasierung (sog. „Invasion-Metastasis-Cascade“, IMC) besteht aus mehreren Schritten oder Stadien ausgehend vom Primärtumor: Lokale Invasion, Gefäßeinwanderung, Transit (= Transport durch die Blutgefäße), Gefäßaustritt, Mikrometastasierung und Kolonisierung [1]:
Die cytologischen Mechanismen zur Entstehung der Fähigkeit eines Tumors zu Invasion und Metastasierung waren jedoch noch im Jahr 2000 weitgehend unbekannt. Man wußte nur, daß Primärtumoren, die in Deckgeweben (Epithelien) entstanden waren, sogenannte Karzinome, mit fortschreitender Entwicklung ihre Form und ihr Bindungsverhalten zu benachbarten Zellen und der extrazellulären Matrix (EM) veränderten. Häufig traten diese Veränderungen zusammen mit dem Verlust (z.B. durch Mutation) des Gens (bzw. dessen Genprodukts) E-Cadherin auf. Dieses Protein spielt eine Schlüsselrolle bei der Verbindung von Zellen untereinander und damit der Fixierung von Zellen in ihren Geweben, so daß E-Cadherin und andere ähnliche wirkende Adhäsionsproteine als Hemmfaktoren für die Metastasierung fungieren. Im Gegenzug sind andere Moleküle, z.B. N-Cadherin, die ebenfalls Zell-Zell-Verbindungen nur genau anders herum beeinflussen, die also die Zellmigration, z.B. während der Embryonalentwicklung oder bei Entzündungsprozessen, begünstigen, regelmäßig in metastasierenden Tumorzellen überaktiviert.
Seitdem hat die Forschung große Fortschritte gemacht und dank neuer Methoden und der Entdeckung und Beschreibung zahlreicher regulatorischer Gene gilt inzwischen als gesichert, daß ein bestimmtes regulatorisches Entwicklungsprogramm, die sogenannte „epithelial-mesenchymale Transition“ (EMT) eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Metastasierungsfähgkeit von Epithelzellen spielt. EMT bezeichnet einen Prozeß, bei dem Epithelzellen in einen mesenchymalen Zustand umgewandelt werden, über dessen Eigenschaften und zeitliche Stabilität erst wenig bekannt ist. Durch EMT entwickeln Zellen die Fähigkeit zur Invasion, zur Resistenz gegen Apoptose und zur Migration. Indem Tumorzellen dieses Programm „mißbrauchen“, können sie einige der Eigenschaften, die Invasion und Metastasierung ermöglichen, erlangen. Dazu bedienen sie sich der Dysregulation und Überexpression verschiedener Transkriptionssfaktoren, wie “Snail”, “Slug”, “Twist” und “Zeb 1/2”, welche die EMT während der Embryonalentwicklung orchestrieren. In einigen Krebsmodellen (d.h. unter kontrollierten Bedingungen in einem gut erforschten Versuchstier, z.B. Ratten, ausgelöste Tumore) konnte die Dysregulation solcher Transkriptionsfaktoren als direkte Ursache für Invasion und Metastasierung gezeigt werden.
Diese Moleküle bewirken in den Zellen, in denen sie exprimiert werden, auch den Verlust von Verbindungen zu anderen Zellen, die Veränderung von ihrer epithelzelltypischen zu einer fibroblastären Form, die Erhöhung ihrer Resistenz gegen Apoptose und ihrer Beweglichkeit: alles Eigenschaften, die bedeutsam für Invasion und Metastasierung sind. Hinzu kommt, daß einige dieser Transkriptionsfaktoren die Expression von E-Cadherin unterdrücken, was, wie erwähnt, der Entstehung von Invasion und Metastasierung Vorschub leistet.
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