Jack the Ripper war DER Serienmörder schlechthin. Mysteriös, brutal, gerissen und vor allem letztlich ungefasst soll er gesagt haben: „Eines Tages wird man zurückblicken und erkennen, dass ich das 20. Jahrhundert eingeläutet habe.“
Es gibt unzählige Theorien und Hypothesen zu seiner wahren Identität, seinen Motiven, seiner Psychopathie und diese wurden in ebenso zahlreichen Filmen, Serien, Comics, Spielen und Schauergeschichten untergebracht. Klar ist, die Ripper-Morde nehmen eine Sonderstellung in der Geschichte der Kriminologie ein, sorgen aus dem sicheren Abstand von 100 Jahren für wohlige Schauder und beflügeln die Phantasie vieler Menschen. Einigen davon reicht es auch nicht, das reichliche Angebot an Medien zu Jack the Ripper zu nutzen, sie wollen selbst Scotland Yard spielen und die Morde aufklären, wofür sie bisweilen erheblichen Aufwand betreiben.
So auch Geschäftsmann und Hobby-Detektiv Russell Edwards, der unlängst behauptet hat, er hätte, zusammen mit dem Biologen Jari Louhelainen, der eifrigen blooDNAcid-Lesern aus dem Beitrag zur RNA-Uhr in Haaren bekannt sein kann, das Rätsel um Jacks wahre Identität gelöst. Es soll sich bei ihm um Aaron Kosminski gehandelt haben, einen polnischen Juden, der mit seiner Familie in den frühen 1880er Jahren vor den russischen Pogromen nach London geflohen war. Kosminski arbeitete als Friseur in Whitechapel und soll schwer psychisch gestört gewesen sein und an einer paranoiden Schizophrenie mit akustischen Halluzinationen gelitten haben. Ihm wurde zudem Frauenfeindlichkeit und ein Hang zur Masturbation nachgesagt.
Ich will jetzt hier keinen historischen Abriss der Ripper-Morde und auch keine posthume Psychoanalyse versuchen, dafür gibt es zig andere Quellen. Ich werde mich stattdessen im Folgenden nur mit den forensisch-genetischen Untersuchungen und meiner Beurteilung derselben befassen (wen die Grundlagen interssieren, mag die Serie zur Forensischen Genetik ansteuern).
Zum Hintergrund: Russell Edwards hatte im März 2007 beim Auktionshaus Bury St. Edmunds einen Schal erworben, der bei Catherine Eddowes, einem Opfer des Rippers gefunden worden und irgendwann aus dem Besitz eines der damals ermittelnden Polizeibeamten über Zwischenstationen in die Verfügung des Auktionshauses übergegangen war.
Der Schal sei zu edel und teuer gewesen, als daß er der bitterarmen Eddowes gehört haben könnte, doch Edwards vermutete, daß der Ripper ihn, wie es für ihn nicht ungewöhnlich war, bei der Leiche deponiert hatte, um einen Hinweis auf seine Tat zu geben: den Schal ziert ein Muster aus sogenannten „Michealmas-Gänseblümchen“. Michaelmas ist ein Fest, das im viktorianischen England Jack the Rippers überaus beliebt war und je nach religiöser Tradition am 29.9. (westl. Christentum) oder 8.11. (orthodoxes Christentum) begangen wurde. Russell fiel auf, daß beide Daten exakt mit den Nächten der letzten beiden Ripper-Morde zusammenfielen und begann zu vermuten, daß der Schal direkt mit Opfer und Täter in Kontakt gekommen war. In der Tat befanden sich auf dem Schal Flecken mit blut- bzw. sekrektverdächtigen Anhaftungen.
Russell entschloss sich daraufhin, Jari Louhelainen von der Uni Liverpool hinzuzuziehen, um die Flecke auf möglichen DNA-Gehalt hin zu analysieren. Warum ausgerechnet Louhelainen, der sich zwar für forensische Analysen bei historischen Fällen interessiert, aber hinsichtlich seiner Forschungsarbeiten nicht eigentlich als Koryphäe anzusehen ist, kann ich nicht sagen und von “weltweit führend”, wie auch behauptet wurde, kann ebenfalls nicht die Rede sein.
Zu den Untersuchungen: 2011 begann Louhelainen mit den Arbeiten. Zunächst ermittelte er mit einer Infrarotkamera die Art der Spur und konnte (angeblich) zeigen, daß es sich bei dem Blut speziell um arterielles Blut gehandelt habe, wie es mit Spritzern aus einer Schnittwunde vereinbar sei. Ok, Blutspuren detektieren ist keine große Kunst, sondern forensischer Alltag. Außerdem habe er dann mittels UV-Licht auch noch Spuren von Sperma gefunden.
Auch das: Routine. Mit einer selbst entwickelten Kollektionsmethode sammelte er dann die Zellen aus den vertrockneten Blut- bzw. Sekretresten ein. Dazu hat er die Flecken mit einer Nukleinsäure stabilisierenden Lösung getränkt (z.B. dieser) und dann die aus dem Gewebe herausgelösten Zellen mit einer Pipettenspitze und Unterdruck abgesaugt.
Normalerweise erfolgt nach der Kollektion die DNA-Extraktion. Wie Louhelainen das gemacht hat, wurde nirgendwo beschrieben, ebensowenig, ob und wie er die DNA quantifiziert hat (vielleicht schreiben sie mal einen Case Report für ein forensisches Journal, da muß es dann stehen). Man hat aber wohl gar nicht erst versucht, genomische DNA zu extrahieren und STR-Profile anzufertigen. Warum, kann ich mir nicht ganz erklären, denn „zu alt“ kann kein Argument sein, schließlich kann man mit NGS (dessen forensische Anwendung angeblich zu Louhelainens Interessen zählt) auch erheblich ältere Urmenschen-DNA noch untersuchen und auch wir haben aus einem (zwar etwas jüngeren, dafür deutlich ungünstiger gelagerten) alten Knochen noch ein DNA-Profil herausbekommen.
Louhelainen hat sich jedenfalls gleich auf die mtDNA konzentriert. Mitochondrien haben ein eigenes, kleines, ringförmiges Genom, von dem sie mehrere Kopien enthalten.
Bei bis zu 1000 Mitochondrien pro Zelle kann eine einzige Zelle also mehrere Tausend Kopien des mt-Genoms enthalten, im Gegensatz zur einzigen Kopie der nukleären DNA im Kern. Das ist für forensische Genetiker sehr interessant, denn erstens ist die Chance groß, selbst in winzigen Spuren noch mtDNA zu finden und zweitens ist das mtGenom ringförmig (ohne offene Enden) und sehr kurz, was es recht stabil macht. In der Tat ist die mtDNA oft noch analysierbar, wenn die normale DNA schon zu zerstört ist, um noch untersucht werden zu können.
Das Problem ist, daß die mtDNA sehr kurz ist (wenig Information) und noch dazu keiner Rekombination unterzogen wird, worauf ja bei den DNA-Profilen auf STR-System-Basis die extreme Seltenheit beruht (kombinatorische Vielfalt). Das mt-Genom wird unverändert von der Mutter an ihre Kinder weitergegeben, es bildet einen sogenannten „Haplotypen“. Wir alle besitzen also mtDNAs, die identisch mit denen unserer Mütter, deren Mütter usw. sind, so daß die mtDNA auch sehr gut zur Nachverfolgung mütterlicher Erblinien dienen kann und genutzt wird. Allerdings werden bei der mtDNA keine STR-Systeme untersucht (die gibt’s da gar nicht), sondern es wird ein bestimmtes Stück, der sogenannte D-Loop, komplett ausgelesen (sequenziert) und dann mit einem Referenzgenom verglichen.
Im Ripper-Fall verglich nun Louhelainen die mtDNA aus den Blutflecken am Schal mit der DNA einer in direkter Linie mit Catherine Eddowes verwandten Frau namens Karen Miller und erhielt in allen untersuchten Proben eine vollständige Übereinstimmung. Dies bedeutet aber nicht, wie in den Berichten vorschnell behauptet wird, daß das Blut wirklich von Eddowes stammte. Man kann lediglich sagen, daß der Mensch, von dem das Blut stammt, dieselbe mtDNA besaß, wie Karen Miller. Da mtDNA-Haplotypen aber deutlich häufiger sind, als STR-Profile, kann es sich dabei also auch um eine (wenngleich nicht sehr wahrscheinliche) zufällige Übereinstimmung handeln.
Mit dem Zellen aus den Spermaspuren verfuhr Louhelainen auf dieselbe Weise. Spermien selbst enthalten in ihren Köpfen keine Mitochondrien aber in den Zellgemischen auf dem Schal fanden sich auch noch Epithelzellen, die vermutlich aus dem Samenleiter mit dem Ejakulat herausgeschleudert worden waren. Auch aus diesen Zellen wurde die mtDNA analysiert. Als Vergleichsmaterial diente die DNA einer Frau, die von der Schwester Kosminskis abstammte, die aber ungenannt bleiben will. Da Kosminski und seine Schwester Matilda von der selben Frau abstammten, müssen sie identische mtDNA gehabt haben, so daß ein Vergleich hier durchaus sinnvoll ist. Die Epithelzellen enthielten jedoch so wenig DNA, daß Louhelainen erst noch ein Verfahren einsetzen mußte, um die DNA zu vermehren, die sogenannte „whole genome amplification“ (WGA), bei der durch zahlreiche PCRs mit Zufallsprimern die meisten Bereiche einer genomischen DNA oder eben mtDNA vervielfältig werden. Die mit WGA angereicherte mtDNA ließ sich dann sequenzieren und mit der von der ungenannten Frau vergleichen: wieder fand sich eine Übereinstimmung. Zudem gehörte die mtDNA aus der Spermaspur zur Haplogruppe T1a1, die häufig bei russisch-jüdischer Ethnizität vorkommt. Das heißt also, analog zur Blutspur, daß die ungenannte Frau und der Mensch, dessen Sperma sich auf dem Schal befindet, dieselbe mtDNA haben, entweder durch einen (unwahrscheinlichen) Zufall, oder weil sie einen gemeinsamen Vorfahren mütterlicherseits haben.
Eine Übereinstimmung von mtDNA wird in der forensischen Routine und im Gegensatz zu STR-Profilen nicht für eine eindeutige Zuordnung jenseits jeden Zweifels herangezogen. Dafür sind die einzelnen mtDNA-Haplotypen nicht selten genug und zudem kommt jede mit dem Tatverdächtigen in mütterlicher Linie verwandte Person ebenfalls als Spurenleger in Betracht. Die mtDNA ist aber dennoch nützlich, weil man mit ihr sicher Personen als Spurenleger ausschließen kann, nämlich dann, wenn ihre mtDNA nicht zu der in einer Spur passt. Insofern ist der „Beweis“, den Russell und Louhelainen hier für die Identität von Jack the Ripper vorgelegt haben wollen, alles andere als perfekt oder wasserdicht.
Andererseits haben wir hier zwei je mit der mütterlichen Linie des Opfers bzw. eines plausiblen Tatverdächtigen übereinstimmende mtDNA-Profile auf ein und demselben Asservat, das plausiblerweise mit einem Ripper-Mord in Verbindung zu bringen ist.
Meine abschließende Bewertung:
Fraglich ist und bleibt, warum J. Louhelainen für die Untersuchung gewählt wurde, warum kein NGS eingesetzt wurde, warum die Untersuchung so lange gedauert hat und warum man nicht einmal versucht hat, STRs zu untersuchen (gerade Y-STRs wären interessant gewesen, um eine väterliche Linie des Rippers verfolgen zu können). Die methodischen Details wären ebenfalls noch offenzulegen und es fehlt die Information, welchen Teil des D-Loops man untersucht hat und wie häufig die ermittelten Haplotypen in der Bevölkerung sind. Damit darüber hinaus die Belege nur auf die Weise interpretiert werden können, daß Kosminski der Ripper und Eddowes das Opfer war, müßte ausgeschlossen werden, daß die Spuren nicht auch irgendwie von in mütterlicher Linie mit diesen Verwandten stammen können (was vermutlich recht unwahrscheinlich ist).
Alle fraglichen Punkte zusammen genommen reichen jedoch für mich nicht, um die komplette Geschichte zu verwerfen. D.h., es ist forensisch möglich und nicht unplausibel, daß hier entscheidende Belege für die Identität von Jack the Ripper vorgelegt worden sind. Man darf sich nun fragen: hätte ich Kosminski aufgrund dieser Belege verurteilt und würde ich selbst gerne aufgrund solcher Belege verurteilt werden?
________
Nachtrag 15.09.2014: Ich habe dem skeptischen Podcast Hoaxilla ein Interview zum Thema für die Folge #168 “Ripper entlarvt?” gegeben. Hier geht’s zur mp3.
Kommentare (20)