Um die vorhersehbaren Einwürfe vorwegzunehmen: ich selbst messe meinem und dem Leben anderer Menschen einen unermesslich hohen Wert bei und finde die Vorstellung, es – und erst recht leichtfertig – fortzuwerfen, schwer erträglich, und zwar gerade weil danach höchstwahrscheinlich und entgegen religiöser Phantastereien nichts mehr kommt und für uns alles endet. Unser Leben ist das einzige, ist alles, was wir haben und haben werden, dieser „verschwindend kurze Augenblick, den wir uns gegen das entropische Fortgerissenwerden anzustemmen vermögen“ und die Wahrscheinlichkeit, daß es jede/n einzelne/n von uns gibt, ist atemberaubend gering.
Doch genauso sehr wie vom Wert des Lebens bin ich von der Eigenverantwortlichkeit und unbedingten Freiheit des Menschen überzeugt. Diese Eigenschaften verleihen uns die Kompetenz und die Berechtigung, unser Leben als sinnvoll und wertvoll und wert, fortzudauern, oder aber als qualvoll, unwürdig und schmerzvollen Weg unabsehbarer Dauer zu beurteilen. Niemand, kein anderer Mensch, kein Staat und erst recht kein Kleriker, hat das Recht, einem Lebensmüden den ernsthaft und vernunftvoll ersehnten Tod zu verwehren oder gar, einen solchen Wunsch als krankhaft zu verunglimpfen. Und da jeder Mensch anders mit Schmerz und Hoffnungslosigkeit umgeht, sind auch Durchhalteparolen oder die Aussicht auf theoretische Heilungsmöglichkeiten irgendwann in unbestimmter Zukunft keine Hilfe.
Jede Anspruchshaltung gegenüber Lebensmüden, wie sehr sie ihr Leben gefälligst zu schätzen hätten und welche Anstrengungen sie zu unternehmen und welches Leid sie zu ertragen hätten, um doch noch einmal Lebensmut zu schöpfen, gehen von einer Vorstellung des Werts dieses Lebens aus, die entweder einer religiösen Konvention oder der individuellen und – mit Verlaub – unerheblichen Privatauffassung des Aufmunternden entsprechen aber jedenfalls nicht der auf die es einzig und allein ankommt: die der betroffenen Person. Und selbst wenn man sich in die Position des/der Leidenden versetzen kann (was in den allermeisten Fällen nicht gegeben sein dürfte) und selbst wenn man selbst in dieser Lage anders handeln, anders entscheiden würde, so darf das und auch, was Jesus und Konsorten tun oder dazu sagen würde, keine, überhaupt keine Rolle für die Freiheit der betroffenen Person spielen, anders zu sein und anders zu entscheiden.
Ich plädiere deshalb dafür, daß jede Form der Sterbehilfe ungehindert nur denjenigen zuteil werden sollte, die in dieser Sache noch oder schon für sich selber entscheiden können (oder konnten), mehreren unabhängigen, neutralen (!) Gutachtern glaubhaft machen können, daß sie nicht mehr leben wollen und daß sie diese Entscheidung in voller Kenntnis aller verfügbaren Informationen und Alternativen und aller bekannten zu erwartenden Konsequenzen getroffen haben. Die Beispiele von Belgien und anderen Ländern lassen mich jedenfalls hoffen, daß man eines Tages auch in Deutschland, dem nicht selten zögerlichen Schlußlicht humanistischer Entwicklung, selbstbestimmt über seinen eigenen Tod wird entscheiden können.
In seiner Zukunftsvision „Futurama“ hat Matt Groening übrigens den Ausgang dieser gesellschaftlichen Debatte recht deutlich vorweggenommen: im Neu New York des 31. Jahrhunderts stehen wie selbstverständlich „Suizidzellen“ auf den Straßen, in denen sich Lebensmüde „ambulant“ und gegen ein geringes Entgelt auf individuell angepasste Weise aus dem Leben befördern lassen können…
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