Eigentlich ging es ja aber um den Zusammenhang zwischen Sp und der Erfolgsquote beim DNA-Profiling und um die Beantwortung der Frage, ab welchem Fäulnisgrad sich ein DNA-Profiling aus Weichgewebe nicht mehr lohnt. Dazu erstellten wir von einer Reihe Proben über das gesamte Si– und Sp-Spektrum DNA-Profile und fanden heraus, daß es eine signifikante Korrelation jeweils zwischen hohem Si (= gute DNA) bzw. niedrigem Sp (= niedriger Fäulnisgrad) und dem Profiling-Erfolg gab. (Bedingung: Ein DNA-Profil, das als für eine Identifikation tauglich bewertet wurde, mußte mindestens 8 erfolgreich typisierte STR-Systeme umfassen.) : Alle Proben mit einem Sp < 4 erbrachten volle DNA-Profile und alle Proben ohne auswertbares DNA-Profil hatten einen Sp ≥ 6. Allerdings hatten nicht alle Proben mit Sp ≥ 6 auch ein negatives Profiling-Ergebnis. In diesen Fällen half der Si weiter: ein Si von 0 zeigte immer an, daß das DNA-Profiling negativ verlaufen war.
Und was hat man nun davon?
Zusammenfassend kann man sagen, daß es mit dem Fäulnisscore Sp nun eine Messgröße gibt, die im Rahmen der Obduktion einer fäulnisveränderten Leiche sehr leicht und schnell und ohne zusätzlichen Untersuchungsaufwand von jedem erfahrenen Rechtsmediziner ermittelt werden kann (ein entsprechendes Formular haben wir erstellt, kann man sich aber auch leicht selber machen). Der Wert von Sp gibt dann Auskunft darüber, ob sich ein DNA-Profiling aus Weichgewebe noch lohnt, bzw. wie erfolgversprechend es ist. Bei Werten ≥ 6 kann dann schnell und kostengünstig (im Vergleich zur teuren Multiplex-STR-PCR) unsere Pentaplex-PCR durchgeführt und so der Si ermittelt werden, um weitere Hinweise auf die DNA-Integrität zu erhalten. Erst wenn danach ein DNA-Profiling aussichtslos erscheint, sollte man ein anderes DNA-Identifikationsverfahren, das etwas robuster gegen Fragmentierung ist, z.B. basierend auf SNPs oder DIPs, wählen oder auf die wesentlich aufwendigere und viel Zeit kostende STR-Analyse von DNA aus Knochen oder Zähnen ausweichen, um doch noch ein Profil zu erhalten.
Insbesondere bei DVI-Situationen, wo Hunderte bis Zehntausende Leichname zur Untersuchung stehen können, könnte das Sp/Si-Verfahren von Nutzen sein, um erheblich Zeit und Geld zu sparen, indem ohne Aufwand und schon vor jeder molekularbiologischen Analyse solche Leichen festgestellt werden können, bei denen DNA-Profiling aus Weichgewebe mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird bzw. solche, bei denen gleich die Verwendung von Knochenmaterial nahezulegen ist. Ein weiterer Aspekt von Interesse ist, daß sich auf Grundlage unserer Ergebnisse nun grundsätzlich die Verwendung von Nieren- oder Aortengewebe als Grundlage für ein DNA-Profiling fäulnisveränderter Leichen empfiehlt.
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* Anmerkung: In der Rechtsmedizin unterscheidet man zwischen den oft und fälschlicherweise synonym gebrauchten „Fäulnis“ und „Verwesung“: Fäulnis bezeichnet einen anaeroben bakteriellen, alkalischen Zersetzungsprozess auf reduktiver Grundlage, bei dem durch Gasbildung (v.a. H2S ) und Abspaltung von Ammoniak der typische, ammoniakalische Geruch entsteht. Verwesung hingegen ist ein trockener, saurer Prozess auf oxidativer Grundlage, bei dem durch Abspaltung von Säuren (wie H2CO3 und H3PO4) ein typischer, aromatisch-ranziger Geruch entsteht, zu dem sich bei Vermoderug des Gewebes noch ein ebenso typischer, muffiger Gruftgeruch gesellt.
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Referenzen:
[1] Courts, C., Sauer, E., Hofmann, Y., Madea, B., & Schyma, C. (2015). Assessment of STR typing success rate in soft tissues from putrefied bodies based on a quantitative grading system for putrefaction. Journal of forensic sciences, 60(4), 1016-1021.
[2] T. Schwark, A. Heinrich, N. von Wurmb-Schwark, Genetic identification of highly putrefied bodies using DNA from soft tissues, Int. J Legal Med 125 (2011) 891-4.
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