ResearchBlogging.org Warnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.

Eine besonders schlimme Art des Sexualdelikts und einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist die Vergewaltigung, die definiert werden kann als orale, vaginale oder anale Penetration, auch geringsten Ausmaßes, einer Person gegen deren Willen und ohne deren Zustimmung durch Anwendung oder Androhung psychischer oder körperlicher Gewalt, Einschüchterung oder Ausnutzung von Wehrlosigkeit.

Vergewaltigung kommt auch in Industrieländern jedes Jahr vieltausendfach vor und ist dabei zugleich eines der am seltensten angezeigten Verbrechen, so daß die Dunkelziffer weit über den offiziell gemeldeten Fällen liegen dürfte [2,3]. Die Untersuchung solcher Sexualdelikte kann sich als sehr problematisch erweisen, da sich oftmals die Schilderungen von Opfern und Tatverdächtigen widersprechen und keine weiteren Zeugen verfügbar sind. Daher ist die Analyse von biologischen Spuren, die gemäß Locard’scher Regel bei solchen Taten entstehen, und von deren Auffindeort häufig die einzige Möglichkeit, zu einer objektiven Beurteilung des Tathergangs zu gelangen. Vor der Analyse steht jedoch die Sicherung solcher Spuren, die entscheidend für den Erfolg der nachfolgenden Untersuchungen ist und dadurch behindert wird, daß Opfer von Sexualdelikten sehr häufig durch Verzögerung, Hygienemaßnahmen etc. die Spurensicherung erschweren.

Gewaltsamer Oralverkehr oder Fellatio wird einigen Studien zufolge für zwischen 10 und 25 % der Vergewaltigungsfälle berichtet [4-7]. Aus diesem Grund und weil davon auszugehen ist, daß Opfer aus Scham eine orale Vergewaltigung oft nicht anzeigen werden, gibt es einige Experten, die eine Probennahme aus dem Mundbereich grundsätzlich bei Opfern von Vergewaltigung durchführen wollen, unabhängig davon, ob orale Penetration angezeigt wurde oder nicht. Über die optimale Methode zur Sicherung von Spuren nach oraler Vergewaltigung besteht derzeit kein Konsens, zudem gibt es unterschiedliche Ansichten über das Zeitintervall nach einer Vergewaltigung nach dem noch Spermien im Mund des Opfers auffindbar sind [8-10].

In einer Studie im Journal of Forensic Sciences [1] haben Katherine Roberts und Kollegen daher nun zwei Methoden zur Sicherung von Spermien aus dem Mund verglichen: Abriebe der Mundinnenflächen mit einer Bakteriette vs. Zahnseidebenutzung.

 

Probanden und Proben

Besondere Sorgfalt wurde bei dieser Studie auf die Zusammenstellung des Probandenkollektivs und die Erzeugung und Sammlung von Testspuren gelegt:

Es gab zwei Gruppen von Probanden. Für Gruppe I wurden insgesamt 86 Proben von neun monogamen, sexuell aktiven Paaren (hetero- und homosexuelle) eingereicht, zu deren üblichen Sexualpraktiken auch Oralverkehr gehörte. Die Paare mußten zu fünf verschiedenen Gelegenheiten Oralverkehr mit Ejakulation in den Mund ausüben. Die Proben aus dem Mund nach den Ejakulationen wurden nach 1,5, 3, 6, 12 und 24 Stunden (postcoitales Intervall, PCI) entnommen. Dabei wurde immer nur eine Probe pro Ejakulat entnommen (also beim ersten Verkehr nach 1,5 Stunden, beim zweiten Verkehr nach 3 Stunden usf.). Gruppe II  umfasste ebenfalls neun Paare, wurde aber um ein PCI von 0 Stunden (= direkt nach der Ejakulation) erweitert (also insgesamt sechs) und erbrachte 88 Proben.

abrieb wz-newsline.deAlle Probennahmen verliefen dabei wie folgt: der Rezipient des Ejakulates rieb zuerst seine/ihre Mundhöhle (Innenseiten von Ober- und Unterkiefer, Zahnfleisch, Wangeninnenseiten und Lippen) mit einer einzelnen DNA-freien, forensischen Bakteriette (s. Abbildung) ab. Danach wurde je ein Einmal-Zahnseidestick verwendet, um die oberen bzw. unteren Zahnzwischenräume zu erreichen. Vor dem Oralvekehr hatte der Rezipient bereits auf die gleiche Weise Negativproben bei sich selbst entnommen.

Die Rezipienten waren gebeten, jeweils 3 Tage zwischen den Testejakulationen keinen Oralverkehr auszuüben. Außerdem sollten sie während der Testphase auf die Verwendung von Zahnseide verzichten. Die Ejakulatspender hingegen waren gebeten, während der Testperiode nicht mehr als einmal pro Tag zu ejakulieren und nicht an aufeinanderfolgenden Tagen. Diese Maßnahmen sollten eine möglichst gleichbleibende Spermienmenge pro Ejakulat sicherstellen. Als Positivkontrolle wurde zudem von jedem Ejakulatspender eine Probe reinen Ejakulats auf einem Baumwolltupfer angefertigt und eingereicht. Jeder Rezipient mußte außerdem eine Art Logbuch schreiben und notieren, wie oft er/sie während des PCI folgende Aktivitäten ausgeübt hatte: essen, trinken, Zähne putzen, Mundwasser benutzen, rauchen, Kaugummi kauen und küssen.

Extraktion und Zählung

Nach einer Kontrolle der Qualität/Effizienz der Entnahmeprozedur bzw. der Aussagefähigkeit der Ergebnisse durch Untersuchung der Positivkontrollen bzw. der Negativkontrollen auf Spermagehalt, wurden die Proben einem differentiellen Extraktionsverfahrens unterzogen. Dieses Verfahren ermöglicht eine Abtrennung der störenden Mundschleimhautzellen aus den Proben. Danach wurden die aufgereinigten Spermien mikroskopisch gezählt und die Zählergebnisse nach folgendem (etwas subjektiven) Schema klassifiziert:

Wenige            weniger als fünf Spermien gezählt
+                     Spermien schwer zu finden
++                   einige Spermien im selben Zählfeld, leicht zu finden
+++                 viele Spermien oder Spermien in den meisten Zählfeldern
++++               viele Spermien in jedem Zählfeld

 

Ergebnisse

Ich fasse die ziemlich detailliert aufgeführten Ergebnisse hier einmal stark zusammen, um das herauszustellen, worauf es ankommt.

Es wurde für beide Gruppen ein signifikanter Effekt des PCI auf die Anzahl zu bergender Spermien festgestellt. Je länger das PCI, desto weniger Spermien ließen sich noch erhalten. Die Abriebtechnik scheint dabei bessere Ergebnisse (= mehr Spermien) zu erzielen als die Zahnseidemethode (s. Abbildungen), der Unterschied zwischen den Methoden war jedoch nicht signifikant.

 

graph 2

Erfolgsquoten der beiden Methoden als Funktion über das PCI

 

Das ist plausibel, da die Bakterietten über eine größere Oberfläche zur Ansammlung von Spermien verfügen, als Zahnseidesticks und auch größere Oberflächen abtasten. Hinzu kommt noch, daß zuerst der Abrieb und dann die Zahnseidebehandlung vorgenommen wurde.

Von jeweils 87 untersuchten Proben konnten Spermien bei 55 der Abriebe und an 40 der Zahnseidensticks festgestellt werden. Bei den spermienpositiven Abrieben waren 22 der korrespondierenden Zahnseidestick spermiennegativ und umgekehrt waren von den spermienpositiven Zahnseidesticks nur sieben korrespondierende Abriebe spermiennegativ und die höchsten Spermienzahlen in der Studie wurden bei einer Abriebprobe festgestellt. Allerdings erbrachte die Zahnseidemethode in sieben Proben auswertbare Spermien, für die die Abriebmethode komplett negativ war und drei von diesen Proben waren nach dem maximalen PCI von 24 h und nach intensiver berichteter oraler Aktivität gewonnen worden.

Wenn man nun die Abriebmethode allein und in Kombination mit der Zahnseidemethode vergleicht mit den Ergebnissen einer früheren Arbeit [11] über den Erfolg bei der Verwendung von “sexual assault kits” (gebrauchsfertige Zusammenstellung von Materialien zur systematischen Spurensicherung und Dokumentation nach Sexualdelikten) nach echten Fällen oraler Vergewaltigung (A, s. Tabelle), dann fällt auf, daß die Erfolgsquote bei den echten Fällen bei einem PCI von 0-6 Stunden niedriger und bei längeren PCI höher liegt als in der kontrollierten Studie.

table 1

A) Daten aus [11]; B) vorliegende Studie, nur Abriebmethode; C) vorliegende Studie, Abriebe und Zahnseidemethode

Für diese Unterschiede könne es, so die Autoren, mehrere Gründe geben. Die Art der Proben- bzw. Spurentstehung (freiwillig vs. gewaltsam /unter Gegenwehr), sowie Art und Umfang der Hygienemaßnahmen der Opfer nach der Tat habe sehr wahrscheinlich einen Einfluss, zudem seien PCI und auch die Abstinenzzeiten der Täter in der Fallstudie nicht bekannt. Auch müsse eine mögliche Kondomnutzung von Tätern einbezogen werden. Die schlechtere Erfolgsquote in der Studie bei PCI > 7 Stunden könne u.a. durch die umfangreichen dokumentiertern oralen Aktivtäten der Probanden begründet sein. Zudem sei nicht bekannt, wie die Proben aus der Fallstudie aufbereitet und quantifiziert worden waren, so daß auch Unterschiede in diesen Verfahren Einfluss auf die Ergebnisse haben konnten. Was die Tabelle schließlich auch noch zeigt: die kombinierte Methode (C) erzielt mehr positive und weniger negative Ergebnisse, als die Abriebmethode alleine (B).

Welchen Schluß oder welche Empfehlung kann man nun aus diesen nicht sonderlich spektakulären Daten ziehen? Es scheint empfehlenswert zu sein, zusätzlich zu (aber keinesfalls anstatt der) ohnehin standardmäßigen Bakteriettenabrieben der Mundhöhle des Opfers einer oralen Vergewaltigung auch Zahnseidesticks zur Sicherung von Spermien aus den Zahnzwischenräumen zu verwenden, um die Erfolgswahrscheinlichkeit für die Gewinnung von Spermien zu erhöhen. Erwartungsgemäß sinkt die Wahrscheinlichkeit, Spermien aus dem Mund eines Opfers zu sichern mit dem PCI nach der Tat, jedoch kann in einigen Fällen (ggf. in knapp 50%) auch bis zu 24 h nach der Tat und trotz Durchführung normaler oraler Aktivitäten die Sicherung von Spermien noch gelingen, wenn die Sicherungsmethoden kombiniert werden.

__________

Referenzen:

[1] Roberts, K., Johnson, D., Cruz, S., Simpson, H., & Safer, A. (2014). A Comparison of the Effectiveness of Swabbing and Flossing as a Means of Recovering Spermatozoa from the Oral Cavity Journal of Forensic Sciences, 59 (4), 909-918 DOI: 10.1111/1556-4029.12423

[2] Tjaden P, Thoennes N. Extent, nature, and consequences of intimate partner violence: findings from the National Violence Against Women Survey. Publication No.:NCJ181867. Washington, DC: U.S. Department of Justice, 2000. https://www.ncjrs.gov/pdffiles1/nij/181867.pdf.

[3] Langton L, Berzofsky M. Victimizations not reported to the police, 2006–2010. Publication No.: NCJ238536. Washington, DC:U.S. Department of Justice, 2012. https://bjs.ojp.usdoj.gov/content/pub/pdf/vnrp0610.pdf

[4] Riggs, N., Houry, D., Long, G., Markovchick, V., & Feldhaus, K. M. (2000). Analysis of 1,076 cases of sexual assault. Annals of emergency medicine, 35(4), 358-362.

[5] Hohenstein E, Kennedy A. Sexual assault risk reduction curriculum, 2001. https://www.sandiego.gov/police/pdf/curriculum.pdf.

[6] Slaughter, L., Brown, C. R., Crowley, S., & Peck, R. (1997). Patterns of genital injury in female sexual assault victims. American journal of obstetrics and gynecology, 176(3), 609-616.

[7] Willott, G. M., & Crosse, M. A. (1986). The detection of spermatozoa in the mouth. Journal of the Forensic Science Society, 26(2), 125-128.

[8] Shaler RC. Modern forensic biology. In: Saferstein R,editor. Forensic science handbook, Vol.1. 2 nd edn.Upper Saddle River, NJ:Prentice Hall,2002;230.

[9] Enos WF, Beyer JC. Letters to the editor: treatment of rape victims. J Forensic Sci 1977; 22 (1):3–4.

[10] Enos WF, Beyer JC. Spermatozoa in the anal canal and rectum and in the oral cavity of female rape victims.JForensicSci1978;23 (1):231–3.

[11] Peterson J, Johnson D, Herz D, Graziano L, Oehler T. Publication No. 238500. Sexual assault kit backlog study, NIJ 2006-DN-BX-0094,2012. www.ncjrs.gov/pdffiles1/nij/grants/238500.pdf

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Kommentare (3)

  1. #1 rolak
    17/10/2014

    Es scheint an allen Ecken und Enden noch Möglichkeiten zur Verbesserungen der Aufklärungsrate zu geben – in diesem Falle mal nicht durch eine neue bahnbrechende Technik, sondern intensiviertes sampling. Interessant.

    Wegen des Materials und der schier unausrottbaren Unsitte, den Opfern eine Provokation anzudichten: Satin & Silk.

  2. #2 Ludger
    18/10/2014

    Mich wundert, dass man den mikroskopischen Nachweis in der Kammer anstrebt und nicht einen fluroszenzmikroskopischen Nachweis. Oder ist der Gebrauch der Kammer dem Forschungsansatz geschuldet?

  3. #3 Cornelius Courts
    20/10/2014

    @Ludger: “und nicht einen fluroszenzmikroskopischen Nachweis”

    ich bin nicht sicher, wie gut man fluoreszenzmikroskopisch zählen kann (es ging ja hier um die Quantifizierung). Vielleicht hatten sie aber auch nur kein entsprechendes Gerät…