Warnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Schon wieder ein rechtsmedizinischer Fallbericht, bei dem die Autoren einen “Abdruck” der verstorbenen Person mit den angeblichen Hinterlassenschaften eines angeblichen Religionsgründers auf seinem angeblichen Grabtuch vergleichen? Ja, in der Tat. Damals war es ein Gesichtsabdruck auf einem Lastwagen nach einem Unfall und ich stellte fest, daß “Abgar-Bild” eine treffendere Bezeichnung gewesen wäre. Diesmal ist es ein Artikel mit dem Titel “Could the Shroud of Turin be an effect of post-mortem changes?” (Ü: “Könnte das Turiner Grabtuch eine Auswirkung post-mortaler Veränderungen sein?”) im Journal Forensic Science, Medicine and Pathology [1]. Die Echtheit des Turiner Grabtuch ist natürlich hoch umstritten und es gibt keinerlei belastbare Belege dafür und viele dagegen (und daß es Jesus sehr wahrscheinlich nicht gab, ist nur einer davon). Über seine Entstehung existieren diverse phantastische Geschichten und Theorien [2] und über dieses Tuch wurde schon sehr viel gesagt und geschrieben, auch in der medizinischen Fachliteratur [3]. Ich will mich hier deshalb gar nicht daran abarbeiten, sondern mich damit begnügen, die Abbildung aus der Wikipedia zu reproduzieren, um die Hypopthese (s.u.) der Autoren zu illustrieren:
Zum Fall: ein 71-jähriger Mann wurde tot in seiner verschlossenen Wohnung aufgefunden, wo er im Flur auf dem Bauch lag. Das Gesicht lag mit der rechten Seite auf, beide Arme waren in den Ellenbogen angewinkelt, der rechte Arm lag unter der Brust, der linke neben dem Körper auf dem Boden. Der Leichnam war mit einer Unterhose und Socken bekleidet und wies bereits deutliche Fäulnisanzeichen (grünlich-braune Verfärbung des gesamten Körpers, Madenbefall, Waschhaut) auf (wer sich über mögliche Fäulnisveränderungen einer Leiche informieren möchte, klicke hier. ) Nachforschungen ergaben, daß der Verstorbene einige Wochen von niemandem mehr gesehen worden war und aus seiner medizinischen Vorgeschichte ging hervor, daß er an Bluthochdruck, Diabetes und Magenproblemen gelitten hatte.
Als die Leiche für weitere Untersuchungen von ihrer Liegeposition entfernt wurde, wurde ein umfangreicher, rot-brauner Fleck sichtbar, der offenbar durch ausgetretene Fäulnisflüssigkeit entstanden war und in seiner Ausprägung und Umriss exakt die Form und Position des Leichnams abbildete. Insbesondere konnte man die Positionierung der Arme (s.o.) und sogar die durch die Unterhose bekleidete Stelle genau nachvollziehen:
Äußere Leichenschau und Obduktion des 168 cm großen, 51 kg schweren Leichnams erbrachten keinerlei Hinweise für äußere Verletzungen oder Traumata. Die Magenschleimhaut wies zahlreiche punktförmige Einblutungen auf, zudem waren mittelgeradige, altersentsprechende Kalkablagerungen an den Herzklappen zu erkennen. Die weiteren inneren Organe waren ohne pathologischen Befund, die Todesursache blieb nach Obduktion zunächst unklar. Die Ergebnisse der anschließenden toxikologischen Untersuchung wiesen jedoch auf ein mögliches diabetisches Koma hin (68 mg/kg Aceton im Muskelgewebe).
Fäulnisveränderungen wie in diesem Fall können die Untersuchung und Obduktion Verstorbener erheblich erschweren: durch Autolyse kommt es zu einer Zersetzung der inneren Organe und Gewebe, was einer Verteilung von Bakterien durch den gesamten Leichnam Vorschub leistet. Im Verlaufe ihrer Aktivität erzeugen diese dann Faulgase, die den Körper auftreiben und die oberen Hautschichten sich ablösen lassen (Waschhaut). Außerdem wird durch den so aufgebauten Gasdruck faulige, bluthaltige hämolytische Flüssigkeit aus den Körperöffnungen ausgetrieben. Noch später haben sich die Organe verflüssigt und die oberflächlichen Gewebe beginnen einzutrocknen.
Die Hypothese Manchmal, wie im hier besprochenen Fall, kommt es vor, daß die ausgetriebene Fäulnisflüssigkeit die Unterlage des Leichnams, z.B. ein Bett oder einen Teppich, regelrecht durchtränkt und dabei die Umrisse seiner Position exakt abbildet. Diese Form des post-mortalen Abdruckbildes ist selten und erinnerte die Autoren an das Turiner Grabtuch. Ihre Hypothese lautet, daß die Entstehung der Abdrücke auf dem Grabtuch durch austretende Fäulnisflüssigkeit aus dem Leichnam begünstigt worden sein könnte. Die normalen Fäulnisveränderungen einer Leiche würden aber wohl kaum die auf dem Tuch erkennbaren Details erklären, wie die Autoren einräumen und dabei auf die Abbildung des konkreten Falles (s.o.) verweisen. Sie argumentieren jedoch, daß verschiedene Einflüsse, die plausiblerweise am Sterbeort hätten vorhanden sein können (hohe Temperatur, trockene Luft und Luftzug) parallel auftretende und jeweils Teile des Leichnams betreffende Prozessen von Fäulnis und Mumifikation hätten bedingen können. Die Austrocknung von Gesichtshaut und Extremitäten hätte dann zu der detaillierten Abbildung des toten Mannes auf dem Tuch beigetragen, die durch “nasse” Fäulnis allein nicht erklärlich wäre. Die Vetrocknung und Ausbleichung der Fäulnisflüssigkeit auf dem Tuch über die Jahrhunderte hätte dann sein heutiges Aussehen verursacht und erklärt auch den Unterschied zur Erscheinung des frischen Abdrucks im besprochenen Fall.
Tja. Die Leute kommen auf Ideen…
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Referenzen:
[1] Tattoli, L., Tsokos, M., & Buschmann, C. (2014). Could the Shroud of Turin be an effect of post-mortem changes? Forensic Science, Medicine, and Pathology, 10 (3), 469-471 DOI: 10.1007/s12024-014-9547-6
[2] Clarkson, J. D. B. (1983). A possible origin for the Turin shroud image. Medical hypotheses, 12(1), 11-16.
[3] Bevilacqua, M., Fanti, G., D’Arienzo, M., & De Caro, R. (2014). Do we really need new medical information about the Turin Shroud?. Injury, 45(2), 460-464.
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Bildquelle:
[a] Giuseppe Enrie, 1931 [Public domain], via Wikimedia Commons
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