Aber auch losgelöst von „Rassen“ oder Ethnien ist die genetische Fixierung der Intelligenz und die Suche nach „IQ-Genen“ allein bereits sehr kontrovers. Schätzungsweise sind etwa 50% der Intelligenz vererblich und obgleich bis heute keine Belege für den starken Einfluss eines einzelnen Gens auf den IQ gefunden wurden, entdeckte letztes Jahr die Gruppe um C. Rietveld drei genetische Varianten, die einen kleinen Einfluss auf die Dauer der Schulzeit eines Individuums zu haben scheinen. Die Autoren vermuteten daraufhin, daß sich dieser Effekt auf einen möglichen Einfluss der Varianten auf die Intelligenz zurückführen lasse. Auch hier gab es einen Sturm der Empörung, es wurde geäußert, solche Forschung sei auf gefährliche Weise unmoralisch und es wurden gar Bedenken über möglichen Mißbrauch und Eugenik laut.
Im selben Jahr hatte S. Hsu eine Studie an Hochintelligenten (IQ > 150) begonnen, um die genetischen Grundlagen der Intelligenz zu erforschen und auch er hatte harsche Kritik schon allein für das Vorhaben erfahren. Wenn wirklich „Intelligenzgene“ gefunden würden, dann würden, so ein Kritiker, wohl bald die Chinesen anfangen, Embryonen auf möglichst gute Gene hin zu selektieren. Ein anderer Kritiker bezeichnete die Arbeit als staatlich geförderte Selektion für geniale Kinder. Auch hier waren die wissenschaftlich begründeten Argumente (z.B., daß der erbliche Einfluss auf die Intelligenz extrem komplex ist und sich höchstwahrscheinlich unter Beteiligung hunderter bis tausender Varianten vollzieht) nur ein unwesentlicher Teil der Kritik.
Weitere mit Tabus behaftete Forschungsansätze befassen sich mit den genetische Einflüssen auf die Neigung zu Gewalt bzw. gewalttätigem Verhalten sowie die Sexualität, speziell in Hinsicht auf die sexuelle Orientierung. Beim Versuch beispielsweise, vorherzusagen, ob ein Mensch gewalttätig bzw. ein verurteilter Gewalttäter rückfällig wird, sind Einflüsse der Umwelt und der Gene kaum voneinander zu trennen (die alte nature-nurture-Debatte). Was, wenn ein Angeklagter sich auf eine Genvariante, vielleicht gar einen Defekt beruft, der sein Verhalten beeinflusst hat und demnach seine Schuld mindern müsste? In den USA und Italien haben sich Richter bereits dazu bewegen lassen, aufgrund möglicher genetischer Einflüsse auf die Schuldfähigkeit der Angeklagten die Strafe zu mildern. Andere Richter wiesen solche Eingaben jedoch zurück. Es gibt also keinen Konsens und die Diskussion, einen wie großen und welche Art von Einfluss überhaupt genetische Variation auf das Verhalten nehmen kann, wird bis zu den Grundfesten der philosophischen Idee des freien Willens und ihrer juristischen Haltbarkeit führen und erhebliche Kontroversen entzünden.
Ob es, endlich, ein „schwules Gen“ gibt (oder geben kann), ob es also einen rein biologischen Grund für die sexuelle Orientierung eines Menschen gibt, ist für die moralische Bewertung derselben (ob ein Mensch also „dafür kann“ oder nicht, wie er/sie empfindet) entscheidend und bezeichnenderweise bevorzugen die „verfeindeten“ Lager, Homo-Aktivisten auf der einen und Fundamentalreligiöse auf der anderen Seite, unterschiedliche Theorien. Befunde, wie die von D. Hamer, der 1993 eine Region auf dem X-Chromosom mit Homosexualität in Verbindung und damit Indizien für eine mögliche biologische Ursache vorbrachte, wurden von Rechtskonservativen heftig angegriffen und die kalifornische Kampagne, mit der 2008 erfolgreich ein Verbot der Homoehe verhindert wurde, führte u.a. Indizien für genetische Grundlagen der Homosexualität als Argumente ins Feld. Forschungsansätze, hingegen, die z.B. umweltbedingte, epigenetische Einflüsse auf die sexuelle Orientierung belegen, könnten wiederum auf Kritik von Homo-Aktivisten stoßen, deren Argumentation auf der genetischen Fixierung beruht.
Oft werden Zweifel angemeldet, daß man Mißbrauch von Forschungsergebnissen überhaupt verhindern kann, wenn diese Ergebnisse erst einmal in der Welt sind. Dem liegt die Annahme zugrunde, daß Wissenschaft und ihre Befunde stärker als in Wirklichkeit der Fall determinierend und insbesondere das die Gene unser (unentrinnbares) Schicksal sind. Eine Gefahr besteht darin, daß aufgrund dieser Annahme Entscheidungen getroffen werden, die auf lange Sicht der Wissenschaft und der Gesellschaft schaden. Was meinen die LeserInnen? Sollten bestimmte Forschungsansätze tabu und z.B. von öffentlicher Förderung ausgeschlossen sein oder muß alles erforscht werden dürfen und mögliche Zumutungen durch die Ergebnisse ausgehalten werden?
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