Tumorfördernde Entzündungsreaktionen: Über die Mikroumgebung von Krebszellen und deren wichtigen Einfluss auf Entstehung und Progression von Krebs habe ich bereits in der Folge zur Gefäßneubildung gesprochen. Insbesondere Wechselwirkungen mit Zellen des Immunsystems, die in verschiedenen Mengen nahezu in jedem Tumor zu finden sind, spielen eine wichtige Rolle und im Zentrum des Interesses steht die durch diese Zellen vermittelte Entzündungsreaktion. Lange Zeit dachte man, daß es sich dabei vor allem um den Versuch des Immunsystems handelt, den Tumor zu zerstören und in der Tat ist es für Tumorzellen sehr wichtig, den Angriffen der Immunantwort zu entgehen. Doch die Entzündungsreaktion in und bei Tumoren hat auch eine dunkle, paradoxe Seite: sie beschleunigt die Krebsentstehung und –progression und vor allem die Aktivität der angeborenen Immunkomponente hilft neu entstandenen Krebszellen dabei, einige der sechs Kennzeichen zu entwickeln, indem sie bestimmte bioaktive Moleküle in der Mikroumgebung des Tumors freisetzt, darunter Wachstumsfaktoren, die die Zellteilung fördern, Überlebensfaktoren, die die Apoptose einschränken, sowie proangiogene Faktoren und die extrazelluläre Matrix modifizierende Enzyme, die Gefäßneubildung, Gewebeinfiltration und Metastasierung begünstigen [1,2]. In einigen Fällen konnte gezeigt werden, daß Entzündungsprozesse schon in den frühesten Anfangsstadien von Tumoren feststellbar waren und eine maßgebliche Rolle bei der Entwicklung früher Neoplasien in ausgewachsene Tumoren spielen [3,4]. Die Entzündungsprozesse können sogar die oben schon eingeführte „begünstigende Eigenschaft“ der genetischen Instabilität fördern, indem bestimmte Entzündungszellen Chemikalien wie reaktive Sauerstoffspezies ausscheiden, die die DNA beschädigen und hochgradig mutagen sind [5].
Wichtig für das Verständnis von Krebs ist, sich einen Tumor nicht, wie es früher üblich war, als undifferenzierte Masse identischer Zellen vorzustellen, sondern als hochkomplexe Struktur, die wie ein eigenes kleines (oder nicht mehr so kleines) Organ aus zahlreichen verschiedenen individuellen Zelltypen aufgebaut ist.
Und dieses „Organ“ schwebt nicht im luftleeren Raum, sondern ist eingebettet in die bereits erwähnte Tumor-Mikroumgebung, als das direkt umgebende, selbst zwar nicht maligne Gewebe, welches der Tumor manipulieren und nach seinen Bedürfnissen formen kann.
Auf einen besonders wichtigen Krebszelltypus, die Krebsstammzelle, möchte ich noch etwas näher eingehen, da auf diesem Konzept eine einflussreiche Theorie zur Krebsentstehung aufbaut, die in den 90er Jahren vorgestellt wurde, als man langsam begann, die enorme Heterogenität von Tumoren zur Kenntnis zu nehmen. Krebsstammzellen stellen demnach gewissermaßen das Fundament eines Tumors dar, indem sie ihn initiieren und seine Progredienz vorantreiben. Sie tragen die Mutationen in Onkogenen und Tumor-Suppressorgenen, welche Krebs als genetische Erkrankung definieren.
Die Existenz von Krebsstammzellen (CSC) kann zwar noch nicht als sicher erwiesen gelten, die bisher erbrachten Belege sind jedoch recht überzeugend und man geht inzwischen davon aus, daß Krebsstammzellen in vielen wenn nicht den meisten Tumoren, zwar stark unterschiedlich häufig, vorkommen. Die Existenz von CSC wurde erstmals für (nicht-solide) Tumoren des blutbildenden Systems, die Leukämien auslösen, angenommen. Später wurden sie auch in soliden Tumoren beschrieben. Ihre Bezeichnung rührt daher, daß sie sich viele Eigenschaften, z.B. an ihrer Oberfläche ausgeprägte Proteine und Teile ihres Genexpressionsprofils mit normalen Stammzellen teilen. CSC sind dabei definiert durch ihre Fähigkeit, neue Tumoren hervorzubringen, wenn sie allein in eine Versuchsmaus eingesetzt werden [6]. Sie können sich sowohl selbst erneuern (also gleichartige Kopien von sich erzeugen) also auch stärker differenzierte Tochterzellen hervorbringen, die später die Hauptmasse eines Tumors ausmachen. Ihr eigentlicher Urspurung ist noch nicht geklärt und seit ihrer ersten Beschreibung wird intensiv an CSC, ihrer Entstehung, phänotypischen Plastizität und ihrem Einfluss auf Verhalten, Progression, Metastasierung und Ausbildung von Therapieresistenzen bei Tumoren geforscht und um nicht den Rahmen zu sprengen, muß ich mich hier damit bescheiden, zumindest das Konzept vorgestellt zu haben.
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