Ausblick
Krebs ist eine sehr verbreitete Krankheit, deren Häufigkeit in einer alternden Gesellschaft immer noch zunehmen wird. Als erhebliche epidemiologische Komplikation könnte sich zudem die Volkskrankheit Übergewicht erweisen, da sich inzwischen die Befunde mehren, die einen Zusammenhang zwischen Adipositas und verschiedenen Formen von Krebs belegen. Eine Hochrechnung für die USA geht von einer halben Million zusätzlicher Krebserkrankungen im Zusammenhang mit Fettleibigkeit bis zum Jahr 2030 aus! Erst seit kurzem hat man begonnen, die Mechanismen zu verstehen, die diesen Zusammenhang begründen [7,8]. Fettleibigkeit stört demnach u.a. die Funktion der Adipozyten im Energiestoffwechsel, was Entzündungsreaktionen (s.o.) auslösen kann und wichtige zelluläre Signalwege beeinträchtigt. Außerdem verursacht Fettleibigkeit Veränderungen der Insulinsignalwege und die Deregulation des Lipidstoffwechsels, was beides die Entwicklung von Krebs begünstigen kann.
Dank intensiver Forschung und der Umsetzung ihrer Ergebnisse in therapeutische Ansätze haben sich die Chancen, eine Krebserkrankung zu überleben oder zumindest die Überlebenszeit mit einem Tumor stark erhöht. Dennoch sind wir von der zuverlässigen Heilung, ja selbst der nebenwirkungs- und belastungsarmen Behandlung der meisten Tumoren noch weit entfernt. Es gibt aber immer wieder und aus verschiedenen biomedizinischen Forschungsrichtungen Signale, die Anlass zur Hoffnung geben und zum Abschluß dieses Artikels möchte ich ein wenig den Blick über den Forschungshorizont streifen lassen und einige dieser Ansätze kurz erwähnen:
Als micro-RNA-Fan brauche ich dabei gar nicht in die Ferne zu schweifen, denn zu meiner Freude kommen viele Ideen und Konzepte aus der micro-RNA-Forschung. Kein Wunder, denn die Rolle von miRNAs (Stichwort: onco-miR) bei der Entstehung und Progression verschiedener Tumore ist inzwischen gut erforscht. Micro-RNAs eignen sich daher sowohl als diagnostische Marker für die (Früh)Erkennung verschiedenster Tumore als auch als therapeutische Ziele oder sogar Therapeutika. Ein Beispiel für letzteres findet sich am Ende des Artikels zur Metastasierung.
Andere Forscher, wie J. Bradner, sind überzeugt, daß epigenetische Techniken therapeutische Erfolge erzielen können. Epigenetische Modifikationen an der DNA weisen die Zelle an, wie sie die in der DNA codierte Information interpretieren müssen, wodurch die Identität der Zelle, als Muskel- oder Blut oder eben als Krebszelle definiert wird. Es gibt inzwischen zahlreiche Befunde, die auf die Rolle epigenetischer Fehlregulation in Krebszellen hinweisen und Bradners Idee ist, ein Medikament herzustellen, das die epigenetischen Markierungen der entarteten Zellen repariert, so daß diese „vergessen“, daß sie eigentlich Krebszellen sind und sich nicht mehr wie unkontrollierte Krebszellen verhalten. Als Ziel seines therapeutischen Ansatzes hat er vor allem das Protein Myc im Auge, das bei bis zu 70% aller Tumoren eine wichtige Rolle spielt, das aber von bisher eingesetzten Medikamenten nicht erreicht werden kann. Daß seine Methode im Prinzip funktioniert, hat er bereits an Mausmodellen für das Mutiple Myelom gezeigt [9] und auch andere Gruppen, denen er seinen Wirkstoff, genannt JQ1, zur Verfügung stellte, wiesen dessen therapeutische Wirkung gegen Krebs nach [10].
Aber auch die „klassische“ Pharmazie ist noch keineswegs am Ende. Mit immer besseren Screening-Techniken können immer häufiger neue und vielversprechende Wirkstoffe aus vielen Tausenden von Testsubstanzen entdeckt, analysiert und zunächst an Tiermodellen erprobt werden. Ein aktuelles Beispiel stellt EBC-46 dar, ein Diterpen-Ester, dessen Injektion in Hauttumoren bei Mäusen nicht nur eine bemerkenswert schnelle Zerstörung der Geschwulst, sondern auch eine echte Heilung der Mäuse bewirkte [11]. In der Zukunft lassen sich diese modernen Screening-Verfahren möglicherweise mit den Ergebnissen von NGS-Analysen individueller Tumoren (s.u.) integrieren und so könnten individuelle Wirkstoffe gegen einzelne Tumoren identifiziert werden.
Sogar Mathematiker haben sich dem Kampf gegen den Krebs verschrieben. Die Biomathematikerin F. Michor forscht jedoch nicht an neuen Wirkstoffen, sondern argumentiert, daß die zur Verfügung stehenden Chemotherapeutika nach einem völlig veralteten und vor allem suboptimalen Schema verabreicht werden. Sie hat ein von der evolutionsbiologischen Dynamik der Tumorentwicklung ausgehendes und auf Markov-Ketten basierendes mathematisches Modell entworfen, mit dem sich die optimalen Zeitpunkte und Dosen, mit denen die Chemotherapeutika zu verabreichen sind und die eine Resistenzentwicklung möglichst verhindern, berechnen lassen. Ein Beispiel ist die Behandlung von kleinzelligem Lungenkrebs mit dem Medikament Erlotinib [12,13]. Die Theorie funktionierte in ersten Laborexperimenten so gut, daß das Verfahren nun sogar seit letztem Herbst klinisch an Patienten mit dieser Form von Lungenkrebs getestet wird. Im Prinzip kann aber jedes, nach einem bestimmten Schema ablaufendes Therapieverfahren, z.B. auch Bestrahlung, durch mathematische Modellierung verbessert werden und in der Idee steckt sehr viel Potential.
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