Vielleicht lohnt sich auch ein Blick in die Nacktmulle (nicht Haie, entgegen einem populären Irrtum) und die therapeutische Nachahmung des Mechanismus, der sie so enorme resistent gegen Krebs macht. Der „Trick“ der Nacktmulle ist das „frühe Kontakthemmung“ (engl. early contact inhibition, ECI) genannte Phänomen, welches das Wachstum von Zellen einschränkt, sobald sie miteinander oder der extrazellulären Matrix in Kontakt kommen und das bei Nacktmullen offenbar sehr ausgeprägt ist. Seit kurzem erst weiß man jedoch, wie ECI in Nacktmullen funktioniert: sie produzieren ein besonderes hochmolekulares Hyaluronan, das sechs Mal länger als das in Menschen vorkommende ist und das Zellen, wenn es an bestimmte Oberflächenproteine bindet, offenbar extrem empfänglich für ECI macht [14]. Im Labor zeigte sich, daß es dieses langkettige Hyaluronan ist, daß die Tiere so wirksam vor Krebs schützt. Es ist nun geplant, diese Erkenntnisse auf ihren therapeutischen Nutzen bei menschlichen Krebserkrankungen hin zu erforschen.
Ganz besonders hohes Potential in der Krebstherapie kommt, endlich, der Technik des NGS zu: Ich hatte schon einmal angedeutet, daß die grobe und teilweise aufgrund äußerer Merkmale vollzogene Klassifizierung und damit auch Behandlung von Tumoren, wie sie heute noch vielfach üblich ist, die eigentliche und enorme Heterogenität dieser Gebilde ignoriert und keineswegs immer die beste Option für betroffene Patienten darstellt [15]. Die durch die oben erwähnte genomische Instabilität bedingten Mutationsereignisse in den Tumorzellen bringen eine unvorstellbare genotypische Vielfalt hervor [16], die durch die herkömmlichen diagnostischen Kategorien nicht einmal ansatzweise abgebildet wird, jedoch für eine optimale und auf den individuellen Patienten und dessen Tumor zugeschnittene Therapie berücksichtigt werden muß.
Die erste echte Hoffnung für die Ausnutzung dieser Erkenntnisse stellt die individualisierte Tumortherapie dar, die durch die routinemäßige Komplettsequenzierung von Tumorgenoms mittels NGS wohl in nicht ferner Zukunft in greifbare Nähe rücken wird. Dadurch werden Tumorkategorien (mit ihren “eines für alle”-Therapien) obsolet werden und Therapieansätze genau auf diesen einen speziellen Tumor bei diesem einen Patienten mit seinen spezifischen genetischen Eigenschaften abstimmbar sein. Erste Ansätze, etwa in einer Studie an Lungenkrebs, sind schon erkennbar [17]. Der Nutzen für die und die Veränderung in der Krebstherapie, die deutlich wirksamer sein und ebenso deutlich weniger Nebenwirkungen haben wird, wird, davon bin ich überzeugt, so groß(artig) sein, daß man diesen Umbruch als Aufklärung der (Krebs)Medizin bezeichnen könnte, die sich damit schrittweise von einer Erfahrungswissenschaft zu einer empirischen Wissenschaft verwandeln wird. Zu unser aller Nutzen.
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Referenzen
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