Die mtDNA ist also in der forensischen Genetik eher eine Helferin in speziellen und schwierigen Fällen und gar nicht so viele Labore, die von der DAkkS nach der DIN 17025 für die Durchführung von gerichtlich anerkannten STR-Analysen akkreditiert sind, haben auch eine Akkreditierung für mtDNA-Analysen (wir hier haben sie übrigens) oder nehmen am entsprechenden Teil der GEDNAP-Ringversuche teil.
Es gibt dennoch forensische Labore, die sich regelrecht auf mtDNA in Anwendung und Forschung spezialisiert haben, zu nennen ist hier vor allem die Forensische Genetik der Gerichtsmedizin Innsbruck, unter Leitung meines Kollegen W. Parson. Von dort stammen nicht nur die EMPOP-Datenbank und die Anwendung quasi-medianer Netzwerke zur Qualitätskontrolle von mtDNA-Haplotypen, sondern auch Arbeiten zur NGS-basierten Analyse der mtDNA [1] sowie zahlreiche Arbeiten mit das rein forensische Terrain verlassenden Aspekten, wie z.B. zoologischen, phylogenetischen, populationsgenetischen und genealogischen Fragestellungen. Derselben Gruppe gelang damals auch und ebenfalls mittels mtDNA-Analyse sowohl die Entlarvung des Schädels, der 180 Jahre lang in Schillers Sarg gelegen hatte, als Fälschung [2], als auch die Identifikation der 2007 in Jekaterinenburg gefundenen Gebeine als Überreste der bislang vermissten Zarenkinder Alexei und seiner Schwester Maria Romanowa, nachdem bereits 1996, allerdings von einer anderen Gruppe, ebenfalls via mtDNA, die Authentizität der Gebeine des Zaren Nikolaus II. nachgewiesen worden war [3].
Übrigens: auch in meiner Gruppe hat gerade ein Bachelor-Student der naturwissenschaftlichen Forensik ein Projekt zur Analyse von mtDNA unter ganz bestimmten forensischen Gesichtspunkten fertig gestellt, über das ich hier noch nichts aber bestimmt schon bald mehr erzählen kann. Die mtDNA wird uns indes wohl, auch wenn einige ihre forensische Relevanz durch Techniken wie NGS und Marker wie SNPs bedroht sehen, noch ein Weilchen erhalten bleiben.
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*Exkurs: Es ist noch gar nicht so lange bekannt, wie es kommt, daß nur die mütterliche mtDNA in den Nachkommen eines Elternpaars vorhanden ist. Erst 2011 zeigten Sato&Sato und Rawi et al. [4,5], daß die väterlichen Mitochondrien aus einer befruchteten Eizelle durch Autophagie, einem Abbauprozess, der für die Zelle möglicherweise schädliche Strukturen entfernt, zerstört werden. Diese neuen Erkenntnisse lösen daher die vorherigen Erklärungsversuche ab, denen zufolge die schiere Überzahl mütterlicher Mitochondrien die väterlichen einfach bis zur Unauffindbarkeit verdünnen. Diese Befunde erklären übrigens nur, daß und wie väterliche Mitochondrien aus den Zygoten beseitigt werden. Warum das passiert, also, zu welchem Zweck, liegt nach wie vor im Dunkeln. Möglicherweise ist mtDNA-Heteroplasmie, also das gleichzeitige Vorliegen mehrerer verschiedener mtDNAs schädlich für den Embryo. Oder schaden bestimmte Faktoren aus den väterlichen Mitochondrien (also nicht deren DNA) dem Embryo? Vielleicht werden auch väterliche Mitochondrien (irrtümlich) von der weiblichen Eizelle als Pathogene/fremde Eindringlinge erkannt und deshalb angegriffen? Die Erkenntnisse von Sato und Rawi werden jedenfalls dazu beitragen, dieses Geheimnis zu lüften, was von großer Bedeutung für die menschliche Entwicklungsbiologie und das Verständnis mitochondrialer Erkrankungen sein wird.
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Referenzen:
[1] Parson, W., Strobl, C., Huber, G., Zimmermann, B., Gomes, S. M., Souto, L., … & Irwin, J. (2013). Evaluation of next generation mtGenome sequencing using the Ion Torrent Personal Genome Machine (PGM). Forensic Science International: Genetics, 7(5), 543-549.
[2] „Die vertauschten Köpfe“, Der Spiegel 19/2008
[3] Ivanov, P. L., Wadhams, M. J., Roby, R. K., Holland, M. M., Weedn, V. W., & Parsons, T. J. (1996). Mitochondrial DNA sequence heteroplasmy in the Grand Duke of Russia Georgij Romanov establishes the authenticity of the remains of Tsar Nicholas II. Nature genetics, 12(4), 417-420.
[4] Sato, M., & Sato, K. (2011). Degradation of paternal mitochondria by fertilization-triggered autophagy in C. elegans embryos. Science, 334(6059), 1141-1144.
[5] Al Rawi, Sara, et al. “Postfertilization autophagy of sperm organelles prevents paternal mitochondrial DNA transmission.” Science 334.6059 (2011): 1144-1147.
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Bildquelle:
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