Warnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Über Tier- bzw. Leichenfraß und die Bedeutung dieses Phänomens bei der postmortalen Beurteilung von Verletzungen an Leichen und deren Auffindesituation [2] habe ich in dieser Rubrik ja schon mehrfach berichtet. Es tun sich aber nach dem Tod an einer entsprechend zugänglichen Leiche keineswegs nur Wirbeltiere gütlich, sondern auch und vor allem Insekten, mit deren Beschreibung, Analyse und kriminalistischer Auswertung sich die forensische Entomologie beschäftigt. Insekten besiedeln Leichen in einer bestimmten Reihenfolge, so daß aufgrund der aufgefundenen Arten und deren Entwicklungsstatus auf den Zeitpunkt des Todes rückgeschlossen werden kann.
Heute berichte ich von einigen Fällen, deren Kurzbeschreibung im Journal of Forensic and Legal Medicine [1] erschien und in denen die Leichenbesiedelung durch Ameisen und deren Wirkspuren, ganz entgegen dem üblicherweise eher negativen Einfluss von Fraßspuren, nützlich weil hinweisgebend auf bestimmte prämortale (sozusagen ANTe mortem ;-)) Umstände war.
Ameisen gehören zu den sehr frühen Leichenbesiedlern und ernähren sich dort vom Keratin in den Wimpern, Augenbrauen und den oberflächlichen Hautschichten. Dabei entstehen für den Experten leicht erkennbare unregelmäßig geformte, vertrocknete Läsionen. In den folgenden Fällen jedoch wiesen die Läsionen spezifische Muster auf, die Rückschlüsse auf die zum Todeszeitpunkt getragene Kleidung und die Lageposition der Leiche zu Beginn des Ameisenbefalls zuließen.
Fall 1: Ein 82-jähriger Mann wurde tot auf der Seite liegend in seinem Appartement gefunden, wo er an einem Herzinfarkt verstorben war. Bei der Obduktion wurden auf dem Leichnam zahlreiche große Ameisen festgestellt,
die die typischen, unregelmäßigen abrasiven Läsionen (s.o.) hinterlassen hatten. Im unteren Beinbereich waren die Läsionen jedoch scharf begrenzt, was mit der Position von eng anliegenden Socken korrepsondierte, die der Verstorbene zum Todeszeitpunkt getragen haben muß.
Zusätzlich wurde noch eine gekrümmte, gerötete Zone von Ameisenabrasion an der rechten Stirnseite beobachtet, die trennscharf einen blassen Bereich der rechten Stirn und Wange begrenzte, der der Auflagefläche des Leichnams auf dem Boden entsprach und für die Ameisen nicht zugänglich war.
Fall 2: Der Leichnam einer 15-Jährigen war, nachdem das Mädchen erdrosselt worden war, in einem ländlichen Bereich deponiert worden, wo er bei Auffindung mit Ameisen und Tausendfüßlern bedeckt war. Bei Oduktion fanden sich zahlreiche, ameisentypische Läsionen. Im rechten Hüft- und Gesäßbereich waren die Läsionen jedoch scharf durch den Verlauf der zum Zeitpunkt der Deponierung getragenen und für Ameisen undurchdringlichen Unterhose begrenzt.
Fall 3: Ein 59-jähriger Mann, der an einem Herzinfarkt gestorben war, wurde auf seiner rechten Seite liegend in seinem Appartement aufgefunden. Bei Obduktion fand sich auf der rechten Stirnseite eine unregelmäßig gekrümmte Begrenzung einer ameisentypischen, rötlichen Läsion, die sich bis zur Augenbraue hinzog. Die Läsion wurde hier durch die abgeblasste Kopfauflagefläche des Leichnams begrenzt.
Fall 4: Ein 36 Jahre alt gewordener Mann wurde tot in einem Stadtpark aufgefunden, wo er auf dem Rücken auf einer unregelmäßig mit Gras bewachsenen Fläche lag. Als Todesursache konnte stumpfes Schädeltrauma ermittelt werden. Bei Obduktion zeigte sich deutlich ein durch ameisentypische Läsionen begrenzter Umriss der abgeblassten, rückseitigen Auflagefläche.
—-Die Interpretation von Verletzungen im Rahmen von Obduktionen kann durch Fäulnis– und Autolyseveränderungen, deren Entstehung sofort nach dem Tod einsetzt, stark erschwert werden. Alle Fäulnis- und Verwesungsstadien sind assoziiert mit bestimmten, typischen Artefakten (Verfärbung, Aufblähungen, Gewebsverlust etc.), die die Untersuchung verkomplizieren. Erschwerend hinzu kommen dann ggf. Spuren von Leichenfrass, verursacht durch verschiedene Insekten, darunter vor allem Fliegenmaden aber eben auch Ameisen.
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