Die forensische Genetik in den Diensten von Gericht und Ermittlern wird oft als Instrument zur Überführung von Tatverdächtigen und zur Gründung von Verurteilungen auf harte wissenschaftliche Belege gesehen und gezeigt. Genauso wichtig aber ist ihre Funktion und Rolle als Mittel der Entlastung und des Freispruchs, mit dem die Unschuld zu Unrecht Verdächtigter oder, zum Beispiel im Rahmen des Innocence-Projekts, sogar Verurteilter nachgewiesen werden kann.
Besonders wichtig ist das natürlich in Ländern, die zivilisatorisch so weit abständig sind, daß sie noch immer nicht der barbarischen und eben im Ergebnis nicht zu korrigierenden Todesstrafe einer menschenrechtswidrigen Vergeltungsjustiz entsagen zu können glauben. Die Tatsache (!) des Justizmords, also unschuldig Hingerichteter, nehmen diese Länder dafür offenbar billigend in Kauf. Dazu gehören unter vielen anderen natürlich der Unrechtsstaat China und die USA mit ihrem bananenrepublikanischen Justizsystem, aber auch, was nicht viele wissen, Japan, wo man mit den zum Tode Verurteilten sogar ganz besonders grausam umgeht.
Ich will von einem inzwischen berühmten Fall aus Japan berichten, in dem es durch forensisch-genetische Untersuchungen gelang, nach 48 Jahren einen Freispruch zu erwirken [1].
Etwa um Mitternacht des 30. Juni im Jahr 1966 wurde im Büro- und Wohngebäude des Chefs einer Miso-Fabrik, einem Familienbetrieb, ein Feuer gelegt, das das Gebäude zerstörte. In den ausgebrannten Ruinen fand man die Leichen des Chefs, seiner Frau, deren Sohn und zweiter Tochter, deren Mord durch das Feuer offenbar hatte vertuscht werden sollen: Alle Leichen wiesen noch deutliche Spuren von zahlreichen Stichverletzungen auf. Zwei Monate später wurde der 30-jährige Iwao Hakamada, der ein Angestellter des Betriebs war, auf Indiziengrundlage verhaftet. Er beteuerte zunächst seine Unschuld, legte dann nach einem Verhörmarathon von 240 Stunden (je 12 h an 20 Tagen), während dessen er offenbar mißhandelt wurde, ein Geständnis ab, das er später jedoch widerrief.
Die Staatanwaltschaft nahm an, Hakamada habe während der Tat seinen Pyjama getragen. Obwohl die Opfer brutal erstochen worden waren, fanden sich auf dem Pyjama, den Hakamada in der Tatnacht getragen hatte, jedoch keinerlei Blutspuren. Schlüssige Beweise für die Schuld Hakamadas lagen nicht vor und 44 von 45 Beweisstücken, die die Staatsanwaltschaft vorlegte, wurden vom Gericht abgelehnt, da sie nicht zur Hypothese der Anklage passten.
14 Monate später, das Verfahren lief noch, fanden sich plötzlich fünf blutbesudelte Kleidungsstücke in einem Miso-Faß in der Fabrik, die eigentlich von der Polizei während der anfänglichen Ermittlungen hätten entdeckt werden müssen. Die Blutflecken auf den Kleidungsstücken wiesen zudem kein typisches Spritzmuster auf, wie es bei Stichverletzungen entsteht, sondern sahen aus wie unnatürliche, unregelmäßige Tropfspuren. Trotzdem wurden die Kleidungsstücke als Beweisstücke und als die Bekleidung anerkannt, die der Tatverdächtige bei der Tat getragen hatte. Grund hierfür war, daß die Blutgruppe der Flecken, B, mit derjenigen Hakamadas übereinstimmte. Hakamada wurde zum Tode verurteilt.
Das Urteil, das Hakamada, der stets seine Unschuld beteuerte, immer wieder angefochten hatte, wurde 1980 vom Obersten Gericht Japans auf Grundlage dieser “Beweisstücke” bestätigt. Dennoch forderten Hakamada und sein Rechtsbeistand eine Wiederaufnahme des Verfahrens und es gelang ihnen nach langer Zeit schließlich, das Gericht von der Durchführung einer DNA-Analyse der Blutflecke auf den Kleidungsstücken zu überzeugen. Erst im Jahr 2011 stimmte das Bezirksgericht Shizuoka der DNA-Analyse zu und betraute die Herren Dr. H. und Dr. Y. mit der Durchführung. Insgesamt wurden 10 Proben von den gefundenen Kleidungsstücken genommen und zusätzlich 9 Proben von blutbefleckten Teilen der Kleidung der Opfer, sowie 10 Negativproben (nicht blutbefleckte Teile) als Kontrollen.
Aus diesen Proben wurde mittels eines magnetic-bead-Verfahrens DNA extrahiert und mittels Multiplex-PCR STR-Profile erstellt. Auf diese Weise konnten aus allen Proben DNA-Profile erzeugt werden, die aufgrund des Alters und des Zustands der Proben jedoch nicht vollständig waren, sogenannte Teilprofile (die Profile der Opfer konnten allerdings nicht verifiziert werden, da für die Opfer Vergleichsprofile fehlten).
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