Nach dem Interview wurden wieder Herzfrequenz und Affekte (PANAS) gemessen und dann die Probanden der Musik-Gruppe, ausgestattet mit geschlossenen Sennheiserkopfhörern, gebeten, 10 Minuten lang von ihnen selbst ausgewählte Musik (also ohne Vorgabe von Art und Genre) auf ihren mitgebrachten Geräten zu hören, während die Nicht-Musik-Gruppe 10 Minuten in Stille verharren mußte.
Nach diesen 10 Minuten wurden ein drittes Mal bei allen Probanden Herzfrequenz und Affekte (PANAS) gemessen, wonach ein strukturiertes Interview über den emotionalen Einfluss von Musik geführt wurde und die Probanden diverse Fragebögen, darunter einen zur Erfassung depressiver, ängstlicher oder stressbezogener Gefühle („depression, anxiety, and stress scale“, DASS) ausfüllen mußten.
Bei der Auswertung wurden die beiden Gruppen (MG und NMG) zu den drei Zeitpunkten (Grundzustand/Baseline (T1), nach Ärger-Induktion (T2) und nach Musik bzw. Stillsitzen (T3)) verglichen. Hier sind einige der Ergebnisse:
Man sieht, daß zwar die Herzfrequenz der MG bei T3 höher ist als die der NMG, weil die Hezfrequenz nach dem Musikhören (T3) bei der MG erhöht bleibt. Allerdings steigt die Herzfrequenz nach der Ärgerinduktion durch das Musikhören nicht, sondern sinkt sogar etwas. Außerdem liegen die Werte für Feindseligkeit und Entspannung bei beiden Gruppen zu T3 gleich hoch bzw. niedrig, während der Eindruck, sich „inspiriert“ oder „angeregt“ zu fühlen, bei der MG stärker ist, als bei der NMG.
Alle frei gewählten Songs waren den Autoren zufolge übrigens als „extreme Musik“ einzuordnen (worüber man sich definitiv streiten könnte ;-), d.h. 100% der Probanden hatten freiwillig Extremmusik angehört, nachdem in ihnen Wut hervorgerufen worden war, nur 50% jedoch hatten auch Songs mit gewaltbezogenen/aggressiven Textinhalten gewählt. Eine Tabelle, die die gehörten Songs mit den zugehörigen Bands und Genres sowie deren Tempo (BPM) und Stimmung (gewaltbezogene/aggressive Texte ja oder nein) auflistet, findet sich hier.
Und was heißt das jetzt? Die Autoren verglichen auf Grundlage der Befunddaten zwei alternative Hypothesen, die man formulieren könnte als “extreme Musik ruft Wut hervor” (H1) und “extreme Musik ist die musikalische Entsprechung von Wut und hilft dabei, Wut/Ärger zu verarbeiten” (H2). Sie stellten fest, daß die Ergebnisse H2 stützen. Die Messwerte entsprachen dabei auch der Selbsteinschätzung der Extremmusikhörer, die mehrheitlich angaben, extreme Musik zu mehreren emotionalen Zwecken zu hören, vor allem aber, um Wut/Ärger voll und bewußt zu erleben und sich dann selbst zu beruhigen. (Einen ähnlichen Effekt nur mit der Regulation von Traurigkeit durch das Anhören trauriger Musik hatten andere Forscher zuvor schon gesehen.)
Außerdem folgt aus den Ergebnissen, daß Metalfans bei ihrer Musik genauso gut entspannen können, wie bei Stille und daß ihre Feindseligkeit durch die Musik nicht nur nicht erhöht wird, sondern ähnlich schnell nach der Ärger-Induktion absinkt wie in der NMG. Einige positiv bewertete Emotionen, darunter Inspiration/Anregung, wurden sogar durch die Extremmusik signifikant verstärkt. Dies deckte sich erneut mit den Angaben der Probanden, die berichteten, daß sie extreme Musik nutzen, um Glücksgefühle zu verstärken und etwa in Liebesgefühle (“feelings of love”) einzutauchen und die darin übereinstimmten, daß ihre Musik ihr Wohlbefinden erhöhe.
Einschränkend ist zu sagen, daß für diese positiven Effekte erforderlich ist, daß die profitierende Person Fan der Extremmusik ist. Außerdem ist wie nicht selten bei solchen Studien das Kollektiv sicher nicht besonders repräsentativ für die Gesamtpopulation und die Untersuchungssituation in einem Labor ziemlich unnatürlich. Ungeklärt ist zudem, ob diese Effekte sich auch bei Probanden zeigen, die unter psychischen Störungen u.ä. leiden. Die Studie hätte außerdem davon profitiert, noch eine dritte Gruppe zu untersuchen, die “neutrale” Nicht-Problem-Musik anhören muß, um die Wirkungen von Musik im Allgemeinen kontrollieren zu können und wenn die Autoren auch individuelle Unterschiede der Probanden hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, ihrer Neigung zum Grübeln u.a. und deren Einfluss auf die Ergebnisse berücksichtigt hätten.
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