Ich (n =1, bzw. n = ca. 11, wenn ich meine metalhörenden FreundInnen und deren Äußerungen berücksichtige) wußte das natürlich schon lange und bin über die Ergebnisse der Studie (die etwas komplexer als der bewußt punchlinehafte Titel dieses Beitrags sind) von Sharman et al. nicht überrascht, freue mich aber, daß sie ihre Ergebnisse kürzlich bei Frontiers in Human Neuroscience veröffentlicht haben [1].
Daß das nahezu grotesk ungenau ist, weiß ich freilich nicht erst, seit Rentfrow et al. 2003 in einer Studie (die inzwischen zu einer Serie geworden ist) zeigten, daß Hörer von Musik, die in die Dimension “intensiv und rebellisch” eingeordnet wurde (darunter Metal), keine neurotischen oder unangenehmen Eigenschaften besitzen, obwohl diese Dimension Musik enthalte, „die negative Emotionen betont“ [2]. (Interessanterweise besagte die Studie außerdem, daß die Bevorzuger der Dimension “optimistisch und konventionell” mit Musikgenres wie “Pop”, “Country” und “religiöse Musik”, vergleichsweise schlechte Werte bei objektiven Tests zu kognitiven Fähigkeiten (verbal und analytisch) erzielten und bei den analytischen Fähigkeiten noch unterboten wurden von Bevorzugern der Dimension “energetisch-rhythmisch” (i.e. Elektro, Soul und Hiphop)). Mulder et Scully al. zeigten zudem, daß eine Präferenz für Heavy Metal mit weniger Konsum von Tabak bzw. Alkohol einhergeht, als bei Vergleichsgruppen [3]. Kürzlich präsentierten Bodner und Bensimon dann sogar Belege dafür, daß Hörer von „Problem-Musik“ (worunter sie Metal rechneten) Musik etwas häufiger zur Emotionsregulation einsetzten, als Hörer von „Nicht-Problem-Musik“ [4], was darauf hindeuten könnte, daß das Anhören entsprechender Musikrichtungen den „Problem-Musik“-Hörern ermögliche, ihrer Gemütslage auf sublime Weise zu regulieren, statt dem Stereotyp gemäß ihre negativen Emotionen u.a. durch asoziales Verhalten zu externalisieren.
Die o.a. Studie von Sharman et al. zeigt nun konkret, daß auch die oft angetroffene Annahme, daß besonders extreme, brutale und düstere Metalrichtungen wie Death, Thrash und Black Metal das Gemüt ihrer Hörer verdüstern und dazu beitragen würden, sie zu traurigen bis suizidalen In- sich-Gekehrten oder aber misanthropischen, aggressiven Gewaltbereiten zu machen, natürlich grundfalsch ist. Vielmehr fanden sie, so die Autoren,
daß Fans extremer Musik sich Musik anhören, wenn sie wütend sind, um ihrem Ärger eine musikalische Entsprechung zu geben und sich aktiver und inspirierter/angeregter zu fühlen. Sie hören außerdem Musik, um Traurigkeit zu regulieren und positive Gefühle zu verstärken. Die Ergebnisse widerlegen die Annahme, daß extreme Musik Wut hervorruft. (Übersetzung CC)
Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, schlossen sie 39 Probanden, davon 72% männlich (Alter 18 – 34 Jahre, Mittel: 22,36 ± 3,19), in die Studie ein und gingen wie folgt vor: ProbandIn konnte werden, wer angab, Fan extremer Musik zu sein (darunter zählten die Autoren Heavy Metal, Punk, Hardcore etc.) und diese Musik zu 50% oder öfter zu konsumieren, wenn sie in ihrer Freizeit Musik hörten. Alle Probanden mußten ihr persönliches Musikabspielgerät mitbringen, erhielten aber keine sonstigen Informationen dazu. Die Probanden wurden zufällig in eine „Musik-Gruppe“ (MG) und in eine „Nicht-Musik-Gruppe“ (NMG) eingeteilt. Die Autoren maßen dann bei allen Probanden zunächst die Herzfrequenz und den subjektiv empfundenen, emotionalen Status im Ruhezustand nach einer modifizierten Methode von Watson [4] (genannt „PANAS“), die eine schnelle Messung der positiven und negativen Affekte ermöglicht. Dann wurden die Probanden systematisch „geärgert“, indem mit ihnen ein 16-minütiges „Ärger-Interview“ (nach Dimsdale [5] und Lobbestael [6]) durchgeführt wurde, das darauf beruht, in den Probanden gezielt Erinnerungen an Ereignisse, bei denen sie sehr wütend oder ärgerlich waren, hervorzurufen.
Nach dem Interview wurden wieder Herzfrequenz und Affekte (PANAS) gemessen und dann die Probanden der Musik-Gruppe, ausgestattet mit geschlossenen Sennheiserkopfhörern, gebeten, 10 Minuten lang von ihnen selbst ausgewählte Musik (also ohne Vorgabe von Art und Genre) auf ihren mitgebrachten Geräten zu hören, während die Nicht-Musik-Gruppe 10 Minuten in Stille verharren mußte.
Nach diesen 10 Minuten wurden ein drittes Mal bei allen Probanden Herzfrequenz und Affekte (PANAS) gemessen, wonach ein strukturiertes Interview über den emotionalen Einfluss von Musik geführt wurde und die Probanden diverse Fragebögen, darunter einen zur Erfassung depressiver, ängstlicher oder stressbezogener Gefühle („depression, anxiety, and stress scale“, DASS) ausfüllen mußten.
Bei der Auswertung wurden die beiden Gruppen (MG und NMG) zu den drei Zeitpunkten (Grundzustand/Baseline (T1), nach Ärger-Induktion (T2) und nach Musik bzw. Stillsitzen (T3)) verglichen. Hier sind einige der Ergebnisse:
Man sieht, daß zwar die Herzfrequenz der MG bei T3 höher ist als die der NMG, weil die Hezfrequenz nach dem Musikhören (T3) bei der MG erhöht bleibt. Allerdings steigt die Herzfrequenz nach der Ärgerinduktion durch das Musikhören nicht, sondern sinkt sogar etwas. Außerdem liegen die Werte für Feindseligkeit und Entspannung bei beiden Gruppen zu T3 gleich hoch bzw. niedrig, während der Eindruck, sich „inspiriert“ oder „angeregt“ zu fühlen, bei der MG stärker ist, als bei der NMG.
Alle frei gewählten Songs waren den Autoren zufolge übrigens als „extreme Musik“ einzuordnen (worüber man sich definitiv streiten könnte ;-), d.h. 100% der Probanden hatten freiwillig Extremmusik angehört, nachdem in ihnen Wut hervorgerufen worden war, nur 50% jedoch hatten auch Songs mit gewaltbezogenen/aggressiven Textinhalten gewählt. Eine Tabelle, die die gehörten Songs mit den zugehörigen Bands und Genres sowie deren Tempo (BPM) und Stimmung (gewaltbezogene/aggressive Texte ja oder nein) auflistet, findet sich hier.
Und was heißt das jetzt? Die Autoren verglichen auf Grundlage der Befunddaten zwei alternative Hypothesen, die man formulieren könnte als “extreme Musik ruft Wut hervor” (H1) und “extreme Musik ist die musikalische Entsprechung von Wut und hilft dabei, Wut/Ärger zu verarbeiten” (H2). Sie stellten fest, daß die Ergebnisse H2 stützen. Die Messwerte entsprachen dabei auch der Selbsteinschätzung der Extremmusikhörer, die mehrheitlich angaben, extreme Musik zu mehreren emotionalen Zwecken zu hören, vor allem aber, um Wut/Ärger voll und bewußt zu erleben und sich dann selbst zu beruhigen. (Einen ähnlichen Effekt nur mit der Regulation von Traurigkeit durch das Anhören trauriger Musik hatten andere Forscher zuvor schon gesehen.)
Außerdem folgt aus den Ergebnissen, daß Metalfans bei ihrer Musik genauso gut entspannen können, wie bei Stille und daß ihre Feindseligkeit durch die Musik nicht nur nicht erhöht wird, sondern ähnlich schnell nach der Ärger-Induktion absinkt wie in der NMG. Einige positiv bewertete Emotionen, darunter Inspiration/Anregung, wurden sogar durch die Extremmusik signifikant verstärkt. Dies deckte sich erneut mit den Angaben der Probanden, die berichteten, daß sie extreme Musik nutzen, um Glücksgefühle zu verstärken und etwa in Liebesgefühle (“feelings of love”) einzutauchen und die darin übereinstimmten, daß ihre Musik ihr Wohlbefinden erhöhe.
Einschränkend ist zu sagen, daß für diese positiven Effekte erforderlich ist, daß die profitierende Person Fan der Extremmusik ist. Außerdem ist wie nicht selten bei solchen Studien das Kollektiv sicher nicht besonders repräsentativ für die Gesamtpopulation und die Untersuchungssituation in einem Labor ziemlich unnatürlich. Ungeklärt ist zudem, ob diese Effekte sich auch bei Probanden zeigen, die unter psychischen Störungen u.ä. leiden. Die Studie hätte außerdem davon profitiert, noch eine dritte Gruppe zu untersuchen, die “neutrale” Nicht-Problem-Musik anhören muß, um die Wirkungen von Musik im Allgemeinen kontrollieren zu können und wenn die Autoren auch individuelle Unterschiede der Probanden hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, ihrer Neigung zum Grübeln u.a. und deren Einfluss auf die Ergebnisse berücksichtigt hätten.
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Also, wer jetzt gerade wütend über die Hitze, die Griechen, die Deutschen, die Amis, oder sonstwas ist und zugleich “extreme Musik” mag, dem/der ist zum gedeihlich-kultivierten Abreagieren die Betätigung unten vorfindlicher Play-Taste zu empfehlen. Alle anderen müssen sich mit den (in Metalfankreisen verpönten) Bewältigungsklassikern “Toben, Wüten und Schreien” begnügen 🙂
P.S.: Daß Metal übrigens auch musikalisch extrem viel zu bieten hat, kann man in einem interessanten Buch des Musikwissenschaftlers D. Elflein nachvollziehen [7].
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Nachtrag am 13.07.: Ein schöner, in eine ähnliche Kerbe hauender Artikel erschien unlängst in der WELT. Titel: “Heavy Metal macht den Menschen gut und glücklich“. Darin heißt es:
Man möchte sie, die Wissenschaftler, deren Weltbild schief hängt, in die Welt hinaus zur Feldforschung nach Wacken schicken, wo die Guten sich schon bald wieder versammeln.
und der Artikel endet mit meinem (abgewandelten) Lieblingszitat von Camus:
Man muss sich den Metalhead als glücklichen Menschen vorstellen…
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Referenzen:
[1] Sharman, L., & Dingle, G. A. (2015). Extreme metal music and anger processing. Frontiers in Human Neuroscience, 9, 272.
[2] Rentfrow, P. J., & Gosling, S. D. (2003). The do re mi’s of everyday life: The structure and personality correlates of music preferences. Journal of Personality and Social Psychology, 84, 1236-1256.
[3] Mulder, J., Ter Bogt, T. F., Raaijmakers, Q. A., Gabhainn, S. N., Monshouwer, K., & Vollebergh, W. A. (2009). The soundtrack of substance use: music preference and adolescent smoking and drinking. Substance use & misuse, 44(4), 514-531.
[4] Watson, D., Clark, L. A., & Tellegen, A. (1988). Development and validation of brief measures of positive and negative affect: the PANAS scales. Journal of personality and social psychology, 54(6), 1063.
[5] Dimsdale, J. E., Stern, M. J., & Dillon, E. (1988). The stress interview as a tool for examining physiological reactivity. Psychosomatic Medicine, 50(1), 64-71.
[6] Lobbestael, J., Arntz, A., & Wiers, R. W. (2008). How to push someone’s buttons: A comparison of four anger-induction methods. Cognition & Emotion, 22(2), 353-373.
[7] „Schwermetallanalysen: Die musikalische Sprache des Heavy Metal“. Dietmar Elflein, erschienen im transcript-Verlag (2010)
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Bildquelle:
[a] Francisco Peres Gomez [CC0], via Wikimedia Commons
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