Ist schon ein Weilchen her, 2011 nämlich war es, als Hector Rangel-Villalobos, ein mexikanischer forensischer Genetiker, einen Brief an die wichtigste forensisch-genetische Fachzeitschrift, FSI:Genetics, schrieb und darin berichtete, wie er sich als Mythbuster betätigt hatte [1]. Beim digitalen Kramen fiel er mir wieder in die Hände unter den Cursor und ich fand die Geschichte so cool, daß ich sie hier kurz erzählen will.

Dieses Blog existiert ja unter anderem, um darzulegen, wie vielseitig die Einsatzmöglichkeiten der forensischen Genetik bzw. Molekularbiologie sind und welcher Methoden man sich dabei bedienen kann (die Serie zu den wichtigen Grundlagen kann man hier nachlesen). Wir befassen uns mit Spuren von Verbrechen an Tatorten und Tatbeteiligten, mit der Identifikation unkenntlicher Leichen (z.B. nach Katastrophen mit vielen Todesopfern), mit der Zuordnung von Leichenteilen und vermeintlich vertauschten Proben, mit Abstammungs- und Verwandtschaftsanalysen, Chimärismus-Monitoring, Speziesbestimmung, Nachverfolgung von Erb- und Migrationslinien, Populationsgenetik und so weiter und so fort.

Was wir nur selten tun aber mal öfter tun sollten, so schreibt Rangel-Villalobos und da stimme ich ihm zu, ist, vermeintliche „Wunder“ als den Schwindel zu enttarnen, der sie sind. Als „Wunder“ werden heute ja fast ausschließlich im religiösen Kontext Ereignisse bezeichnet, die mindestens einem Naturgesetz zuwiderlaufen bzw. von herbeigerufenen (angeblichen) Experten (angeblich) nicht erklärt werden können und die von einer übernatürlichen Instanz, z.B. Jesus, Gott, Maria, einem Heiligen oder sonstigem üblichen Verdächtigen ins Werk gesetzt wurden, um… ja was eigentlich?

Jedenfalls sind bisher nicht viele „Wunder“ forensisch-genetisch untersucht worden, darunter das Blut auf einer Marienstatue, bei dem man zumindest die Geschlechtschromosomen untersucht und festgestellt hatte, daß sie menschlichen, genauer: weiblichen Ursprungs gewesen seien [2]. Ende 2009 gab es in der Fernsehsendung „Extra-Normal“ dann einen Bericht über eine blutende Jesus-Statue, die sich bei einer armen Familie in Pakana, in der Tala-Provinz des mexikanischen Bundesstaates Jalisco befinde. Blut (oder anderes) weinende Statuen sind in der Wunderszene bekanntlich ein Dauerbrenner und im Bericht, der auch in einer lokalen Zeitung aufgegriffen wurde, hieß es, man habe die Blutgruppe des Bluts als AB (Rhesusfaktor positiv) bestimmt, was übrigens und bemerkenswerterweise mit der Blutgruppe des Bluts auf dem Turiner Grabtuch übereinstimme. (Anm. CC: Darf man daraus schließen, daß Jesus Blutgruppe AB+ hatte und demnach, daß Gott, der ihn ja gezeugt haben will, nicht Blutgruppe 0 haben konnte? Das würde ja bedeuten, daß Gott kein idealer Spender war, was hieße, daß Leute mit Blutgruppe 0 zumindest in einer Sache (Blutspenden) besser sind, als der liebe Gott persönlich!)

Dies im Hinterkopf machte sich Rangel-Villalobos auf den Weg nach Pakana, klingelte bei der Familie, stellte sich vor, ließ sich vom Familienvater der Wunderstatue ein paar Details zu der ganzen Sache berichten und bot ihm an, das Blut der Statue und der Familienmitglieder zu untersuchen und DNA-Profile zu erstellen. Dem stimmte der Familienvater zu, um die Authentizität der Statue zu beweisen und gab Rangel-Villalobos ein kleines Stück des Altartuchs, auf dem die Statue stand und das mit ein wenig des Bluts befleckt worden war.

altartuch

Fragment aus dem Altartuch mit Blutflecken, angeblich vom blutenden Christus aus Pakana
aus [1]

Außerdem gestattete er die Abnahme von Speichelproben bei sich und seiner Tochter; nur die Mutter des Hauses sei leider…äh… gerade nicht da und könne keine Probe abgeben. Mit dem „Asservat“ und den Vergleichsproben ging Rangel-Villalobos in sein Labor und erstellte daraus jeweils ein DNA-Profil. Wie genau das geht, habe ich in der oben schon verlinkten Serie beschrieben. Dabei kamen folgende Ergebnisse zustande:

tabelle 1

DNA-Profile der Statue und der Tochter
zwischen der “Statue” und der Tochter übereinstimmende Allele sind fettgedruckt
Maternitätsindex: 3.036.884.033
modifiziert nach [1]

Besonders interessant ist die unterste Zeile (AMELY), da das Ergebnis andeutet, daß das Blut von Jesus, das ja angeblich aus der Statue fließt, nur weibliche Geschlechtschromosomen enthält. Außerdem fällt auf, daß die Quelle des Bluts aus der Statue in jedem STR-System mindestens ein Allel mit der Tochter gemeinsam hat, was ein mögliches Abstammungsverhältnis nahelegt. Für die Wahrscheinlichkeit, daß die offenbar weibliche Person, deren Blut auf dem Altartuch war, die Mutter der getesteten Tochter des Hauses ist, hat Rangel-Villalobos einen Wert berechnet von: W > 99,99999% (in die Berechnung sind auch die Merkmale des Vaters, die in der Tabelle nicht aufgeführt sind, mit eingeflossen).

In einem Gutachten würde man jetzt drei Hypothesen miteinander vergleichen, die einander ausschließen und jeweils die Befunde erklären müssen:

H1: Das Blut stammt von der Statue, also von Jesus*.

H2: Das Blut stammt von der biologischen Mutter der Tochter.

H3: Das Blut stammt von einer unbekannten weiblichen, mit der Mutter, Tochter und Jesus unverwandten Person.

*Randbedingung für H1: Jesus hat eine Primerbindestellenmutation auf seinem Y-Chromosom*2, das daraufhin nicht PCR-amplifiziert wird und besitzt außerdem zufällig alle erforderlichen mütterlichen Erbmerkmale, die eine Frau haben müßte, die mit dem Familienvater eben diese Tochter des Hauses gezeugt hat.
*2: es könnte natürlich auch sein, daß der Y-chromosomale Status von Jesus vom lieben Gott absichtlich verschleiert wurde, denn wenn Jesus ein Y-Chromosom hatte, dann muß er es von seinem Vater erhalten haben und das wiederum würde bedeuten, daß Gott tatsächlich das biologische Geschlecht „männlich“ hatte, obwohl ihm derart profanes von den Damen, Herren und sonstigen Erscheinungsformen Theologen ja immer abgesprochen wird.

 

Für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit der Hypothese H3 wird ermittelt, wie häufig das zu Tochter und Vater passende mütterliche Erzeugerinnenprofil in der Bevölkerung ist, was angesichts des hohen W-Werts offenbar sehr selten ist. Für H1 gilt, wenn zufälliges Zustandekommen der Kombination angenommen wird, dasselbe, es müßte aber zusätzlich noch die Wahrscheinlichkeit der Primerbindestellenmutation einbezogen werden, wodurch H1 noch unwahrscheinlicher wird, als sie es durch die notwendige Voraussetzung der unbegründeten Annahme der Existenz jenes hypothetischen, haploiden Handwerkers ohnehin schon ist. Fraglich ist natürlich auch, ob Allelfrequenzen für antike Aramäer-Populationen bekannt sind, um die Wahrscheinlichkeit für H1 korrekt zu berechnen.

Mit diesen wenig emutigenden Ergebnissen und der Vermutung, es könne eine Verwechslung der Probe von der Statue gegeben haben, kehrte Rangel-Villalobos zur Familie zurück und erläuterte seine Befunde. Die Mutter war zufällig wieder einmal abwesend, aber der Familienvater beteuerte, daß der Blutfleck ganz bestimmt vom Altartuch stamme, wohin er in der ersten Woche, nachdem das „blutender Christus-Wunder“ begonnen hätte, gefallen sei.

Leider, so Rangel-Villalobos, sei die Statue geschützt in eine Glasvitrine eingeschlossen gewesen, so daß er keine Proben direkt von der Statue habe nehmen können, weshalb er der Familie die Gunst des Zweifels (doch eine Verwechslung?) gewähren wolle, er betone aber, daß sich moderne, forensische DNA-analytische Verfahren grundsätzlich eignen und dazu eingesetzt werden sollten, solche und andere „Wunder“ auf ihre Authentizität zu untersuchen, um der Gesellschaft die Gelegenheit zu geben, zu prüfen, ob man wirklich daran glauben sollte, oder nicht.

Ich hätte da eine weniger hasenfüßige Schlußfolgerung gewagt: Myth busted!

P.S.: Hier noch eine epische Sprechgesangschlacht zum Thema 😉

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Referenzen

[1] Héctor, R. V. (2011). New approaches for forensic genetics: Breaking down “False Miracles”. Forensic Science International: Genetics, 5(5), 557-558.

[2] Palmirotta, R., Verginelli, F., Cama, A., Mariani-Costantini, R., Frati, L., & Battista, P. (1998). Origin and gender determination of dried blood on a statue of the Virgin Mary. Journal of forensic sciences, 43, 431-434.

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Kommentare (1)

  1. […] macht Dr. Cornelius Courts in seinem Science-Blog BlooDNAcid auf die Fall-Untersuchung des forensischen Genetikers Hector Rangel-Villalobos […]