Als „forensische Botanik“ bezeichnet man im weitesten Sinne das Studium und die Untersuchung von Pflanzen und ihrer Rolle im Rahmen kriminalistischer Ermittlungen. Mangels entsprechend kundiger Experten spielte die forensische Botanik in der Vergangenheit nur bei sehr wenigen Untersuchungen eine Rolle, dennoch hat sie ihren Wert schon bei einigen Fällen unter Beweis gestellt und forensisch-botanische Belege werden von den Gerichten vieler Länder als Beweismittel zugelassen.
Unter dem Überbegriff forensische Botanik rangieren diverse Unterdisziplinen, darunter Palynologie (Pollenkunde), Dendrochronologie (befasst sich mit dem Alter von Bäumen), Lichenologie (Flechtenkunde), Mykologie (Pilzkunde, obgleich Pilze natürlich keine Pflanzen sind) und Bryologie, die Kunde von den Moosen. Speziell Bryophyten, worunter die „klassischen“ Laubmoose, aber auch Leber- und Hornmoose fallen und die zusammen 15.000 – 20.000 Arten umfassen, können bei forensischen Untersuchungen sehr nützlich sein, da viele Moose selbst in Umgebungen und auf Substraten wachen können, wo sich Gefäßpflanzen und andere Organismen nicht halten können. Vor allem Laubmoose zeichnen sich zudem dadurch aus, daß beide Generationen (geschlechtlich und ungeschlechtlich) über eine derart hohe morphologische Variabilität und Komplexität verfügen, daß man daraus phylogenetische Schlüsse ziehen kann.
Aus Studien [2] weiß man, daß kleinste Moospartikel sehr leicht an Schuhen und Kleidung anhaften können, die dennoch ausreichen, um anhand der DNA die exakte Art des Mooses zu bestimmen. Auf diese Weise kann man etwa nachweisen, daß eine Person einen Ort, an dem diese Moose wachsen, aufgesucht hat oder daß eine Leiche von einem Tatort, wo diese Moose wachsen, fortgeschafft wurde. Wegen ihrer Genügsamkeit und Widerstandsfähigkeit, die es ihnen ermöglichen, nahezu überall zu wachsen, wurde der Moosbewuchs auf skelettierten Leichen auch schon verwendet, um ein minimales post-mortem-Intervall (PMI, Zeit, die seit dem Tod verstrichen ist) zu berechnen [3]. Besonders interessant für eine post-mortale Zeitabschätzung ist, daß Umwelteinflüsse das jährliche Wachstum einiger Moose nicht beeinflussen, so daß man bei solchen Moosen als Zeitnehmer den Einfluss von Umweltfaktoren außer Betracht lassen kann. Das kann hilfreich bei der Beurteilung des PMI sein, wenn beispielsweise die vollständige Skelettierung einer Leiche aufgrund von Umwelteinflüssen deutlich schneller abgelaufen ist, als erwartet.
Im vorliegenden Bericht [1] geht es um einen Fall von, wie sich letztlich herausstellte, Suizid. Ich habe ja schon öfters erklärt, daß bei Auffindung von Leichen selbst dann, wenn ein Suizid offensichtlich scheint, immer noch durch sorgfältige Untersuchung geklärt werden muß, was sich vor dem Tode der Person wirklich abgespielt hat, um einen Suizid bestätigen und vor allem von einem Unfallgeschehen oder gar einem als Suizid maskierten Tötungsdelikt abgrenzen zu können. Dazu muß nicht nur die medizinische Vorgeschichte und ggf. das familiäre Umfeld einbezogen werden, sondern ist auch die gründliche Untersuchung der Leiche, am besten durch Obduktion, sowie des Auffinde- bzw. Sterbeorts unbedingt erforderlich.
Eine 22-jährige toskanische Medizinstudentin wurde tot auf einer Unterführungsstraße, die unter einem vierstöckigen Gebäude mit Einkaufszentrum entlangführte, gefunden. Bei der Obduktion konnten ein Polytrauma und schwere Schädel-Hirn-Verletzungen, die vereinbar mit einem Sturz aus der Höhe waren, dargestellt werden. Die Ursache des Sturzes, ob akzidentell oder suizidal und insbesondere hinsichtlich der möglichen Einwirkung Dritter, konnte nicht geklärt werden. Die psychiatrischen Vorgeschichte der Verstorbenen ergab, daß sie wegen Depressionen medikamentös und psychotherapeutisch behandelt wurde, aber suizidale Tendenzen oder Gedanken stets verneint hatte.
Die Rekonstruktion der Ereignisse, die zum Tode geführt hatten, ergab, daß die Verstorbene von der Terrasse des Gebäudes in die Tiefe gestürzt war. Diese ist jedoch für die Bewohner/Nutzer des Gebäudes nicht zugänglich, sondern nur über eine Art Laufsteg, der zu einer Diensttreppe zur Terrasse führt, zu erreichen, welche eigentlich dem Wartungspersonal des Gebäudes vorbehalten ist.
Im Zuge der Ermittlungen wurde daher der gesamte Weg, den die Verstorbene zurückgelegt haben mußte, um auf die Terrasse zu gelangen, nachverfolgt, da sich für den tödlichen Sturz keine Augenzeugen ergeben hatten und die Überwachungskameras, die die Terrasse überblickten, defekt waren. Die einzigen Bilder von der Verstorbenen stammten von Kameras aus dem unteren Stockwerk des Gebäudes und zeigten sie, wie sie allein den Laufsteg in Richtung zur Terrasse überquerte.
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