Was sich auf der Terrasse abgespielt hat und wie es zum Sturz kam, mußte anderweitig ermittelt werden. Dafür wurden die Terrasse aber auch der Laufsteg und die zur Terrasse führende Diensttreppe ganz genau untersucht. Dabei fanden sich auf der gemauerten Brüstung der Terrasse Spuren von ausgerissenen Moospflanzen, die mit Moosresten, die unter den Schuhsolen der Verstorbenen gefunden worden waren, korrespondierten.

moose

oben: Moosspuren an der Brüstung; unten: Moosspuren unter der Schuhsole der Verstorbenen
aus [1]

 Auf der Terrasse selbst wuchs kein Moos, im Gegensatz zum Lauftsteg und der Treppe. Es fanden sich sogar moosbewachsene Stellen, die Beschädigungen, wie sie durch ein Darauftreten hervorgerufen werden können, aufwiesen. Von dieser Stelle wurde eine Moosprobe genommen und mit den Proben von der Brüstung und den Schuhen des Opfers verglichen.

Die botanische Analyse konnte zwei verschiedene Moosarten, Tortula muralis und Bryum capillare, in den gesicherten Spuren nachweisen. Dabei reichte eine morphologische Untersuchung der Pflanzen durch Experten, die teure und zeitaufwendige, molekulargenetische Identifikation war nicht erforderlich.

moose 2

o.l.: Tortula muralis, 10-fache Vergrößerung mit 0,5-facher fokaler Vergrößerung; o.r.: Bryum capillare, 10-fache Vergrößerung mit 0,5-facher fokaler Vergrößerung ; u.l.: Tortula muralis, 6,3-fache Vergrößerung; u.r.: Bryum capillare, 6,3-fache Vergrößerung
aus [1]

 T. muralis findet sich typischerweise an Wänden, Hausecken und auf steinigen Untegründen in ländlichen Gebieten in Mittel- und Norditalien, B. capillare kommt auf der ganzen Welt vor und wächst vor allem überall in Städten in den Rissen und Fugen von Bürgersteigen o.ä. Im vorliegenden Fall waren beide Moosarten also völlig typisch am Fundort. Damit läßt sich der Hergang des Todes wie folgt rekonstruieren: die Verstorbene ist alleine über den Steg und die Treppe gegangen, dabei mit ihren Schuhen auf den moosbewachsenen Bereich getreten und schließlich auf die Brüstung geklettert. Von dort ist sie in die Tiefe gesprungen, wo sie beim Aufprall starb.  So erklären sich gut die Moosfunde an ihren Schuhen und auf der Brüstung der Terasse und so kann das Alternativszenario, daß ein Dritter auf der Terasse sie über die Brüstung geworfen oder gestoßen hat, als extrem unwahrscheinlich verworfen werden, da in diesem Fall kein Moos auf die Brüstung gelangt wäre.

Forensisch-botanische Evidenz kann zwar keine Mörder überführen oder Personen zuidentifizieren, sie kann aber sehr hilfreich und sogar das letzte fehlende Beweisstück sein, um Personen mit (Tat)orten in Verbindung bringen, die geographische Herkunft einer Probe zu bestimmen, unerlaubten Handel oder Verkehr mit geschützten Pflanzen nachzuweisen oder, wie in diesem Fall, die Abgrenzung zwischen Suizid und Tötungsdelikt zu ermöglichen. Dabei kommt sie oft ohne aufwendige, teure Labormethoden aus und kann, zusammen mit anderen Indizien, einen wichtigen Beitrag zur Lösung ungeklärter Fälle liefern.

____
Referenzen:

[1] Margiotta, G., Bacaro, G., Carnevali, E., Severini, S., Bacci, M., & Gabbrielli, M. (2015). Forensic botany as a useful tool in the crime scene: report of a case. Journal of Forensic and Legal Medicine.
[2] Virtanen, V., Korpelainen, H., & Kostamo, K. (2007). Forensic botany: usability of bryophyte material in forensic studies. Forensic science international, 172(2), 161-163.
[3] Cardoso, H. F. V., Santos, A., Dias, R., Garcia, C., Pinto, M., Sérgio, C., & Magalhães, T. (2010). Establishing a minimum postmortem interval of human remains in an advanced state of skeletonization using the growth rate of bryophytes and plant roots. International journal of legal medicine, 124(5), 451-456.

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Kommentare (16)

  1. #1 BreitSide
    Beim Deich
    08/10/2015

    Ohne Moos nix los… 😉

  2. #2 Cornelius Courts
    08/10/2015

    Bzw. beim Lotto: ohne Los nix Moos.

    • #3 BreitSide
      Beim Deich
      08/10/2015

      @CC: Also die Schlussfolgerung: Ohne Los nix los 😆

  3. #4 Nele
    08/10/2015

    Echt spannend; forensische Wissenschaften wären auch was für mich gewesen. Naja, dafür kann ich jetzt echt gut Gedichte interpretieren! 🙂

  4. #6 Henning
    08/10/2015

    Wie erklärt es sich mit dem Moos auf Skeletten und dem PMI? Die Moose, die sich zuerst auf der Leiche fanden, sind dann doch zusammen mit der Haut und Weichteilen verschwunden. In dem Sinne, daß der Zustand des Todeszeitpunkts nicht mit dem Zustand beim Auffinden gleich ist. Bin ich auf dem Holzweg?

  5. #7 bewitchedmind
    09/10/2015

    ” … der gesamte Weg, den die Verstorbene zurückgelegt haben mußte […]” – bin ich die Einzige, die bei solchen Formulierungen an die Zombieapokalypse denkt? 😉

  6. #8 rolak
    09/10/2015

    obgleich Pilze natürlich keine Pflanzen sind

    Jedoch ebenfalls lecker. Zur Zeit der Namensgebung liefen sie ja noch unter Pflanzen, späteres Umsortieren ist sinnleer – und für Vegetarier wäre es echt gemein 😉

    kameras .. defekt

    Würde in Krimis als überkonstruiert gelten, obgleich es mengenweise defunktionale Systeme geben dürfte.

    Die MoosBlüten(?) sind übrigens ausnehmend schön, geradezu grazil schnörkelig, wie aus einem altmodischen Scherenschnitt entkommen.

    bin ich die Einzige

    Höchstwahrscheinlich nicht, bewitchedmind, und (aus der Erfahrung heraus) auch nicht der einzige Mensch, der über implizite ZeitWechsel stolpert. Ist aber auch schwer, gleichzeitig kompakt und kontextfehlerStabil zu formulieren…

  7. #9 Cornelius Courts
    09/10/2015

    @Henning: “Wie erklärt es sich mit dem Moos auf Skeletten und dem PMI? ”

    Wir reden hier nicht von PMIs im Tage- sondern Jahrebereich. Man konnte nachweisen, daß das PMI des gefundenen Skeletts minimal 3 Jahre war, statt, wie vermutet, deutlich kürzer, (und muß dann eben noch ein paar Monate addieren, die es dauert, bis das Weichgewebe weg ist).

  8. #10 Crazee
    12/10/2015

    Sehr interessant.

  9. #11 Spritkopf
    12/10/2015

    @Cornelius
    Hat jetzt mit dem geschilderten Fall weniger zu tun, aber kannst du mal preisgeben, welche Mikroskope du an deinem Arbeitsplatz stehen hast?

  10. #12 Onkel Michael
    https://onkelmichael.wordpress.com/
    14/10/2015

    Äußerst interessanter Artikel. Erinnert ein bisschen an Dr. Hodgins bei “Bones – Die Knochenjägerin”, aber der kann natürlich auch genau sagen, welches Moos an welchen Platz gewachsen ist, warum es gewachsen ist und was das Moos zu mittag hatte. Und das ist ja Fernsehen, also alles wahr 😉

  11. #13 Cornelius Courts
    14/10/2015

    @Spritkopf: ” welche Mikroskope ”

    och, nix berühmtes. Wir müssen ja nicht wirklich viel/häufig mikroskopieren. Wir selbst haben ein Olympus BX-40, die Ärzte haben natürlich noch andere, bessere.

  12. #14 Spritkopf
    15/10/2015

    @Cornelius

    Wir selbst haben ein Olympus BX-40, die Ärzte haben natürlich noch andere, bessere.

    Das ist doch ein feines Gerät. Wenn die blaue Waldfee plötzlich eines auf meinem Schreibtisch auftauchen ließe, würde ich mich bestimmt nicht beschweren.

  13. #15 zimtspinne
    30/10/2015

    Das war sehr interessant zu lesen, wie immer die Sachen aus dem Nähkästchen.

    Bei Botanik und Pilzen kam mir aber nun die Frage in den Sinn, ob bei Pilzvergiftungen oder zB Bärlauchtodesfolge auch nach Suizid, Fremdverschulden und sogar Tötungsabsicht geschaut wird?

    Das müsste doch echt schwer nachweisbar sein, an Pilzen vertun sich ja tatsächlich nicht wenige.

    Musste gerade an diesen irren Bakterienmörder Hopf denken, der doch ziemlich lang mit seinen Viechern durchkam bis er aufflog. Gruselig.

  14. #16 Jonas Dipplinger
    Alkhofen
    05/05/2021

    Ohne Moos kein Soos