Was sich auf der Terrasse abgespielt hat und wie es zum Sturz kam, mußte anderweitig ermittelt werden. Dafür wurden die Terrasse aber auch der Laufsteg und die zur Terrasse führende Diensttreppe ganz genau untersucht. Dabei fanden sich auf der gemauerten Brüstung der Terrasse Spuren von ausgerissenen Moospflanzen, die mit Moosresten, die unter den Schuhsolen der Verstorbenen gefunden worden waren, korrespondierten.
Die botanische Analyse konnte zwei verschiedene Moosarten, Tortula muralis und Bryum capillare, in den gesicherten Spuren nachweisen. Dabei reichte eine morphologische Untersuchung der Pflanzen durch Experten, die teure und zeitaufwendige, molekulargenetische Identifikation war nicht erforderlich.
T. muralis findet sich typischerweise an Wänden, Hausecken und auf steinigen Untegründen in ländlichen Gebieten in Mittel- und Norditalien, B. capillare kommt auf der ganzen Welt vor und wächst vor allem überall in Städten in den Rissen und Fugen von Bürgersteigen o.ä. Im vorliegenden Fall waren beide Moosarten also völlig typisch am Fundort. Damit läßt sich der Hergang des Todes wie folgt rekonstruieren: die Verstorbene ist alleine über den Steg und die Treppe gegangen, dabei mit ihren Schuhen auf den moosbewachsenen Bereich getreten und schließlich auf die Brüstung geklettert. Von dort ist sie in die Tiefe gesprungen, wo sie beim Aufprall starb. So erklären sich gut die Moosfunde an ihren Schuhen und auf der Brüstung der Terasse und so kann das Alternativszenario, daß ein Dritter auf der Terasse sie über die Brüstung geworfen oder gestoßen hat, als extrem unwahrscheinlich verworfen werden, da in diesem Fall kein Moos auf die Brüstung gelangt wäre.Forensisch-botanische Evidenz kann zwar keine Mörder überführen oder Personen zuidentifizieren, sie kann aber sehr hilfreich und sogar das letzte fehlende Beweisstück sein, um Personen mit (Tat)orten in Verbindung bringen, die geographische Herkunft einer Probe zu bestimmen, unerlaubten Handel oder Verkehr mit geschützten Pflanzen nachzuweisen oder, wie in diesem Fall, die Abgrenzung zwischen Suizid und Tötungsdelikt zu ermöglichen. Dabei kommt sie oft ohne aufwendige, teure Labormethoden aus und kann, zusammen mit anderen Indizien, einen wichtigen Beitrag zur Lösung ungeklärter Fälle liefern.
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Referenzen:
[1] Margiotta, G., Bacaro, G., Carnevali, E., Severini, S., Bacci, M., & Gabbrielli, M. (2015). Forensic botany as a useful tool in the crime scene: report of a case. Journal of Forensic and Legal Medicine.
[2] Virtanen, V., Korpelainen, H., & Kostamo, K. (2007). Forensic botany: usability of bryophyte material in forensic studies. Forensic science international, 172(2), 161-163.
[3] Cardoso, H. F. V., Santos, A., Dias, R., Garcia, C., Pinto, M., Sérgio, C., & Magalhães, T. (2010). Establishing a minimum postmortem interval of human remains in an advanced state of skeletonization using the growth rate of bryophytes and plant roots. International journal of legal medicine, 124(5), 451-456.
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