Schon wieder ein grauenvoller Terroranschlag in Paris im Namen Allahs. Diesmal verübt durch Organismen des IS. Im Gegensatz zum letzten Mal habe ich mich nicht (sofort) dazu geäußert. Das hat mehrere Gründe: einerseits fühlte ich mich gelähmt durch eine merkwürdige Mischung von Mitgefühl und Wut aber auch Furcht (nicht vor dem Terror, sondern vor überschießenden, populistischen Reaktionen) und interessanterweise Genervtheit (“nicht schon wieder, nimmt das denn kein Ende?!”), andererseits fand und finde ich, dazu schon alles gesagt zu haben, was mir einfällt: ja, das hat mit (einer bestimmten Lesart des) Islam zu tun, ja, was ein Mensch glaubt, beeinflusst, was er tut und nein, es ist nicht rassistisch, dies zu äußern.
Statt mich also nur zu wiederholen und angesichts dieses abermaligen Anrennens gegen die Festen unserer Zivilisation nicht völlig regungslos zu bleiben, biete ich hier eine Übersetzung eines Texts von Sam Harris an, den ich recht gelungen und in der Sache passend finde:
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Schlafwandeln gen Armageddon
von Sam Harris
„In seiner Ansprache als Reaktion auf den grauenhaften Mord am Journalisten James Foley, verübt durch einen britischen Dschihadisten, erteilte Präsident Obama die folgende Rüge (in der er für ISIS die alternative Bezeichnung ISIL verwendete):
ISIL spricht für keine Religion… und kein Glaubenssystem lehrt, daß man Unschuldige massakrieren soll. Kein gerechter Gott steht dafür ein, was sie gestern getan haben und jeden einzelnen Tag wieder tun. ISIL verfügt nicht über eine Ideologie, die für Menschen irgendeinen Wert hätte. Ihre Ideologie ist bankrott… wir werden alles tun, was wir können, um unsere Bürger und die zeitlosen Werte, für die wir stehen, zu schützen. Möge Gott Jim segnen und die Erinnerung an ihn erhalten. Und Gott segne die Vereinigten Staaten von Amerika.
In seinen nachfolgenden Bemerkungen, in denen eine Stratgie, ISIS zu besiegen, umrissen wird, erklärte der Präsident:
Lassen Sie mich nun zwei Dinge klarstellen: ISIL ist nicht islamisch. Keine Religion billigt die Ermordung Unschuldiger und die große Mehrheit der Opfer von ISIL waren selbst Moslems… ISIL ist schlicht und ergreifend eine Terrororganisation. Und sie haben keine andere Vision als alle zu ermorden, die ihnen im Wege sind… Möge Gott unsere Truppen segnen und Gott segne die Vereinigten Staaten von Amerika.
Als Atheist kann ich nicht anders, als mich zu fragen, wann dieser Schamvorhang aus Vortäuschung und Selbstbetrug endlich weggebrannt sein wird – entweder durch das helle Licht der Vernunft oder durch das schiere Übermaß an Schrecken, das den Unschuldigen durch die Parteien Gottes zugemutet wird. Was wird zuerst kommen: fliegende Autos und Ferien auf dem Mars oder die simple Anerkennung der Tatsache, daß Glaubensvorstellungen Verhalten beeinflussen und daß bestimmte religiöse Ideen – Dschihad, Märtyrertum, Blasphemie, Apostasie – zuverlässig Unterdrückung und Mord hervorbringen? Es mag ja wahr sein, daß kein Glaubenssystem lehrt, daß man Unschuldige massakrieren soll, aber Unschuld liegt, wie dem Präsidenten ganz sicher bewußt ist, im Auge des Betrachters. Sind Apostaten „unschuldig“? Blasphemer? Polytheisten? Der Islam kennt die Antwort und sie ist “Nein”.
Es haben sich mehr britische Moslems ISIS angeschlossen als sich freiwillig gemeldet haben, um in der britischen Armee zu dienen. Tatsächlich ist es jener Gruppierung gelungen, tausende Rekruten aus freien Gesellschaften aus der ganzen Welt anzuwerben, um dabei zu helfen, ein Paradies der Unterdrückung und des sektenhaften Abschlachtens in Syrien und dem Irak aufzubauen. Das ist ein erstaunliches Phänomen und es enthüllt einige überaus unbequeme Wahrheiten über das Versagen des Multikulturalismus, die inhärente Verwundbarkeit offener Gesellschaften und die erschreckende Macht schlechter Ideen.
Zweifellos wird sich an dieser Stelle der Geist vieler Leser mit aufgeklärten Bedenken anfüllen. Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, daß die meisten Moslems ISIS unterstützen, noch möchte ich in irgendeiner Weise dem Haß auf Moslems als Menschen Rückhalt oder gar Anregung geben. Indem ich eine Verbindung zwischen der Lehre des Islam und dschihadistischer Gewalt aufzeige, spreche ich lediglich über Ideen und ihre Folgen, nicht über 1,5 Milliarden konfessionelle Moslems, von denen viele ihre Religion nicht allzu ernst nehmen.
Aber der Glaube an das Märtyrertum, Haß auf Ungläubige und das Bekenntnis zum gewalttätigen Dschihad sind eben keine Randerscheinungen in der moslemischen Welt. Diese Vorstellungen werden durch Koran und zahlreiche Hadithe unterstützt. Deshalb klingt der populäre saudische Kleriker Mohammad Al-Arefe auch wie der Militärkaplan von ISIS. Der Mann hat 9,5 Millionen Follower bei Twitter (doppelt so viele wie Papst Franziskus) und wenn Sie wirklich einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Glauben den er predigt und dem, der die Barbarei von ISIS motiviert, ausmachen können, sollten Sie wahrscheinlich am besten einen Neurologen konsultieren.
Die Lehren des Islam zu verstehen und zu kritisieren – und einen Weg zu finden, Moslems dazu anzuregen, ihn zu reformieren – ist eine der wichtigsten Herausforderugen, denen die zivilisierte Welt jetzt gegenübersteht. Doch die Aufgabe besteht nicht einfach darin, die Lehren moslemischer „Extremisten“ als falsch zu diskreditieren, weil die meisten ihrer Ansichten im Lichte ihrer religiösen Schriften eben nicht falsch sind. Der Haß auf Ungläubige ist wohl die zentrale Botschaft des Korans. Die Realität des Märtyrertums und die Heiligung des bewaffneten Dschihad sind im Islam in etwa so kontrovers wie die Auferstehung Jesu im Christentum. Es ist kein Zufall, daß Millionen Moslems die Schahada zitieren oder nach Mekka pilgern. Ebensowenig ist es Zufall, daß die grauenhaften Videoaufnahmen davon, wie Ungläubige und Apostaten enthauptet werden, zu einer beliebten Art von Pornographie in der moslemischen Welt geworden sind. Jede dieser Praktiken, einschließlich dieser gräßlichen Mordmethode, werden explizit durch die religiösen Schriften gestützt.
Doch inzwischen gibt es eine umfangreiche Verdunkelungsindustrie, die errichtet wurde, um Moslems davor zu schützen, sich mit diesen Wahrheiten befassen zu müssen. Unsere geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten sind voll von Gelehrten und Pseudo-Gelehrten, angeblichen Experten für Terrorismus, Religion, islamische Jurisprudenz, Anthropologie, Politikwissenschaften und verschiedene andere Felder, die behaupten, daß, wenn es um moslemische Intoleranz und Gewalt geht, nichts jemals so sei, wie es scheine. Über allem steht, daß diese Experten behaupten, daß man Islamisten und Dschihadisten nicht beim Wort nehmen dürfe: deren unablässigen Erklärungen über Gott, Paradies, Märtyrertum und das Übel der Apostasie seien nichts weiter als eine Maske, die ihre wirklichen Motive verhehle. Was ihre wirklichen Motive sind? Fügen Sie hier einfach die demütigsten Hoffnungen und Projektionen des säkularen Liberalismus ein: Wie würden Sie sich fühlen, wenn westliche Imperialisten und ihre Landkartenplaner Ihr Land aufgeteilt, Ihr Öl gestohlen und Ihre stolze Kultur gedemütigt hätten? Fromme Moslems wollen nur, was alle wollen: politische und wirtschaftliche Sicherheit, ein Stück Land, das sie Heimat nennen können, gute Schulen für ihre Kinder und ein wenig Freizeit, um die Gesellschaft von Freunden genießen. Bedauerlicherweise scheinen die meisten meiner liberalen Gesinnungsgenossen das wirklich zu glauben. Tatsächlich gilt es sogar als Bigotterie, diesen Obskurantismus nicht als tiefe Einsicht in die menschliche Natur zu akzeptieren und seine Augen nicht unverzüglich von den Lehren des Islam abzuwenden.
In jeder Konversation über dieses Thema muß man daher ständig einen Schutzwall aus Vorbehalten und Konzessionen für Irrelevantes vor sich aufschichten: Natürlich gibt es Probleme mit der U.S.-Außenpolitik. Ja, wir müssen wirklich weg vom Öl. Nein, ich war nicht für den Irak-Krieg. Sicher habe ich Chomsky gelesen. Kein Zweifel, die Bibel enthält genauso fürchterliche Passagen. Ja, ich habe von der Bombardierung der Abtreibungsklinik im Jahr 1984 gehört. Nein, tut mir leid, aber Hitler und Stalin wurden nicht durch Atheismus motiviert. Die „Tamil Tigers“? Klar habe ich von denen gehört. So, können wir dann jetzt endlich aufrichtig über die Verbindung zwischen Glauben und Verhalten sprechen?
Ja, viele Moslems ignorieren problemlos Apostasie und Blasphemie bei ihren Nachbarn, sehen Frauen für moralisch gleichwertig mit Männern an und verachten Antisemitismus. Aber es gibt ja auch Moslems, die Alkohol trinken und Schweinespeck essen. Alle diese Haltungen laufen in unterschiedlichem Ausmaß den expliziten Lehren des Islam zuwider. Und genau wie die Moderaten in jeder anderen Religion neigen auch die meisten moderaten Moslems zum Obskurantismus, wenn sie ihren Glauben gegen Kritik verteidigen. Sie stützen sich auf moderne, säkulare Werte – Toleranz gegenüber Verschiedenheit zum Beispiel und den Respekt vor den Menschenrechten – als Grundlage für die Neuinterpretation von und der Nichtbeachtung der allerübelsten Passagen aus ihren heiligen Büchern. Aber dennoch verlangen sie, daß wir die Idee der Offenbarung respektieren sollen und das macht uns dauerhaft verwundbar gegenüber den wörtlicheren Auslegungen der Schriften.
Die Idee, daß irgendein Buch durch den Schöpfer des Universums eingegeben wurde ist reines Gift – intellektuell, ethisch und politisch. Und derzeit verursacht dieses Gift nirgendwo mehr Schaden als in den moslemischen Gemeinschaften im Osten und im Westen. Trotz all der offenkundigen Barbarei im Alten Testament und der gefährlichen Eschatologie des Neuen ist es für Juden und Christen relativ leicht möglich, Religion von Politik und säkularer Ethik zu trennen. Ein einziger Satz in Matthäus – “Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ – erklärt größtenteils, warum der Westen heute keine Geisel der Theokratie mehr ist. Der Koran enthält einige Zeilen, die ähnlich machtvoll sein könnten, zum Beispiel: „In der Religion gibt es keinen Zwang“ (2:256) – aber diese Funken von Toleranz werden leicht erstickt. Den Islam in ein wahrhaft gutartiges Glaubenssystem zu transformieren, erfordert ein echtes Wunder der Neuinterpretation und einige unerschrockene Reformatoren wie Maajid Nawaz geben ihr Bestes, um das zu erreichen.
Viele halten es für unklug, die Verbindung zwischen Islam und der Intoleranz und Gewalt zu diskutieren, die wir heute in der moslemischen Welt am Werk sehen, weil sie fürchten, daß das der Auffassung Vorschub leistet, derzufolge der Westen einen Krieg gegen den Glauben führe und daher Millionen ansonsten friedlicher Moslems veranlasse, sich den Dschihadisten anzuschließen. Ich gebe zu, daß diese Bedenken nicht unbedingt verrückt sind, doch sie bestätigen lediglich den Ernst des zugrundeliegenden Problems. Religion ruft eine perverse Solidarität hervor und wir müssen einen Weg finden, diese zu unterminieren. Sie verursacht selbst dann noch Eigengruppen-Loyalität und Fremdgruppen-Feindseligkeit, wenn sich Mitglieder der eigenen Gruppe wie Psychopathen aufführen.
Dennoch bleibt es in den meisten Gesellschaften tabu, den religiösen Glauben einer Person zu kritisieren. Selbst manche Atheisten neigen dazu, sich diesem Tabu unterzuordnen und anderen seine Einhaltung aufzuzwingen, weil sie glauben, daß Religion für viele Menschen notwendig ist. Das Leben ist immerhin schwer und Glaube wirkt wie Balsam. Die meisten Leute glauben, daß jene eisenzeitliche Philosophie das einzig verfügbare Gefäß für ihre spirituellen Hoffnungen und existentiellen Ängste bietet. Dies stellt ein hartnäckiges Problem für die Kräfte der Vernunft dar, weil die meisten transformierenden Erlebnisse, die Menschen haben können – Glückseligkeit, Hingabe, Selbsttranszendenz – immer noch in den übelsten Teilen unserer Kultur und solchen Denkweisen verankert sind, die Aberglaube, Selbsttäuschung und Konflikte lediglich verstärken.
Von allen Schäden, die die Religion im Laufe der Geschichte angerichtet hat, ist das womöglich der subtilste: selbst wenn sie gutartig erscheint, Menschen dazu anregt, sich in wunderschönen Bauwerken zu versammeln, um das Mysterium des Seins und ihre ethischen Bindungen aneinander zu kontemplieren, vermittelt Religion doch die Botschaft, daß es keinen intellektuell haltbaren und nicht-konfessionsgebundenen Weg gibt, dies zu tun. Aber es gibt ihn doch. Wir können starke Gemeinschaften errichten und uns zutiefst moralischer und spiritueller Lebensweisen erfreuen, ohne irgendwelchen Uneinigkeit stiftenden Unsinn über den göttlichen Ursprung bestimmter Bücher zu glauben.
Und dieser fehlgeleitete Respekt vor einer Offenbarung erklärt, warum Präsident Obama als Reaktion auf den schlimmstmöglichen Ausdruck religiösen Fanatismus’ mit Euphemismen geantwortet hat, und mit Raketen. Dies mag das Beste sein, worauf wir hoffen dürfen, angesichts des Standes unseres Diskurses über Religion. Vielleicht werden wir wirklich eines Tages „alles tun, was wir können, um unsere Bürger und die zeitlosen Werte, für die wir stehen, zu schützen“. Heute aber benennen wir nicht einmal aufrichtig die Motive unserer Feinde. Und während wir uns selbst belügen, legen wir Lippenbekenntnisse gegenüber genau jenen Wahnvorstellungen ab, die ihnen immer mehr Macht verleihen.
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