Heiligabend gut überstanden? Lust, den von Fresskoma und überhitzter Stube matten Geist ein wenig zu erfrischen? Gut, denn ich habe was über einen Schneesturm zu erzählen. Bevor es losgeht aber erstmal was gegen das Fresskoma. Hier klicken und ne Weile draufgucken. (gern geschehen 😉
(Als Vorbereitung bzw. für die Grundlagen zur Epigenetik möge man sich bei Bedarf auch den einschlägigen Basics-Artikel zu Gemüte führen.)
Erinnert sich noch jemand an die Nachrichten aus dem Winter 1998 als in Kanada, v.a. über Montreal im südlichen Quebec, ein besonders heftiger Schneesturm wütete? Bei Temperaturen von -20°C und wochenlangen und Millionen betreffenden Stromausfällen kamen insgesamt 17 Menschen ums Leben und viele erlebten erheblichen Stress, darunter 176 Schwangere.
Fünf Monate nach dem Sturm fragte sich eine Gruppe von Forschern, ob sich dieser Stress auf die kurz nach dem Sturm geborenen Babys ausgewirkt haben könnte. Die Zusammenstellung des Studienkollektivs hatte dabei der Zufall übernommen, denn alle Menschen waren gleichermaßen von dem Unwetter betroffen gewesen, unabhängig von Einkommen, sozialem, genetischem oder ethnischem Hintergrund: beste Voraussetzungen also, um Langzeitauswirkungen von Stress zu untersuchen.
Über die nächsten 16 Jahre hielt die Gruppe um Suzanne King Kontakt zu den 176 Müttern und ihren Kindern und erhoben Daten zum Entwicklungsstand, zur Hirnfunktion und zum Stoffwechsel. In einer Reihe von Veröffentlichungen konnten sie zeigen, daß die Schneesturmbabys von Beeinträchtigungen der Entwicklung und Gesundheit betroffen sowie anfälliger für Leiden wie Asthma, Autismus und Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom waren. Es war jedoch völlig unklar, welcher Mechanismus diese Erscheinungen hervorbrachte.
Bis der Epigenetiker Moshe Szyf auf die Idee kam, die Schneesturmbabys auf eine Veränderung ihrer Epigenome hin zu untersuchen. Es ist bereits gut beschrieben, daß frühe Lebenserfahrungen grundsätzlich Veränderungen im DNA-Methylierungsmuster hervorbringen können, das Problem beim Menschen ist aber, daß man nur sehr schwer differenzieren kann, ob solche Veränderungen durch genetische oder durch umweltbedingte Einflüsse zustande kommen. Die Schneesturmbabys boten für eine Untersuchung der Auswirkung von Stress auf die DNA-Methylierung während der Babyentwicklung daher eine sehr gute Gelegenheit, da alle untersuchten Mutter-Kind-Paare ja zum gleichen Zeitpunkt von der gleichen äußeren Umweltauswirkung betroffen waren.
2011 bat Szyf die inzwischen zu Teenagern herangewachsenen Schneesturmbabys, ob sie ihm Blutproben zur Verfügung stellen würden, was 36 auch taten, von denen 33 bereits im Alter von 8 Jahren eine Speichelprobe gespendet hatten. Aus den Blutproben wurden T-Zellen isoliert und deren DNA-Methylierungsmuster bestimmt. Diese Ergebnisse wurden mit den Ergebnissen aus Fragebögen korreliert, worin die Mütter der Babys Angaben zur Dauer und Intensität des Stress‘, den sie während des Schneesturms durchlebt hatten, gemacht hatten.
Dabei fanden sich 1675 Methylierungsstellen in den Genomen der Kinder, die mit dem Stress der Mütter während des Schneesturms korreliert waren.
Je höher der angegebene Stresswert der Mutter war (z.B. durch einen länger andauernden Stromausfall), desto höher bzw. niedriger war die Methylierungsrate der einzelnen Stellen bei den Kindern. Dabei wurde auch geprüft, ob diese Muster (sog. Signaturen) schon in den Speichelproben der Achtjährigen vorhanden waren, um auszuschließen, daß die Veränderungen erst später im Leben aufgetreten waren. Die Methylierungssignaturen der Schneesturmbabys erwiesen sich im Vergleich zu ähnlichen Studien als ungewöhnlich stark und organisiert und traten nicht über das gesamte Genom verteilt sondern vor allem in funktionalen Genen auf und zwar überwiegend in solchen auf, die im Zusammenhang mit dem Immunsystem stehen und da speziell dem CD28-Signalweg in T-Helfer-Zellen.Diese „Schneesturm-Stress-Methylierung“ ist nicht unbedingt schlecht, sie ist eher adaptiv, denn der Organismus war ja erheblichem Stress ausgesetzt und wurde durch die veränderte Methylierung darauf vorbereitet, ein Leben lang erhöhtem Stress ausgesetzt zu sein. Insofern erscheint es sinnvoll, daß Gene des Immunsystems betroffen sind, da das Immunsystem eine der ersten Vetrteidigungslinien des Körpers gegen Stress ist. Es bleibt jedoch noch zu untersuchen, welche Auswirkungen genau die Schneesturm-Stress-Methylierung auf das Immunsystem der betroffenen Kinder hat.
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