Obwohl viel zu IPV geforscht wird, ist es sehr schwierig, ihr Ausmaß und ihre Verbreitung zu erfassen und solide Vergleichszahlen zu erhalten, die als Grundlage für bessere politische Gegenmaßnahmen dienen können. Dabei sind die kurz- und langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von physischer und sexueller IPV schlimm und vielfältig [1]. IPV ist z.B. weltweit der Grund für die meisten Morde an Frauen und korreliert mit gehäuftem Auftreten von Depressionen [2] und suizidalem Verhalten [3]. Aber auch der sozioökonomische Schaden durch IPV ist ganz erheblich, wie eine Studie zeigt, die die 2009 in England und Wales durch IPV verursachten Kosten auf 15 Milliarden Pfund schätzt [4].
In einer Metaanalyse in Science wurde die Prävalenz von IPV anhand von 141 Studien in 81 Ländern untersucht [5]. Sie kommt zu dem deprimierenden Ergebnis, daß weltweit, im Jahre 2010, 30,0 % (95% KI: 27,8 – 32,2%) alle Frauen im Alter von 15 oder mehr Jahren physische und/oder sexuelle IPV erlebt hatten, wobei jedoch erhebliche regionale Schwankungen auffielen.
Die Graphik zeigt die regionale Prävalenz von IPV, die Abszisse trägt die Prozentzahl Frauen auf, die schon mind. einmal verpartnert waren. Die Zahlen in der rechten Spalte entsprechen der Prävalenz von IPV in Prozent mit dem 95%-KI.
Die weltweit hohe Prävalenz belegt deutlich die Notwendigkeit für Präventionsmaßnahmen neben medizinischer, sozialer, juristischer und sonstiger Unterstützung für die Opfer. Diese können und sollten auch Eingang in Integrationsprogramme finden und jede Spur kulturrelativistischer Duldungsanwandlungen bei der Bewertung von IPV ist nicht nur falsch und unangebracht, sondern auch kontraproduktiv und ein weiterer Schlag ins Gesicht der Opfer. Ein weiterer wichtiger Befund der Studie bestand in der Feststellung, daß Bildung bei Frauen durchweg indirekt korreliert mit der Häufigkeit von IPV ist, während ob eine Frau in einem Arbeitsverhältnis steht, je nach geokultureller Umgebung direkt oder indirekt mit IPC korreliert ist. Das deckt sich mit der Beobachtung, daß in vielen moslemischen Ländern, wo die Frauen systematisch von Bildung (s. Malala Yousafzai) und Partizipation am Arbeitsmarkt ferngehalten werden, IPV sehr häufig ist. Besonders wichtig ist es also, sozialen und gesellschaftlichen Normen oder Traditionen entgegenzuwirken, die IPV legitimieren, herunterspielen oder sonstwie verharmlosen und die Kontrolle von Männern über Frauen befürworten: einer Schätzung der UN zufolge leben allein 600 Millionen Frauen weltweit in Ländern, in denen IPV nicht einmal als Straftat gilt.
In Ländern, in denen IPV als Straftat verfolgt wird, ist es umso wichtiger, daß wir Forensiker über gute Methoden zur Ermittlung in solchen Fällen verfügen, so daß wir IPV nachweisen können, auch ohne auf Zeugen oder die Beteuerungen der Täter angewiesen zu sein. Kürzlich erschien hierzu in der wichtigsten forensisch-genetischen Fachzeitschrift ein Artikel, der sich mit der Beurteilung von Hautspuren unter den Fingernägeln von Frauen befaßt [6].
Bei zusammenlebenden Paaren ist es nicht ungewöhnlich, DNA des einen Partners am Körper des anderen, bisweilen sogar unter den Fingernägeln (in 17% der untersuchten Paare) zu finden. Bei IPV-Verdachtsfällen scheinen deshalb auf DNA-Beweise gestützte Interpretationen auf den ersten Blick nicht sehr aussagekräftig zu sein. Untersucht wurde daher, ob sich die DNA-Mengen ihres Partners, die sich unter den Fingernägeln einer Frau sichern lassen, unterscheiden, je nachdem, ob sie vom einfachen Zusammenleben oder von im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung, die auf IPV hindeuten kann, dem Mann beigebrachten Kratzern herrühren. Das Zustandekommen von Kratzern an einem Mann, der der IPV verdächtig ist, wird von diesem dann gegenüber Ermittlern oft mit einem Unfall oder einer herkömmlichen Verletzung erklärt. In solchen Fällen ist dann eine genaue Untersuchung und eindeutige Klassifizierung der Verletzungsmuster an beiden Partnern hilfreich für die Rekonstruktion der wirklichen Geschehnisse.
Anlaß für die Studie war ein Fall tödlicher IPV, in welchem eine Frau tot in der Badewanne liegend aufgefunden wurde, nachdem der Täter sie mit den Händen erwürgt hatte. Tatverdächtig war der Ehemann der Ermordeten, der die Kratzer, die man an seinem Körper (s. Abbildung b und c) festgestellt hatte, als Arbeitsverletzungen statt als Spuren der Gegenwehr des Opfers deklarierte.
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