Gerade erst hatten wir es mal wieder übers Impfen, da stolpere ich über eine Studie von Kreiter et al. [1], worin die Möglichkeit angedeutet wird, personalisierte Impfstoffe zu erzeugen, die das Immunsystem veranlassen, einen Tumor zu zerstören.
In meiner Reihe über Krebs in dem Teil, in dem ich über die diagnostischen Möglichkeiten des Einsatzes von NGS geschrieben habe, heißt es,
daß die grobe und teilweise aufgrund äußerer Merkmale vollzogene Klassifizierung und damit auch Behandlung von Tumoren, wie sie heute noch vielfach üblich ist, die eigentliche und enorme Heterogenität dieser Gebilde ignoriert und keineswegs immer die beste Option für betroffene Patienten darstellt . Die durch die […] genomische Instabilität bedingten Mutationsereignisse in den Tumorzellen bringen eine unvorstellbare genotypische Vielfalt hervor, die durch die herkömmlichen diagnostischen Kategorien nicht einmal ansatzweise abgebildet wird, jedoch für eine optimale und auf den individuellen Patienten und dessen Tumor zugeschnittene Therapie berücksichtigt werden muß.
Die erste echte Hoffnung für die Ausnutzung dieser Erkenntnisse stellt die individualisierte Tumortherapie dar, die durch die routinemäßige Komplettsequenzierung von Tumorgenoms mittels NGS wohl in nicht ferner Zukunft in greifbare Nähe rücken wird. Dadurch werden Tumorkategorien (mit ihren “eines für alle”-Therapien) obsolet werden und Therapieansätze genau auf diesen einen speziellen Tumor bei diesem einen Patienten mit seinen spezifischen genetischen Eigenschaften abstimmbar sein.
Genau in diese Kerbe der individualisierten Tumortherapie schlägt der Ansatz von Kreiter et al.: ein generalisierter Impfstoff, wie etwa gegen Masern, ist gegen Krebs nicht sinnvoll, weil die Krebszellen jedes Patienten ein einzigartiges Muster aus Mutationen und daher Eigenschaften aufweisen. Die Gruppe um Kreiter hat deshalb einen Algorithmus entwickelt, um die vorhandenen Mutationen nach ihrer Eigenschaft, eine besonders starke Immunantwort auszulösen, zu priorisieren. Auf dieser Grundlage stellten sie individuelle Impfstoffe her, die im Mausversuch das Immunsystem der Tiere selbst aggressivste Tumore zerstören ließ.
Auf den Menschen bezogen könnte also so erstmals die genomische Information eines Patienten verwendet werden, um ein ganz genau auf ihn zugeschnittenes Medikament herzustellen.
Die Idee, Impfstoffe gegen krebsauslösende bzw. bedingende Mutationen einzusetzen, um das Immunsytem gegen solche Mutationen in Stellung zu bringen, ist keineswegs neu, doch es war nicht klar, wie viele dieser Mutationen für eine solche Immunotherapie geeignet sind und welche am besten funktionieren würden.
Das Immunsystem kann Krebszellen erkennen, wenn diese vermittels MHC I „fremdartige“, d.h. nicht als körpereigen erkannte Peptide, die von Krebsmutationen herrühren, an ihrer Oberfläche präsentieren. Die Erkennung erfolgt vornehmlich durch CD8-T-Zellen, die man für die wichtigsten Agenten bei der Bekämpfung von Tumoren hielt. Kreiter et al. zeigten nun, daß die meisten Krebsmutationen stattdessen offenbar eine durch CD4-T-Zellen vermittelte Immunreaktion hervorrufen.
Dies fanden sie heraus, als sie die DNA aus Mausmodellen für Melanom, Lungen- und Darmkrebs sequenzierten und in jedem Tumor mehr als 500 verschiedene Mutationen entdeckten. Davon wählten sie 50 zufällige und weitere 50 CD8-T-Zell-fokussierte Mutationen aus und stellten fest, daß 20% dieser Mutationen tatsächlich eine Immunantwort auslösten. Sie prüften, ob diese immunogenen Mutationen durch CD8- oder CD4-T-Zellen erkannt werden und fanden, wie oben erwähnt, vornehmlich CD4-T-zellvermittelte Aktivierung, welche einer Präsentation des Antigens auf der Zelloberfläche mittels des MHC II bedarf.
Für den Einsatz beim Menschen besteht die Herausforderung darin, die DNA des zu behandelnden Tumors zunächst zu sequenzieren, um krebsassoziierte Mutationen zu finden (was dank NGS kein großes Problem mehr ist) und dann korrekt vorherzusagen, welche der gefundenen Mutationen geeignet für eine Immunotherapie gegen den Krebs ist. Genau dafür hat die Gruppe den erwähnten Algorithmus entwickelt, der auf Grundlage guter MHC II-Bindekapazität und starker Expression der Mutation errechnet, welche Mutation wahrscheinlich die stärkste Immunantwort erzeugen wird.
Mit den Vorhersagen des Algorithmus konnten sie mRNA-basierte Impfstoffe erzeugen, die zunächst eine und später mindestens 10 Mutationen abbildeten. Das funktioniert, indem durch künstlich hergestellte mRNA, deren Sequenz dem mutierten Gen entspricht und die in einer Empfängerzelle als Vorlage zur Herstellung (Translation) entsprechend veränderter Aminosäuresequenzen dient, krebsspezifische Peptide hergestellt werden, die dann von der Zelle verarbeitet und mittels MHC-Protein an deren Oberfläche präsentiert werden.
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