Gerade erst hatten wir es mal wieder übers Impfen, da stolpere ich über eine Studie von Kreiter et al. [1], worin die Möglichkeit angedeutet wird, personalisierte Impfstoffe zu erzeugen, die das Immunsystem veranlassen, einen Tumor zu zerstören.

In meiner Reihe über Krebs in dem Teil, in dem ich über die diagnostischen Möglichkeiten des Einsatzes von NGS geschrieben habe, heißt es,

daß die grobe und teilweise aufgrund äußerer Merkmale vollzogene Klassifizierung und damit auch Behandlung von Tumoren, wie sie heute noch vielfach üblich ist, die eigentliche und enorme Heterogenität dieser Gebilde ignoriert und keineswegs immer die beste Option für betroffene Patienten darstellt . Die durch die […] genomische Instabilität bedingten Mutationsereignisse in den Tumorzellen bringen eine unvorstellbare genotypische Vielfalt hervor, die durch die herkömmlichen diagnostischen Kategorien nicht einmal ansatzweise abgebildet wird, jedoch für eine optimale und auf den individuellen Patienten und dessen Tumor zugeschnittene Therapie berücksichtigt werden muß.

Die erste echte Hoffnung für die Ausnutzung dieser Erkenntnisse stellt die individualisierte Tumortherapie dar, die durch die routinemäßige Komplettsequenzierung von Tumorgenoms mittels NGS wohl in nicht ferner Zukunft in greifbare Nähe rücken wird. Dadurch werden Tumorkategorien (mit ihren “eines für alle”-Therapien) obsolet werden und Therapieansätze genau auf diesen einen speziellen Tumor bei diesem einen Patienten mit seinen spezifischen genetischen Eigenschaften abstimmbar sein.

Genau in diese Kerbe der individualisierten Tumortherapie schlägt der Ansatz von Kreiter et al.: ein generalisierter Impfstoff, wie etwa gegen Masern, ist gegen Krebs nicht sinnvoll, weil die Krebszellen jedes Patienten ein einzigartiges Muster aus Mutationen und daher Eigenschaften aufweisen. Die Gruppe um Kreiter hat deshalb einen Algorithmus entwickelt, um die vorhandenen Mutationen nach ihrer Eigenschaft, eine besonders starke Immunantwort auszulösen, zu priorisieren. Auf dieser Grundlage stellten sie individuelle Impfstoffe her, die im Mausversuch das Immunsystem der Tiere selbst aggressivste Tumore zerstören ließ.

Auf den Menschen bezogen könnte also so erstmals die genomische Information eines Patienten verwendet werden, um ein ganz genau auf ihn zugeschnittenes Medikament herzustellen.

Die Idee, Impfstoffe gegen krebsauslösende bzw. bedingende Mutationen einzusetzen, um das Immunsytem gegen solche Mutationen in Stellung zu bringen, ist keineswegs neu, doch es war nicht klar, wie viele dieser Mutationen für eine solche Immunotherapie geeignet sind und welche am besten funktionieren würden.

Das Immunsystem kann Krebszellen erkennen, wenn diese vermittels MHC I „fremdartige“, d.h. nicht als körpereigen erkannte Peptide, die von Krebsmutationen herrühren, an ihrer Oberfläche präsentieren. Die Erkennung erfolgt vornehmlich durch CD8-T-Zellen, die man für die wichtigsten Agenten bei der Bekämpfung von Tumoren hielt. Kreiter et al. zeigten nun, daß die meisten Krebsmutationen stattdessen offenbar eine durch CD4-T-Zellen vermittelte Immunreaktion hervorrufen.

Dies fanden sie heraus, als sie die DNA aus Mausmodellen für Melanom, Lungen- und Darmkrebs sequenzierten und in jedem Tumor mehr als 500 verschiedene Mutationen entdeckten. Davon wählten sie 50 zufällige und weitere 50 CD8-T-Zell-fokussierte Mutationen aus und stellten fest, daß 20% dieser Mutationen tatsächlich eine Immunantwort auslösten. Sie prüften, ob diese immunogenen Mutationen durch CD8- oder CD4-T-Zellen erkannt werden und fanden, wie oben erwähnt, vornehmlich CD4-T-zellvermittelte Aktivierung, welche einer Präsentation des Antigens auf der Zelloberfläche mittels des MHC II bedarf.

Für den Einsatz beim Menschen besteht die Herausforderung darin, die DNA des zu behandelnden Tumors zunächst zu sequenzieren, um krebsassoziierte Mutationen zu finden (was dank NGS kein großes Problem mehr ist) und dann korrekt vorherzusagen, welche der gefundenen Mutationen geeignet für eine Immunotherapie gegen den Krebs ist. Genau dafür hat die Gruppe den erwähnten Algorithmus entwickelt, der auf Grundlage guter MHC II-Bindekapazität und starker Expression der Mutation errechnet, welche Mutation wahrscheinlich die stärkste Immunantwort erzeugen wird.

Mit den Vorhersagen des Algorithmus konnten sie mRNA-basierte Impfstoffe erzeugen, die zunächst eine und später mindestens 10 Mutationen abbildeten. Das funktioniert, indem durch künstlich hergestellte mRNA, deren Sequenz dem mutierten Gen entspricht und die in einer Empfängerzelle als Vorlage zur Herstellung (Translation) entsprechend veränderter Aminosäuresequenzen dient, krebsspezifische Peptide hergestellt werden, die dann von der Zelle verarbeitet und mittels MHC-Protein an deren Oberfläche präsentiert werden.

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Kommentare (24)

  1. #1 Intensivpfleger
    15/04/2016

    Wenn ich den nature-abstract richtig überflogen habe, findet dieser Forschungsansatz hpts. in Mainz statt, hat aber bislang das Labor noch nicht verlassen.
    Bin sehr gespannt, ob ich die Studien an “echten” Patienten live auch in meinem Haus erleben werde (Charité). Die Idee klingt auf jeden Fall vielversprechend.
    Was mir aus deinem Artikel und dem abstract nicht klar hervorgeht, ist die von dir angeführte Beschränkung der Methode auf lediglich 75% der Tumorerkrankungen (letzter Absatz in deinem Text). Welche Beschränkungen des Einsatzes dieser Methode liegen denn vor, dass nicht bei allen möglichen Tumorerkrankungen so vorgegangen werden könnte?

    fragt sich der
    Intensivpfleger

  2. #2 zimtspinne
    15/04/2016

    Hallo Cornelius,

    schön, dass es mal wieder was zu diesem ewig faszinierendem Thema Krebs von dir gibt!

    Ich hab das jetzt nur überflogen – wäre das Impfen denn ausgereifter und greifender als die derzeitigen Immuntherapien? Die haben ja leider das altbekannte Problem, spätestens nach 2 Jahren (eher kürzer) nicht mehr wirksam zu sein, weil Krebszellen einfach so dermaßen wandlungsfähig und egoistisch agieren und nach den ersten gewonnen Schlachten doch stets als Sieger und eher noch gestärkt (in Form von Supertumorstammzellen) hervorgehen. Die Therapie formt den Tumor eher als dass sie ihn beseitigt.

    Und wenn einer mal den Krebs langzeitüberlebt, dann scheint das eher individuelle Glückssache zu sein, wie Peter Lustig mit Kleinzeller und 25 Jahren Überleben, obwohl er davon noch satte 15 Jahre weitergepafft hat.
    Sein Immunsystem scheint selbst in der Lage gewesen zu sein, das Tumorgeschehen in Schach zu halten und die Tumorlast irgendwie so gering zu halten, dass er damit überleben konnte. Metastasierung? keine Ahnung, aber es gibt ja auch immer wieder Langzeitüberlebende mit metastasierten Krebsen.

    Also ich trau dem Immunsystemdoping da noch nicht so ganz über den Weg, das müsste schon ein echter Knaller sein, um mal wirklich einen Durchbruch zu erzeugen.
    Ich hab aber auch eine Lebenswette laufen, dass der Krebs unbesiegbar bleibt, die muss ja gewonnen werden :p

  3. #3 Joseph Kuhn
    15/04/2016

    Klingt interessant, aber man hört so viele schöne Versprechen in diesem Bereich. Gibt es eine Diskussion dazu unter Fachleuten? Auf die Schnelle konnte ich nichts finden.

  4. #4 zimtspinne
    16/04/2016

    Ich habe gerade noch mal bisschen nachgelesen, weil ich das echt sehr interessant finde, die neuen Richtungen im Krebskrieg (bis vor einem halben Jahr sah ich die Immuntherapie sogar als extrem hoffnungsberechtigt).

    Solche Sätze
    “Das körpereigene Immunsystem weiß am besten, wie es mit Tumoren fertig wird. Ihm muss nur ein wenig auf die Sprünge geholfen werden. Mit der RNA-Impfung scheinen die Wissenschaftler auf dem besten Weg dahin zu sein.”

    irritieren mich aber einfach.
    Das körpereigene Immunsystem hat doch eben bereits großflächig versagt, wenn erstmal überhaupt Krebs entstehen konnte. Hier wird so getan als sei das purer Zufall.

    Das erste was ich wirklich über Krebs gelernt hab, hat sich bei mir eingebrannt und das ist eben eine ganz andere Sichtweise…. die Tumorentstehung hängt mit dem Urprogramm der Zellen zusammen und im Laufe der Evolution haben sich ausgetüftelte Programme entwickelt, um die Zellen daran zu hindern, wieder in ihren Teilungswahn zu verfallen. Versagt eine oder meist gleich mehrere dieser Barrieren, kann Krebs entstehen.

    Tja, und ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb Krebs primär eine Alterserkrankung ist. Die körpereigene Krebsabwehr funtkioniert nicht mehr so zuverlässig (wie eben fast alles im Alter) und natürlich besteht daran auch gar kein übergeordnetes Interesse, die Lebensaufgabe ist ja bereits abgeschlossen.

    Also ist diese ganze Immuntherapiegeschichte auch wieder nur Symptombekämpfung und an die Ursachen wird überhaupt nicht rangegangen.
    Das wäre eine Gentherapie, die sämtliche Barrieren gegen Krebs wieder in Ordnung bringt und das Gleichgewicht von Tumorsupressor- und Onkogenen usw.
    Das wäre dann ungefähr der Zeitpunkt, wenn auch die Alterung des Menschen aufgehalten oder ausgesetzt werden kann… also so in 1000 Jahren vielleicht.

  5. #5 Beobachter
    16/04/2016

    Unter der Voraussetzung, es handelt sich hierbei (jetzt oder in Zukunft) um in Fachkreisen wissenschaftlich belegte/gesicherte Erkenntnisse und praktikable Möglichkeiten:

    Wenn tatsächlich bald eine spezifische, individualisierte Krebs-Diagnostik/Krebs-“Präzisions”-Therapie möglich wäre und/oder gar wirksame “persönliche Impfstoffe” gegen Krebs herstellbar wären –
    würde all das in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen werden bzw. würde die Gesetzliche Krankenversicherung für ihre Versicherten die Kosten im Bedarfsfall übernehmen?

  6. #6 zimtspinne
    16/04/2016

    Dort stellt sich auch die heikle Frage, welchen Preis sind wir bereit zu zahlen für ein bisschen Lebenszeitverlängerung?
    Krebsmedikamente sind extrem extrem teuer, und gerade die neueste Generation macht dort auch keine Ausnahme.
    Freundin von mir beantragt gerade solch ein Immunpräparat, das ihr eventuell, möglicherweise, vielleicht noch helfen könnte…. also ihre Lebenszeit, die gerade rapide abläuft (sie bekommt kaum noch Luft) noch ein klein wenig zu verlängern. Sie findet das Leben unendlich schön. Also da schäme ich mich manchmal mit meinen Wehwechchen.

    Ach so, und die individualisierte, personalisierte Krebsdiagnostik und -therapie ist doch heute fast schon standard. Zumindest bei den “gängigen” Krebsarten.
    So richtig hilft das aber auch nicht weiter.

    Wenn die Therapien im Tierexperiment erfolgreich sind, heißt das überhaupt noch nicht viel. Mausstudien laufen ein paar Tage…. ein Krebsmedikament, überhaupt eins, das sich “Durchbruch” auf die Fahnen schreibt, sollte sich aber daran messen, wie wirksam es längerfristig ist.
    1,4 Monate mehr Gesamtüberleben als “signifikant” zu bezeichnen, um eine Zulassung zu bekommen, find ich teilweise schon der blanke Hohn, Vor allem auch, wenn man weiß, wie dieses Überleben dann in der Praxis aussieht.
    Manchmal ist der medizinische Fortschritt kein Segen sondern mehr Fluch. Oder nicht unbedingt ein Segen. Ich werde mir sehr genau überlegen, wie ich meine Patientenverfügung gestalte.

  7. #7 Beobachter
    16/04/2016

    @ zimtspinne, # 6:

    ” … Ach so, und die individualisierte, personalisierte Krebsdiagnostik und -therapie ist doch heute fast schon standard. Zumindest bei den “gängigen” Krebsarten…. ”

    Bei welchen Patienten, bei welchen Krebsarten und unter welchen Voraussetzungen?

    Und es ist in der Tat “eine heikle Frage, welchen Preis wir bereit sind zu zahlen für ein bisschen Lebenszeitverlängerung” – wer bestimmt den Preis und wer zahlt?
    Ab welchem/r dazugewonnen Lebenszeitraum/Lebensqualität lohnt es sich, “zu investieren”?

  8. #8 zimtspinne
    16/04/2016

    werter Beobachter,

    das ist ja hier nicht die Sendung mit der Maus und ich bin auch nicht der Erklärbär…

    vieles kannst du dir selbst schon leicht beantworten.

    Den Preis bestimmen die Pharmaunternehmen, den Preis bezahlen wir (die Solidargemeinschaft), Frage drei ist kein Tabuthema; soll und muss sogar auf den Tisch, um unser an sich gutes Gesundheitssystem (auch eines der teuersten!!!) aufrecht zu erhalten und insgesamt eine faire und gerechte Verteilung zu erreichen.

    1. Bei ALLEN Patienten, das wird schon durch die Tumorformel TNM deutlich, die stets individuell ausfällt und gerne erweitert wird, Biomarker geben Auskunft über die individuellen Tumoreigenschaften, Prognosefaktoren, Wirksamkeit für Therapieverfahren…
    zB beim recht verbreiteten Darmkrebs RAS Mutationsstatus (dann wird die Tumorformel ergänzt durch RAS Wildtyp zB was Hinweise für Behandlungsoptionen gibt)
    2. bei Brustkrebs (der häufigste weibliche Krebs) wurde das staging schon fast perfektioniert: man erkennt an der Tumorformel bereits den Krankheitsverlauf (Proliferationsmarker Ki-67, G-grading gibt Auskunft über Wachstumsgeschwindigkeit/Aggressivität des Tumors, Hormonstatus etc)

    ein CUP Syndrom (Cancer of Unknown Primary) dagegen liegt im Dustern, dort gibts garnix, fast nix, auch bestimmt keine Impfung. Kann man nur ins Blaue mit irgendwas draufhauen.

  9. #9 Beobachter
    16/04/2016

    Werte Zimtspinne,

    danke für die Auskünfte …

  10. #10 zimtspinne
    16/04/2016

    bitte bitte 😉

    edit/
    HormonREZEPTORstatus, nicht Hormonstatus, meinte ich

  11. […] um eine form des extremismus. —– Mal was anderes Mit persönlichem Impfstoff gegen den Krebs? Kurz notiert: Mit persönlichem Impfstoff gegen den Krebs? – blooDNAcid Quantum Moves – jetzt könnt ihr auch Quantenmechanik Quantum Moves – jetzt könnt […]

  12. #12 Cornelius Courts
    18/04/2016

    Huch, hier ist ja was los!

    @Intensivpfleger: “Welche Beschränkungen des Einsatzes dieser Methode liegen denn vor, dass nicht bei allen möglichen Tumorerkrankungen so vorgegangen werden könnte?”

    Ich schätze mal die Erreichbarkeit der Tumoren für die Agenten des Immunsystems spielt da eine Rolle (sprich: immunprivilegierte Organe)

    @zimtspinne: “– wäre das Impfen denn ausgereifter und greifender als die derzeitigen Immuntherapien? Die haben ja leider das altbekannte Problem, spätestens nach 2 Jahren (eher kürzer) nicht mehr wirksam zu sein, ”

    Das ist es ja gerade: die derzeitigen Immuntherapien setzen auf Antikörper, die auf ein bestimmtes, hoffentlich krebsspezifisches Antigen reagieren. Klar, daß Tumore dagegen schnell resistent werden. Der neue Ansatz ermöglicht es, eine IMmunreaktion gegen mehr als 10 exakt bei diesem Patienten tumorspezifische Mutationen (-> Antigene) auszulösen. Das ist was ganz anderes.

    “Ich hab aber auch eine Lebenswette laufen, dass der Krebs unbesiegbar bleibt”

    Na, dann hoffe ich mal, daß Du da kein Geld drauf gewettet hast. Krebs ist besiegbar, nur heute noch nicht.

    @Joseph: ” Gibt es eine Diskussion dazu unter Fachleuten?”

    Ist mir nicht bekannt, aber man sollte vielleicht mal die ersten klinischen Studien abwarten. Das ist eben ein (allerdings viel versprechender) Ansatz unter vielen, der immerhin im Tiermodell schon echt schön aussieht und das ungemein intuitive (zumindest seit NGS) Konzept der patientenspezifischen Therapie umsetzt.

    @zimtspinne: “Das körpereigene Immunsystem hat doch eben bereits großflächig versagt, wenn erstmal überhaupt Krebs entstehen konnte”

    Das stimmt nicht. Wie ich in meiner Krebsserie auch schon erklärt habe, ist Krebs eben keine Erkrankung von außen, kein Erreger, gegen den man immun sein oder werden kann sondern geht aus entarteten eigenen Zellen hervor.
    Daß im Zuge der Entwicklung eines Tumors Antigene entstehen können, die vom Immunsystem als nicht körpereigen erkannt werden können und daß das Immunsystem für einen Tumor “lästig” werden kann, so daß Mechanismen zum Unterlaufen der Abwehr entstehen, stimmt zwar, heißt aber nicht, daß Tumore ideal durch das Immunsystem bekämpft werden könnten oder daß das Immunsystem versagt hat, wenn man Krebs bekommt. Es können sich sogar Immunzellen zu Krebszellen verwandeln, d.h. das Immunsystem selbst ist eine Krebsgefahr und es kommt (s. Allergie) auch immer wieder zu falsch positiven Reaktionen des Immunsystems. Das Immunsystem ist also nicht nur nicht perfekt, sondern ein ziemliches Risiko, es ermöglicht allerdings den meisten von uns, nicht an Infektionskrankheiten zu sterben, bevor wir fortpflanzungsfähig werden (#Selektionsvorteil). Im Prinzip ist das I. wie die Demokratie: nicht sonderlich gut, ein Kompromiß, aber das beste, was da ist.

    “Das erste was ich wirklich über Krebs gelernt hab, […]
    Tja, und ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb Krebs primär eine Alterserkrankung ist. Die körpereigene Krebsabwehr funtkioniert nicht mehr so zuverlässig (wie eben fast alles im Alter) und natürlich besteht daran auch gar kein übergeordnetes Interesse, die Lebensaufgabe ist ja bereits abgeschlossen.”

    Das kann man so auch nicht sagen. Es gibt einfach keinen Selektionsdruck gegen Krebs im Alter, da Krebs im Alter nicht die biologische Fitness reduziert. Der Grund, daß Krebs vornehmlich bei alten (aber nicht ganz alten!) Menschen auftritt, ist, daß einfach mehr Zeit für das Ansammeln von Mutationen und genetischen Schäden verstrichen ist.
    Analogie: wenn es 10 Löcher braucht, damit ein Schiff sinkt und zufällig Steine vom Himmel fallen, die Löcher schlagen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Schiff, das schon 60 JAhre rumfährt, sinkt, höher, als daß das ein 10 Jahre altes Schiff trifft. Wenn ein neues Schiff allerdings schon mit 8 Löchern vom Stapel läuft, kann es so ein Schiff auch schon in sehr jungen Jahren treffen.

    “Also ist diese ganze Immuntherapiegeschichte auch wieder nur Symptombekämpfung und an die Ursachen wird überhaupt nicht rangegangen.”

    Das stimmt auch nicht. Eine Symptombehandlung wäre, wenn man durch den Tumor Schmerzen hat, die Schmerzen zu behandeln. Natürlich ist die Immuntherapie eine Ursachenbekämpfung: sie tötet die entarteten Zellen ab. Erwischt man damit alle, ist der Krebs weg und der Patient geheilt. Was Du andeutest, ist die Verhinderung der Entstehung von Krebs und das ist das eigentlich Unmögliche, da Krebs eine direkte Folge des Soseins unserer Zellen ist: solange biologisches Leben auf in der DNA gespeicherter Information und deren Umsetzung beruht und solange DNA weiterhin spontan und durch äußere Faktoren wie UV-Licht mutiert, solange werden immer wieder Zellen entarten und zu dem werden, was wir “Krebszelle” nennen. Was man tun kann? Vorbeugen, indem man Mutagene (Rauchen, Sonnenbank etc.) meidet, Zellen in Transformation früh erkennt und entfernt (Muttermalscreening, Darmspiegelung etc.) und im Falle der Erkrankung frühest- und spezifischstmöglich behandelt. Und bei den letzten beiden Punkten machen wir gerade große Fortschritte (s. mein Artikel) und auch die Diagnostik wird immer sensitiver und genauer.

  13. #13 DZ
    21/04/2016

    @Intensivpfleger:
    “hat aber bislang das Labor noch nicht verlassen” ist so nicht ganz richtig – siehe z.B. NCT02035956 oder NCT0231645 auf clinicaltrials.gov

  14. #14 miesepeter3
    21/04/2016

    @ Cornelius Courts

    Irgendein Immunforscher soll einmal gesagt haben, dass das menschliche Immunsystem (wahrscheinlich auch das tierische) derart leistungsfähig ist, dass es mit fast allem fertig wird. Bedauerlicherweise kostet es ziemlich viel Energie, es bliebe da nicht mehr viel für andere Aufgaben des Körpers und somit läuft es eigentlich immer im Standby-Modus. Es schaltet sich (theoretisch) immer dann ein, wenn es gebraucht wird.
    Den dann hohen Energieverbauch merkt man daran, dass man bei und nach einer schweren Krankheit immer ziemlich schlapp ist. Kranheit zehrt, sagt der Volksmund. Bedauerlicherweise springt dieses tolle Immunsystem eben nicht immer an, wenn es gebraucht wird. Ich finde es immer wieder toll, wenn es unvoreingenommene Forscher gibt, die nach dem Auslöser suchen, auch wenn es mal ungewöhnliche Wege sind, die sie da benutzen. Schade finde ich, dass es immer noch viele Wissenschaftler gibt, die ungewöhnliche Forschungsansätze nicht nur ablehnen, sondern sogar bekämpfen.
    Fest steht, es gibt (wenige) Menschen, die Krebs ohne irgendeine Behandlung quasi von selbst überleben und der Krebs wieder verschwunden ist. Spontanheilung nennt man so etwas in Medizinerkreisen. War das vielleicht ein Immunsystem das nicht “vergessen” hat, wie man anspringt? Ich finde, dass es jede Anstrengung wert ist, diesen Auslöser zu finden. Und wenn es dann eine Impfung ist, sollte es eigentlich jedem Recht sein.

  15. #15 WolfgangM
    26/04/2016

    @Cornelius,

    so jetzt muss ich dich mal kritisieren. Scienceblogs sollen (müssen) Dinge korrekt bezeichnen. Und eine Tumortherapie ist nun mal keine Impfung.
    Das Europäische Arzneibuch (2009,153) liefert die Definition für das was ein Impfstoff ist:

    Impfstoffe für Menschen enthalten antigene Stoffe mit der Fähigkeit, eine spezifische, aktive Immunität beim Menschen gegen das infizierende Agens oder das von ihm gebildete Toxin oder Antigen zu induzieren. Immun Antworten beinhalten die Induktion der angeborenen und der adaptiven (zellulär, humoral) Teile des Immunsystems. Für das vorgesehene Impfschema muß eine ausreichende immunogene Aktivität nachgewiesen sein.

    Biologische Arzneimittel wie du das hier für eine Tumortherapie beschreibst sind also ganz klar keine Impfstoffe. Es wurde mal vorgeschlagen das als theraccine zu bezeichnen – hat sich leider nicht durchgesetzt. Natürlich gibt es auch das was im Volksmund als Krebsimpfstoff bezeichnet wird bislang Hepatitis B Impfstoffe und HPV- Impfstoffe. Aber diese entsprechen der Definition des europäischen Arzneibuches.

  16. #16 Cornelius Courts
    26/04/2016

    @WolfgangM: ” sind also ganz klar keine Impfstoffe.”

    DOCH. Die verabreichten mRNAs haben die “Fähigkeit, eine spezifische, aktive Immunität beim Menschen gegen das […] Antigen zu induzieren.” Daß die RNA nicht selbst das Antigen ist, sondern spezifisch dessen Herstellung induziert, ändert nichts am Prinzip. Die RNA hat überdies keinerlei arzneiliche Wirkung.

  17. #17 WolfgangM
    26/04/2016

    @Cornelius

    Nein sind immer noch keine Impfstoffe. gegen das infizierende Agens es handelt sich bei Impfstoffe um Biologika, die Infektionen verhindern. Das ist bei Krebstherapeutika nicht der Fall. Das eine ist Primärprophylaxe, das andere eine Therapie.

  18. #18 zimtspinne
    15/05/2017

    Fällt ein Tyrosinkinase-Hemmer wie Tarceva (Wirkstoff Erlotinib) eigentlich auch unter “Impfung” – nein, oder?

    Es gibt wirklich entgegen meiner Befürchtungen (gegen Krebs, den ultiimativen Überlebenskünstler ist kein Kraut gewachsen) ein paar richtig gute Verläufe bei NSLC (Adeno) mit EGFR Mutation Exon 19 und 21.
    Im 8. Jahr unter Tarceva unverminderte Wirksamkeit, Stillstand Primärtumor und sogar Metastasenschwund.
    Das Nebenwirkungsprofil sieht gegenüber Chemotherapie richtig harmlos aus: gelentlich Hautprobleme (Pickel, Hauttrockenheit, Sonnenempfindlichkeit), Durchfall, Geleankschmerzen. Netterweise nie alles zusammen, sondern immer nur eins oder zwei, abwechselnd.
    Sogar Vollzeitbeschäftigung und ansonsten ein weitestgehend normales Leben. Ansonsten ist ja Lungenkrebs im Endstadium mit einer sehr düsteren Prognose versehen.

    Ist es möglich, dass sich in diesem und jenem Fall unter TKI das Immunsystem wieder “berappelt” und Tumorzellen effizient wieder selbst zu bekämpfen lernt?
    Unter Chemo fast ein Unding, da diese ja an sich die Immunabwehr schwächt, den Allgemeinzustand des Patienten ebenfalls, insgesamt gute Chancen für Tumorzellen, Schlupflöcher für ihr Überleben zu finden und Resistenzen auszubauen.
    Die EGFR TKI waren in bei diesen positven Verläufen auch direkt Erstlinientherapie bei jüngeren Patienten.

  19. #19 zimtspinne
    15/05/2017

    uff, ein c vergessen NSCLC (blödes Teil)

  20. #20 noch'n Flo
    Schoggiland
    15/05/2017

    @ zimtspinne:

    Fällt ein Tyrosinkinase-Hemmer wie Tarceva (Wirkstoff Erlotinib) eigentlich auch unter “Impfung” – nein, oder?

    Eindeutig nein. Wie kommste denn auf die Idee?

  21. #21 zimtspinne
    15/05/2017

    hm ja, eigentlich nur durch den Gedanken, dass das Immunsystem aktiviert wird… das Medikament wirkt unterstützend, bis körpereigene Immunzellen wieder die Kontrolle über das Tumorwachstum erlangen. Also Tumormanagement sozusagen (ich weiß gerade nicht, wie ich das besser ausdrücken kann).

  22. #22 zimtspinne
    15/05/2017

    Man könnte das ja therapeutischen Impfstoff nennen.
    Habe mir aber gerade überlegt, dass eine Krebsimpfung dermaßen individualisiert sein müsste und man eine Vielzahl von Impfstoffen für jeden einzelnen bräuchte, um wirklich alle Krebsarten am Ausbruch zu hindern (oder irgendwie milder verlaufen zu lassen!? wie bei Infektionskrankheiten).
    Tumorzellen sind eben keine Viren und können auch nicht so einfach über einen Impfstoff in Schach gehalten werden.
    Im eigentlichen Sinne von “Impfen” müssten ja präventiv Tumorantigene injiziert werden. Ich hab da so Zweifel, ob das jemals bei Krebs überhaupt funktionieren kann.

  23. #23 noch'n Flo
    Schoggiland
    15/05/2017

    @ zimtspinne:

    Vergiss bitte nicht die Papilloma-Viren-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs. Das Prinzip ist zwar ein anderes, als bei der von Dir geschilderten Tumortherapie, aber es ist die von Dir angesprochene Impfung gegen Krebs. Ist also möglich.

  24. #24 zimtspinne
    15/05/2017

    ja, dort sind es eben aber auch Viren, die den Krebs verursachen…..

    Meine Freundin bekam das Immunpräparat nicht mehr, sie starb zuvor. Ich kann das gar nicht begreifen, wieso Brustkrebs bei einigen so schlimm verläuft und andere einfach gesund werden und bleiben (obwohl sie rauchen und saufen, das muss leider mal gesagt werden).