Als Vorbemerkung möchte ich voranschicken, daß ich verflucht bin. Nehme ich an. Die LeserInnen müssen wissen, daß ich mit etwas geschlagen bin, das ich den „Bahn-Fluch“ nenne, worunter ich ein signifikant und gefühlt absurd gehäuftes Betroffensein von den Folgen höherer Gewalt, geballter Inkompetenz und qua Mißwirtschaft und –management verschlissenen Materials in Gestalt meist nahezu obszöner Verspätungen aber auch gerne verlorener Reservierungen und selten sogar einmal ganzer Züge bei der Deutschen Bahn verstehe. Da ich, wie sich hier wahrscheinlich schon herumgesprochen hat, nicht zu Esoterik und magischem Denken neige, bin ich jederzeit bereit, diese inzwischen durch unzählige empirische Instanzen untermauerte Behauptung auf einen statistischen Prüfstand zu stellen.
So wunderte es mich nicht, bei der morgendlichen E-Mail-Kontrolle um ca. 5.20 Uhr eine „Verspätungsmeldung“ der DB von 2.34 Uhr nachts vorzufinden. Sicher, das muß nichts heißen, da dieser Service, den ich bloß aus alter Sentimentalität bei der Fahrkartenbestellung trotzdem immer dazubuche, ungefähr so nützlich ist, wie ein Dauerlutscher mit Stuhlgeschmack; schließlich kam die letzte Verspätungs-Mail der Bahn, die ich bekommen habe, am 10.05 vormittags. Im darin als verspätet deklarierten Zug hatte ich allerdings bereits am 03.05. meinen Anschluß (und gleich auch noch den danach nächsten möglichen Ausweichzug) verpaßt. Aber danke für die Erinnerung, DB! Man teilte mir nun jedenfalls mit, daß man meinen Zug „nicht finden“ könne (und daher wohl einfach mal pro forma annahm, daß er verspätet sei) und ich doch bitte selber mal danach suchen solle. Klar, so einen 500t schweren und über hundert Meter langen ICE kann man schon mal verlegen. In einer Mischung aus Panik und Amusement (diese Meldung war immerhin mal etwas Neues) rief ich hastig die Bahn-App auf und suchte nach dem verlorenen Zug.
Und ich fand ihn und gleichzeitig eine Idee für einen neuen Bahn-Service: den Verfrühungsalarm! Denn der App entnahm ich, daß mein Zug nicht nur nicht verspätet, sondern knapp 10 Minuten früher ab Kiel fahren würde als laut meiner Buchung. Mein Mobiltelephon sieht noch ganz mitgenommen aus, angesichts der berechtigten Schmähworte, die ich dem unschuldigen Ding, das ja lediglich als Überbringer der unliebsamen Bahnkapriolen herhalten mußte, entgegenschleuderte. Entsprechend hektisch, unfrisiert und ungefrühstückt war mein verfrühter Aufbruch, der es mir jedoch ermöglichte, rechtzeitig an Bord des weißen, wurmförmigen Fahrzeug jenes enigmatischen Konzerns zu gelangen, der vorgibt, ein Verkehrsunternehmen zu sein und doch vielmehr eine kontemporäre Schule der Lang- und Demut, des (gezwungenen) Still-und Innehaltens, des Irr-Zens ist.
Der Rest der Fahrt, samt Umstieg in Hannover, verlief erstaunlich und bahnuntypisch reibungsarm, so daß ich tatsächlich pünktlich in, nun ja, Bielefeld ankam, rasch mein Gepäck im Hotel loswurde und zum bemerkenswerten Tagungsort, dem
lief, wo die Tagung von der Firma „lab-con owl“ ausgerichtet wurde.
Nebenan hätte ich bei Bedarf auch ein klischeehaftes amerikanisches Kraftrad erwerben oder mich über selbige mit den davor herumlungernden Mittfünfzigern unterhalten können.
Das Konzept des Lenkwerks, so es eines gibt, habe ich nicht ganz durchschaut, es handelt sich dabei jedenfalls um eine weitläufige Haupthalle mit Galerien, von denen aus lange und sich verzweigende Gänge hier und dahin führen, u.a. zum Vortragsraum, wo die eigentliche Tagung stattfand.
Der Name leitet sich vermutlich davon ab, daß die ganze Halle und auch die Gänge mit lenkbaren Gefährten und Bildern von solchen vollgestellt und –gehängt waren. Die z.T. auch zum Kauf feilgebotenen Exponate befanden sich dabei in durchaus unterschiedlichen Erhaltungszuständen
Mal was anderes, dachte ich und nach der Sitzung der deutschsprachigen Arbeitsgruppe der ISFG, zu der ich gehöre, begann die Tagung mit dem Grußwort des Tagungspräsidenten, der tatsächlich begann mit den Worten: “Ich heiße sie willkommen in einer Stadt, die es eigentlich gar nicht geben soll “ 😉
Los ging es dann mit einem kontroversen Vortrag über Rolle und Ansehen der Genetik in der heutigen Welt und Gesellschaft, über Sinn und Unsinn der Gendertheorie, der zufolge das Gender überhaupt keine genetische Komponente habe und über das mangelnde Allgemeinwissen über Genetik, das dazu führt, daß viele Leute GVO und „Gene im Essen“ ablehnen.
Es folgten eine ganzen Reihe von Vorträgen zum Thema NGS, darunter auch einer über die „Evolution“ der Technik,
die inzwischen auch die Aufmerksamkeit der Abstammungsgutachter gewonnen hat und alsbald zur Bearbeitung besonders komplexer Fälle eingesetzt werden könnte, wenn es z.B. erforderlich ist, nicht nur die Länge sondern die exakte Sequenz bestimmter STR-Allele zu ermitteln. Genau diese Möglichkeit, also die Sequenz von STR-Allelen erfassen zu können, treibt derzeit eine Abordnung der ISFG um, die sich bemüht, Empfehlungen für eine zwar eindeutige aber noch in der täglichen Arbeit handhabbare Bezeichnung dieser Allele zu finden. Vom Zwischenstand dieser Bemühung handelte ein anderer Vortrag.
Nach der Mittagspause hörten wir die Schilderung einiger vertrackter Fälle aus der Routine. Wie verfährt man z.B., wenn auch die Mutter nicht zum Kind paßt? Man sollte, so die Lösung, grundsätzlich auch die Möglichkeit einer (in Deutschland verbotenen) Fremdeizellspende zur Erklärung in Erwägung ziehen. Aber nicht nur Menschen profitieren von den Möglichkeiten der Abstammungsbegutachtung, wie in einem weiteren Vortrag gezeigt, auch für die Untersuchung der Abstammung teurer Zuchthunde gibt es Methoden. Zum Schluß hörten wir noch etwas zur Berechnung von Abstammungswahrscheinlichkeiten, wenn es zwischen Elter und Kind eine oder mehrere Ausschlußkonstellationen gibt zu deren Erklärung man das Auftreten eines Mutationsereignisses (dessen Häufigkeit man natürlich kennen muß) heranziehen will. Und die Ergebnisse der Abstammungsringversuche der DGAB wurden vorgestellt und diskutiert, dann war Schluß.
Nach diesem ersten Tagungstag lief ich noch ein wenig durch Bielefeld, das gar nicht so schlimm ist, wie die oben schon angedeutete Jux-Verschwörungstheorie, die ihm die schiere Existenz abspricht, anzudeuten scheint. Man könnte es mit viel gutem Willen und Augenzwinkern fast schon für eine richtige kleine Stadt halten 😉 Viel los ist dort trotzdem nicht: so sah die Örtlichkeit für „public viewing“, oder wie es viel schöner auf Deutsch heißt: Rudelgucken, aus, anläßlich des Eröffnungsspiels der EM.
Am Morgen des nächsten Tags ging es weiter und nach einigen Firmenvorträgen zu neuen Produkten und Verfahren gab es noch einen Vortrag, der viel Diskussionbedarf weckte, denn es ging um Kontaminationen in forensischen DNA-Laboren, in denen eigentlich penibelst um nicht zu sagen paranoid auf Sauberkeit und Dekontamination geachtet wird. Eine mögliche Quelle von Kontamination ist demnach schon der Papierumschlag, der bspw. von der Polizei gebracht wird und die eigentlich zu suchenden Asservate enthält und der natürlich mit bloßen Händen gehandhabt wird. Diesen Umschlag muß man nicht einmal auf einem Asservatentisch ablegen, es reicht, ihn darüber zu halten, so daß unsichtbare Hautschuppen sich davon lösen und herunterfallen können. Aber auch auf dem Äußeren der Plastikhüllen, in denen die Abstrichwatteträger, die an Tatorten verwendet werden, um Spuren aufzunehmen, transportiert werden, kann sich die DNA externer Personen befinden und die Gefahr besteht, durch die Handhabung dieser Röhrchen diese DNA in den Analyseprozess einzutragen. Es ist also noch mehr Vorsicht, Umsicht und die Anpassung und stetige Verbesserung der schon bestehenden Maßnahmen geboten, um das Risiko einer Kontamination zu minimieren. Es folgten u.a. noch Vorträge über einen Fall mit einer unwahrscheinlichen Mutation und über die Verwendung der Direkt-PCR, also die PCR-Amplifikation von STR-Bereichen ohne vorherige Extraktion.
Insgesamt eine ganz interessante 12. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Abstammungsbegutachtung, die naturgemäß nicht das wissenschaftliche Niveau haben kann, wie etwa die ISFG-Tagungen, aber ihren Zweck erfüllt hat, wozu natürlich auch gehört, nette Kollegen zu treffen und sich endgültig von der Existenz Bielefelds zu überzeugen 😉
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P.S. und übrigens: nachdem ich immer wieder und auf verschiedenen Kanälen darauf angesprochen/dazu aufgefordert wurde: blooD’N’Acid ist ab jetzt auch Flattr-bar 🙂
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