Isis-Facebook-page

Facebook-Seite des IS aus dem Irak und Al-Sham

Die terroristische Vereinigung, die sich Islamischer Staat (IS) nennt, ist mit der Zeit gegangen und benutzt modernste Methoden, um sich Unterstützung und neue Rekruten zuzuführen: auf allen großen sozialen Medien und Plattformen, Facebook, Youtube, Twitter & Co. (und seit diese zunehmend stärker gegen IS-Content vorgehen, auch auf der russischen Plattform „Vkontakte“ mit ~360 Mio. Usern weltweit) ist der IS mit seinen Anwerbe- und teils überaus blutigen und grausamen Propaganda-Videos vertreten und überall dort gibt es auch Gruppen und Netzwerke von Unterstützern.

 

Ein Team von Forschern hat nun untersucht, wie diese Netzwerke wachsen und sich entwickeln und eine überraschender Befund war die Rolle, die Frauen offenbar dabei spielen [1]. Die Erkenntnisse des Teams darüber, wie pro-IS-Gruppen in den sozialen Medien expandieren, könnte man nutzen, um besser gegen sie vorzugehen und die Verbreitung von Ideen und Informationen zu verhindern.

Eine ganz neue Einsicht bestand dabei darin, daß sich IS-Unterstützung offenbar nicht wie eine Krankheit von Person zu Person, sozusagen durch „Online-Ansteckung“ verbreitet, wie bisher angenommen, sondern daß dies durch Gruppen von Personen, „Aggregate“, die durch soziale Medien verbunden sind, geschieht.

Die Forscher untersuchten aber auch die Dynamik innerhalb und die Vernetzung zwischen insgesamt 196 Unterstützergruppen mit zusammen mehr als 100.000 Mitgliedern und analysierten diese unter Zuhilfenahme mathematischer Verfahren der Graphentheorie. Mit Erstaunen angesichts der brutalen und menschenverachtenden Behandlung von Frauen durch den IS stellten sie fest, daß nicht nur 40% der Mitglieder angegeben hatten, weiblich zu sein, sondern auch, daß die weiblichen Mitglieder doppelt so stark zur Vernetzung zwischen den Gruppen beitrugen, wie die männlichen Mitglieder. Dazu erstellten sie einen Netzwerk-Graphen, der auf den Daten aus 2 Monaten Beobachtungszeit basierte und jeweils zwei Personen als „verbunden“ erfaßte, die Mitglied in derselben Gruppe waren. Dabei entstand ein Netzwerk mit ca. 1 Mio. Verbindungen.

centrality

Entwicklung des BC-Werts (Ordinate) bei Männern (blau) und Frauen (rot) von Feb 2015 bis Mrz 2015 aus [1]

Ein Schlüsselwert für die Wichtigkeit von Personen in einem solchen Netzwerk ist die sog. „betweenness centrality“ (BC) und Personen mit hoher BC fungieren als zentrale Schaltstellen der Kommunikation zwischen entlegenen und voneinander entfernten Teilen des Netzwerks. Und in diesem IS-Netzwerk hatten weibliche Mitglieder im Durchschnitt einen doppelt so hohen BC-Wert, wie männliche Mitglieder, während, zum Vergleich, in typischen Situationen, etwa innerhalb von Konzernstrukturen, Frauen im Schnitt sogar niedrigere BC-Werte haben als Männer.

Das bedeutet, daß den Geist und das Herz von Frauen zu gewinnen und generell das Geschlecht als Anhaltspunkt für die Bedeutung von Personen innerhalb solcher Netzwerke zu verwenden, eine mögliche Gegenmaßnahme bei der virtuellen Terrorismusbekämpfung darstellen könnte.

 

Im Rahmen einer weiteren Studie der gleichen Gruppe wurde das Wachstum mehrerer pro-IS-Gruppen über 6 Monate hinweg erfaßt und mathematisch modelliert [2]. Dabei wurde sichtbar, daß sich kleinere Gruppen mit nur jeweils zweistelligen Mitgliederzahlen auf eine vorsagbare Weise zusammenschließen, eine sog. „Koaleszenz“ durchlaufen. Wenn man also Anzahl und Größe solcher Gruppen genau überwacht, kann daraus eine Vorwarnung für eine globale Bewegung abgeleitet werden. Es läßt sich sogar mathematisch zeigen, daß man die  größeren Gruppen zerstören kann, indem man alle kleineren Gruppen, die ca. 10% der Größe der großen Gruppen haben, eliminiert. Das ist aber wahrscheinlich eher ein hypothetisches Szenario, da es schwer umzusetzen ist und die Gefahr birgt, Zensur auszuüben, wenn man etwa die Netzwerkbetreiber zwingt, die entsprechenden Gruppen zu schließen, bzw. es extrem aufwendig wäre, die Gruppen zu infiltrieren und etwa durch Verbreitung von Falschinformation und die Erzeugung von Mißtrauen innerhalb der Gruppe diese zur Implosion zu bringen.

Dennoch kann das neue mathematische Modell entsprechenden Behörden gestatten, abzuschätzen, wieviel Aufwand man in die Zerstörung bestimmter Netzwerke investieren müßte. Vor allem aber könnten neuen Computeralgorithmen, die auf dem Modell beruhen, automatisch die online-Netzwerke der Terroristen überwachen, um Anzeichen für neue Rekrutierungsbewegungen und Angriffspläne zu detektieren.

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Referenzen:

 [1] Manrique, P., Cao, Z., Gabriel, A., Horgan, J., Gill, P., Qi, H., … & Johnson, N. (2016). Women’s connectivity in extreme networks. Science Advances, 2(6), e1501742.

[2] Johnson, N. F., Zheng, M., Vorobyeva, Y., Gabriel, A., Qi, H., Velasquez, N., … & Wuchty, S. (2016). New online ecology of adversarial aggregates: Isis and beyond. arXiv preprint arXiv:1603.09426.

 

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Kommentare (8)

  1. #1 fherb
    04/07/2016

    Die AGB von Facabook und Co lassen solche Untersuchungen zu. Für die Wissenschaft selbst ist das großartig. Mit den veröffentlichten Ergebnissen lässt sich so für uns zumindest abschätzen, was die freundlichen Dienste und auch Geschäftemacher über uns herausfinden und wie sie uns beeinflussen können. Man muss sich ja selbst nicht an diesem Massenexperiment beteiligen. Durch die Gesellschaft, die in der Masse an diesen Experimenten teil nimmt, wird man letzlich trotzdem mit betroffen sein. – Wenn’s schief geht. – Was schief geht? – Demokratie könnte z.B. schief gehen!

  2. #2 Alisier
    05/07/2016

    Den Geist und das Herz von Frauen gewinnen???
    Viel zu anstrengend: Frauen einfach abschaffen ist zielführender.
    Tut mir leid, dass mir angesichts dieses Posts nichts Konstruktiveres einfällt.

  3. #3 Havok
    05/07/2016

    Kein Ding, Alisier, das sind wir ja von dir gewohnt. Aber wo genau drückt denn jetzt der Schuh?

    @Cornelius: Danke für den Artikel.

  4. #4 Dr. Webbaer
    05/07/2016

    Nur kurz hierzu:

    Das bedeutet, daß den Geist und das Herz von Frauen zu gewinnen und generell das Geschlecht als Anhaltspunkt für die Bedeutung von Personen innerhalb solcher Netzwerke zu verwenden, eine mögliche Gegenmaßnahme bei der virtuellen Terrorismusbekämpfung darstellen könnte.

    Dennoch kann das neue mathematische Modell entsprechenden Behörden gestatten, abzuschätzen, wieviel Aufwand man in die Zerstörung bestimmter Netzwerke investieren müßte. Vor allem aber könnten neuen Computeralgorithmen, die auf dem Modell beruhen, automatisch die online-Netzwerke der Terroristen überwachen, um Anzeichen für neue Rekrutierungsbewegungen und Angriffspläne zu detektieren.

    Alternativ wäre denkbar und somit möglich – vgl. mit ‘den Geist und das Herz von Frauen zu gewinnen’ – diese besondere Herausforderung medial-politisch offen anzugehen und Geseire der Art „Hat nichts mit dem Islam zu tun!“ sein zu lassen.
    Sich auf derartige sittliche Niedrigkeit einzulassen und hier umformen zu wollen, ist selbst sittlich niedrig.

    Zum Zweitzitierten:
    Hier wäre es denkbar und somit möglich die steifen Kollegen, die nicht immer nur Bart tragen müssen, sondern auch Hijab,Tschador, Niqab, Bushiya und Burka, einfach quatschen zu lassen und sie dementsprechend, wenn möglich, beizeiten zu belangen.

    Denn Diesbezügliches findet im Web, es gibt hier auch zuverlässige Kryptographie, unvermeidbar statt.
    Das Web ist per se unkontrollierbar, Security through obscurity funzt net. [1]
    Bedroht sogar andere, die kritisch sind gegenüber demjenigen Unterfangen, das ganz absehbar dieses Jahrhundert prägen wird.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1]
    Anders sieht es bei Geräten aus, diese können vorab mit Einflussmöglichkeiten, Back-Doors und so, >:-> , versehen werden.

  5. #5 noch'n Flo
    Schoggiland
    05/07/2016

    @ Alisier:

    Sorry, aber ich fände es zielführender, wenn wir hier und jetzt über die Abschaffung des IS abstimmen würden. Quasi einen “ISexit” (und warum zum Teufi steckt da nun das Wort “Sex” mittendrin?).

  6. #6 fherb
    05/07/2016

    bzgl. Alisier: Kein Floh, sondern much trollinger.

    Danke für den Artikel, Cornelius Courts.

  7. […] Blood’n’Acid schreibt über eine Untersuchung, die sich mit IS-Netzwerken und -Gruppen beschäftigt hat. Ergebnis war, dass es überraschend viele Frauen unter den Terroristenfreunden gibt, und dass diese den größten Einfluss haben. […]

  8. #8 Laie
    19/07/2016

    Ich bin mir nicht sicher, ob das denn ginge. Wenn die Herzen dieser Frauen von klein auf getreten und gedemütigt wurde, und jegliche Abweichung als Abfall vom Islam gesehen würde, dann wäre jede Einwirkung von außen, dass die Frau mehr als nur Müll wäre (salopp gesprochen), als Aufruf zum Glaubensabfall zu sehen, was wiederum bestraft wird.

    Das Problem, so wie ich es verstehe, ist der Islam in der wörtlichen Auslegung, der keinen Interpretationsspielraum habe. Sollte jemand andere oder positive Informationen diesbezüglich haben, dann bitte hier mitteilen.