Mein Sommerurlaub ist vorbei und ich habe die Zeit, mangels Gelegenheit, zu verreisen, genutzt, um mich nach durchlittenem Umzugselend in eine neue Kieler Residenz noch ein wenig vertrauter mit dieser Stadt zu machen, um endlich ein richtiges Gefühl für sie zu bekommen und noch ein paar ihrer (gut versteckten) Schönheiten zu entdecken.
Da ist zuerst natürlich das Meer, die Ostsee. Leider ist die in der Kieler Innenstadt so zugebaut, zernutzt und industrialisiert (Werften, Kreuzfahrtterminals etc.), daß sie praktisch keinen Erholungs- und Freizeitwert hat. Dafür muß man schon ein ganzes Stück die Förde (egal ob östlich oder westlich) ’rauffahren, z.B. zum Falckensteiner Strand, nach Laboe oder Strande. Da aber ist es dann auch wirklich schön und mit einem frischen Fischbrötchen im Strandkorb, die Füße im warmen Sand, überaus „urlaubsmäßig“.
Neben dem Meer ist dann sicher auch der Himmel des Nordens zu nennen. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich schon mitten auf dem Weg angehalten habe und von Paquito gestiegen bin, um wie ein Trottel einfach nur hoch in die Luft zu starren, weil mich das dramatische Schauspiel dieser weiten Himmeln über Kiel so fasziniert und hingerissen hat.
Es sind nicht nur wilde Wolkenschlachten, die die phantastischsten Gebilde hervorbringen, es sind auch die teils überschwenglichen, rauschhaften Farben, die mich begeisterten:
Aber auch das Naturschutzgebiet rund um den Schulensee, auf dem man – nur mit Muskelkraft – sogar herumcruisen darf, hat seinen Reiz:
Zwischendurch wohnte ich einer illustren Veranstaltung auf dem Nordmarksportfeld bei: der Bumerang-Weltmeisterschaft. Ich habe da überdurchschnittlich viel über Bumerangs gelernt, mich gefreut, daß sogar die Australier von der B.A.A. angereist waren
und habe fast so ein Ding an die Birne bekommen (ich war, als guter Investigativjournalist, einfach zu nah dran ;)). Bis heute weiß ich zwar nicht, wer gewonnen hat, aber – Achtung! – die WM kommt sicher noch mal wieder 😉
Außerdem habe ich an einem Tag, an dem es nur grau und üsselig aber wenigstens einige Stunden nicht verregnet war, einen kleinen Ausflug nach Plön gemacht,
einer Nachbarstadt Kiels in der holsteinischen Schweiz, wo ich unbedingt mal wandern gehen möchte. Wandern, aber eben nicht schwimmen. Also war das diesen Sommer nichts, denn obwohl ich wahrhaftig kein Fan allzu heißer und drückender Sommer bin, wie sie im Rheinland gerne aufgeführt werden, so mit schwärender Schwüle und unschlafbar hohen Nachttemperaturen, konnte ich der völlig in Regen abgesoffenen Kieler-Variante dieser Jahreszeit auch nicht viel abgewinnen (Soundtrack meines Sommers). Besonders das tagelang anhaltende, absurd-erratische, plötzliche Einsetzen kurzer aber intensiver Regengüsse, abgewechselt von tückisch lockenden Sonnenepisoden, wodurch jegliche Planung von Aktivitäten erheblich verkompliziert wurde, fand ich echt nervig und Außentemperaturen von 12°C Mitte August zwar angenehm nicht-heiß aber als Understatement auch irgendwie etwas überzogen (ja, wir sind im Norden, wir ham’s geschnallt!).
Wenn es aber einmal mild und trocken und eben sommerlich ist, dann atmet die Stadt auf, dann kommen sie alle ’raus und freuen sich, dann tanzen hier tatsächlich die Menschen auf der Straße:
Ach ja, ich habe im Juni auch meine erste Kieler Woche, oder wie wir Kieler sagen, “KiWo”, miterlebt. Alle Kieler, die ich dazu gefragt hatte, waren sich einig, daß man 1. das mal erlebt haben müsse und 2. es in dieser Woche immer regnet. Wettermäßig lief es aber erst ganz gut, fast schon verdächtig gut. Es war warm und die Sonne schien. Ich vermute, daß Kiel seinen ganzen Regen auch Wochen vorher schon für ab Freitagabend (24.6.) aufgespart hatte, um meinem Team und mir, die wir nach einem anstrengenden Beschußtag eine Runde über die Kiellinie drehen wollten, eine ordentliche Dusche verpassen und die Windjammerparade am Tag darauf komplett ertränken zu können. Es stimmt also offenbar: eine Kieler Woche ohne Regen ist nicht vorgesehen. Dennoch: ich habe mir bis heute dreimal, einmal davon auf der Kieler Woche, einen Sonnenbrand in Kiel (!) zugezogen, was ich zuvor für ein von jedem Deutschlehrer anzuerkennendes Beispiel für ein Oxymoron gehalten hatte (man nimmt ja auch keine Kühlakkus mit in die Arktis). Inzwischen habe ich mir sogar Sonnencreme besorgt, die liegt hier tatsächlich ganz normal im Laden neben dem Ölzeug, Gummistiefeln, Regenponchos, Sandsäcken, Wasserpumpen, Schlauchbooten etc., so, als rechne jemand damit, daß sie jemand benötigen und kaufen würde. Bizarr, oder? Ich gebe also zu: das Wetter war (und ist im Moment) marginal besser bzw. weniger schlecht als im November, als ich hier anfing.
Doch ich schweife ab: jedenfalls war ich durchaus positiv überrascht von der Kieler Woche, die eben nicht, wie man mir gegenüber schon unkte, wie “Karneval am Meer” ist. Zum Glück! Die hie und da anzutreffende Musik, die ja nicht selten live auf Bühnen gespielt wird, war zwar auch nicht nach meinem Geschmack, hatte aber den unbestreitbaren Vorteil, keine Karnevalsmusik zu sein und ich habe nicht ansatzweise so viele Besoffskis und deren übliche emetischen und urologischen Hinterlassenschaften gesehen, wie im rheinischen Karneval, den ich deshalb lieber Harneval nenne. Auch die Menschenansammlungen waren zu keinem Zeitpunkt zu jener drangvollen Enge konglomeriert, wie sie an den Harneval-„Hotspots“ in Köln regelmäßig zu ertragen ist.
Tatsächlich habe ich einfach nur eine ganze maritime Stadt voller Attraktionen, Bühnen, Fressbuden, feiernder Menschen und vieler, vieler eindrucksvoller Schiffe gesehen und das fand ich sogar ganz fein. Nervig war nur, daß dauernd die Hörnbrücke, die ich zu dieser Zeit noch täglich zweimal zu queren hatte, hochgeklappt war und daß einige Besucher das Konzept “Radweg” nicht in letzter Konsequenz durchschaut hatten – aber wofür gibt es Klingeln und – zur Not – barsche Worte? Schade war auch, daß, wie erwähnt, die Windjammerparade in einem unflätigen Regenguß abgesoffen ist, so daß ich davon, wegen trockenen, gehaltvollen Daheimbleibens, gar nichts mitbekommen habe und beim Abschlußfeuerwerk ist, wie ich finde, auch noch ein bißchen Luft nach oben. Insesamt lautet mein Fazit: KiWo kann manmachen und beim nächsten Mal bin ich wieder dabei.
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Was ich schade und ausbaufähig finde: menschlich kenne ich von Kiel noch fast nichts, da meine soziale Anbindung hier sehr zu wünschen übrig läßt. Keine Ahnung, woran das liegt, an Anläufen habe ich es eigentlich nicht mangeln lassen und bin nach wie vor bereit, provisorisch davon auszugehen, daß es sich lohnen könnte. Es heißt ja, die Menschen hier im Norden seien zwar kühl, reserviert, zurückhaltend und wortkarg aber auch ehrlich, weniger oberflächlich und – wenn man den Zugang findet – Freunde für’s Leben. Ist das so? Kommt jemand von den LeserInnen aus dem Norden und hat ein paar Tips für mich?
Auf der Arbeit läuft nach wie vor alles soweit ganz gut und seit dem 04.07. gehöre ich offiziell zur Medizinischen Fakultät der CAU, an die ich mich erfolgreich umhabilitiert habe. Jetzt muß ich noch einen Antrag auf Erteilung der Lehrbefugnis beim Präsidenten stellen und (mal wieder) eine Antrittsvorlesung halten (am 1.11.; wenn wer Zeit hat….) und dann kann/muß ich nächstes Semester mit meiner ersten eigenen Vorlesung “Forensische Molekularbiologie” beginnen. Ich bin schon sehr gespannt, wie es wird (und ob überhaupt jemand kommt :-o).
In der Zusammenschau kann ich nun also sagen: ich bin angekommen in Kiel. Deshalb ist dieser auch der letzte Bericht (eines Neuzugereisten) aus Kiel aber vielleicht gibt es ja in der Zukunft mal einen “Bericht eines Kielers”.
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P.S.: Ich habe gehört, es wird, warum auch immer, jedes Jahr von wem auch immer eines dieser Lieder, die die Leute so gerne hören, anhand welcher Kriterien auch immer zum „Sommerhit“ erkoren. Finde ich super. Der offizielle blooDNAcid-Sommerhit 2016 ist diese schmissige, leicht ins Ohr gehende Nummer hier, die meinen Sommer gut zusammenfaßt 😉
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