In der rechtsmedizinischen Todesursachenfeststellung gibt es viele schwierige Probleme, denn viele Todesursachen sind auch nach Obduktion nicht eindeutig festzustellen und oft nur durch zusätzliche Informationen erkennbar, wie sie etwa die gründliche Ermittlung am Versterbeort oder aber ergänzende Untersuchungen der forensischen Toxikologie, Genetik, Botanik o.a. liefern können. Ich habe hier ja schon öfters über die Schwierigkeit berichtet, die etwa die Abgrenzung der Todesursachen Unfall, Suizid und Homizid bereiten kann. Ein anderes Beispiel wäre die Diagnose der letalen Hypothermie, also des Erfrierens.
In diesem Beitrag geht es um die überaus schwierige post-mortale Festtstellung des Ertrinkens. (Hinweis: die Kenntnis des Konzepts der PCR ist zum Verständnis des Beitrags erforderlich. Hier geht es zum Basics-Artikel zum Nochmalschnellnachlesen). Bei aus dem Wasser geborgenen Toten stellt sich stets die Frage, ob sie schon tot ins Wasser geraten sind oder ob sie im Wasser starben und falls ja, wie, durch Ertrinken oder auf andere Weise. Die Todesursache Ertrinken sollte nur nach vollständiger Obduktion einschl. feingeweblicher und toxikologischer Untersuchung und nach Möglichkeit der Würdigung der Umstände am Versterbe- bzw. Fundort festgestellt werden.
Makroskopische Obduktionsbefunde und selbst feingewebliche Untersuchungsergebnisse von aus dem Wasser geborgenen Leichen sind jedoch schwer zu interpretieren und kaum spezifisch für Ertrinken. Hinzukommt, daß die Diagnose mit größerem Post-Mortem-Intervall (PMI) immer schwieriger bis hin zu unmöglich wird. Seit mehr als 100 Jahren wird deshalb zur Unterstützung der rechtsmedizinischen Erkennung des Tods durch Ertrinken der sogenannte Diatomeen-Test angewandt.
Dieser Test beruht darauf, daß mit dem Wasser, das ein Ertrinkender einatmet, auch einzellige Kieselalgen, auch als Diatomeen bezeichnet (s. Bild), die darin leben, aufgenommen und durch den Kreislauf in seinem Körper und den Organen verteilt werden. In Präparaten der Organe können die Diatomeen dann anhand ihrer typischen silikathaltigen Hülle, den man unter dem Mikroskop erkennen kann. Der Diatomeen-Test hat sich lange bewährt und ist daher recht weit verbreitet, doch er hat auch einige Nachteile und Schwächen. Er ist aufwendig, erfordert den Einsatz unangenehmer Chemikalien, ist nicht sehr spezifisch und fällt (falsch) negativ aus, wenn das eingeatmete Wasser keine Diatomeen enthielt.Um dem abzuhelfen, wurden mehrere molekularbiologische Verfahren entwickelt, die auf dem PCR-Nachweis von Diatomeen aber auch anderen Organismen wie Cyanobakterien und Grünalgen beruhen [2-6]. Für diese PCRs werden Primer eingesetzt, die in für diese Organismen spezifischen Abschnitten der 16S- und 18S-rRNA-Genen oder in Genen für spezifische Proteine, wie der großen Untereinheit der Ribulose-1,5-bisphosphat-carboxylase/oxygenase binden. Diese Primer erzeugen also keine Produkte mit menschlicher oder tierischer DNA.
Die Gruppe um Evelin Racz hat in einem Bericht im International Journal of Legal Medicine nun vier Fälle vorgestellt, in denen solche molekularen Diatomeen-Tests maßgeblich zur Erkennung des Ertrinkens beigetragen haben [1]:
Fall 1: Ein 54-jähriger wurde tot im Grundwasser seines Weinkellers liegend gefunden, es bestand der Verdacht auf akzidentelles Ertrinken. Bei der Obduktion wurden einige äußere Verletzungen festgestellt sowie Hinweise gefunden, daß diese vor dem Tod entstanden waren. Die sonstigen Befunde waren unspezfisch und vereinbar mit Tod durch Ertrinken. Dem Leichnam wurden Blut und Urin entnommen und deren toxikologische Untersuchung erbrachte hohe Ethanolkonzentrationen aber keine Anzeichen auf andere Drogen (s. Tabelle 1). Weder im Grundwasser des Kellers noch in Organschnitten des Toten fanden sich bei mikroskopischer Untersuchung Diatomeen. Die PCR-Analyse des Grundwassers und des Milzgewebes jedoch ergab stark positive Signale für Cyanobakterien und Grünalgen (s. Tabelle 2).
Fall 2: In einem Löschwasserbecken fand man einen leblosen 26 Monate alten Jungen, der mutmaßlich darin ertrunken war. Trotz der Obduktionsbefunde, die auf Tod durch Ertrinken hindeuteten, fanden sich mikroskopisch keine Diatomeen im Wasser und den Organen des Kindes (Tabelle 1). Die Tests auf Alkohol und Drogen waren negativ. Die molekularbiologische Analyse mittels PCR erbrachte jedoch den Nachweis von Diatomeen und Cyanobakterien in Wasser und Milzgewebe (Tabelle 2).
Fall 3: Ein 53-jähriger wurde tot aus einem Spaßbad geborgen. Die Obduktion ergab reichlich Hinweise für eine möglicherweise tödliche Arrhythmie, die zu einer vorübergehenden Bewußtlosigkeit geführt und den Tod durch Ertrinken verursacht haben könnte. Der Untersuchung auf Drogen ergab keine Befunde, allerdings wurde eine Ethanolblutkonzentration von 0,21 g/l festgestellt. Anzeichen für Diatomeen fanden sich bei mikroskopischer Untersuchung der Organe zwar nicht (Tabelle 1), jedoch nach PCR-Analyse zusammen mit Cyanobakterien sowohl im Wasser des Spaßbades als auch im Milzgewebe des Toten.
Fall 4: An einem Dezembertag fand man einen 35 Jahre alten Toten in einem mit Regenwasser gefüllten Graben. Autoptisch ergaben sich mit Ertrinken vereinbare aber nicht spezifische Befunde, sowie toxikologisch massiv hohe Ethanolkonzentrationen in Blut und Urin (Tabelle 1). Abermals fand man keine Diatomeen im Milzgewebe unter dem Mikroskop wohl aber durch molekularbiologische Analyse (Tabelle 2). Wasser aus dem Graben war nicht gesichert worden und konnte nicht untersucht werden.
Wegen der hohen Sensitivität der PCR ist der molekularbiologische Diatomeen-Test sehr gefährdet durch Kontamination, z.B. durch Organismen, die sich auf der Haut, also außen an einem Toten befinden können oder durch das im Obduktionssaal verwendete Leitungswasser. Um dieser Gefahr zu begegnen, wurden bei allen hier beschriebenen Obduktionen diverse Maßnahmen zur Vermeidung von Kontaminationen ergriffen. Außerdem wurde in jedem Fall eine Probe des im Obduktionssaal verwendeten Leitungswassers sowie Proben von Leichen, die sicher nicht ertrunken waren, als Negativkontrollen mitgeführt. Die Gruppe untersuchte als Gegenprobe außerdem vier Leichen, die zwar im Wasser aufgefunden jedoch sicher nicht ertrunken waren. In allen Fällen waren die PCR-Tests auf Diatomeen etc. negativ.
Die Obduktionsbefunde in allen vier Fällen waren recht ähnlich (trockene, voluminöse, distendierte Lungen mit Stauungsblutungen, flüssiges Blut, gestaute Organe, anämische Milz), und deuteten zusammen mit den feingeweblichen Untersuchungen (Emphysemum aquosum) auf Ertrinken hin, während sich für andere, natürliche Todesursachen jeweils keine Anzeichen ergaben.
Abgesichert wurden die Befunde jedoch in allen Fällen erst durch die molekularbiologischen Analysen, die auch in Fällen, in denen auch im Wasser keine Diatomeen nachweisbar waren, andere wasserlebende Organismen detektieren konnten, während der klassische Diatomeen-Test in allen Fällen negativ verlief und keinen Hinweis auf Ertrinken erbrachte, was, zumindest bei Fall 1, dadurch begründbar war, daß das Wasser keine Diatomeen enthielt.
Es erscheint daher sehr empfehlenswert, die post-mortale Diagnostik des Ertrinkens routinemäßig durch einen PCR-Nachweis verschiedener wasserlebender Organismen zu ergänzen.
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Referenzen:
[1] Rácz, E., Könczöl, F., Tóth, D., Patonai, Z., Porpáczy, Z., Kozma, Z., … & Sipos, K. (2016). PCR-based identification of drowning: four case reports. International journal of legal medicine, 1-5.
[2] Abe S, Suto M, Nakamura H, Gunji H, Hiraiwa K, Suzuki T, Itoh T, Kochi H, Hoshiai G (2003) A novel PCR method for identifying plankton in cases of death by drowning. Med Sci Law 43(1):23–30.
[3] Suto M, Abe S, Nakamura H, Suzuki T, Itoh T, Kochi H, Hoshiai G, Hiraiwa K (2003) Phytoplankton gene detection in drowned rabbits. Leg Med (Tokyo) Suppl 1:S142–4.
[4] Uchiyama T, Kakizaki E, Kozawa S, Nishida S, Imamura N, Yukawa N (2012) A new molecular approach to help conclude drowning as a cause of death: simultaneous detection of eight bacterioplankton species using real-time PCR assays with TaqMan probes. Forensic Sci Int 222(1–3):11–26.
[5] Kakizaki E, Ogura Y, Kozawa S, Nishida S, Uchiyama T, Hayashi T, Yukawa N (2012) Detection of diverse aquatic microbes in blood and organs of drowning victims: first metagenomic approach using high-throughput 454-pyrosequencing. Forensic Sci Int 220(1–3): 135–46.
[6] Kane M, Fukunaga T, Maeda H, Nishi K (1996) The detection of picoplankton 16S rDNA in cases of drowning. Int J Legal Med 108(6):323–6.
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