In den USA, diesem merkwürdigen, merkwürdigen Land, rennen unverbesserliche religiöse Ideologen und Wissenschaftsfeinde seit 90 Jahren mit unterschiedlichsten Strategien und Schlichen und wechselndem Erfolg gegen die Vermittlung der Evolutionstheorie (ET) im Schulunterricht an. Ich habe hier ja schon von den Konsequenzen dieser Idiotie berichtet und mich auch über die Grundlagen dieser gesellschaftlichen (nicht wissenschaftlichen!) Kontroverse ausgelassen.
Der lange Kampf gegen die ET in den USA läßt sich dabei in drei Hauptphasen gliedern: in der ersten Phase gab es, beginnend in den 20er Jahren tatsächlich Verbote, die ET in der Schule zu unterrichten (woran auch der Scopes-Prozess von 1925 nichts änderte, außer die Lächerlichkeit der Verbote noch gleißender strahlen zu lassen). Die erste Phase ging1968 in die zweite Phase über, als Verbote der ET, die selbstverständlich religiös motiviert waren, als verfassungswidrig erkannt und verworfen wurden. In der zweiten Phase beruhte die Strategie der Kreationisten auf der Forderung nach „Gleichbehandlung“, es sollten also ET und erst Kreationismus, dann „Schöpfungswissenschaft“ (‚creation science’) und zuletzt „Intelligent Design“ (ID) als gleichwertige wissenschaftliche Theorien nebeneinander unterrichtet werden.
Alle diese Konzepte wurden von Gerichten als religiösen Ursprungs erkannt und es wurde untersagt, diese im Biologieunterricht als gleichwertige Alternativen zur Evolutionstheorie darzustellen, da es in den USA beneidenswerterweise eine verfassungsmäßige Trennung von Staat und Religion gibt. Besonders prominent ist in diesem Zusammenhang das Urteil des sogenannten “Kitzmiller vs. Dover Area School District”- Prozesses im Jahr 2005, nach dem es ein Gericht im US-Bundesstaat Pennsylvania als erwiesen ansah, daß ID keine Wissenschaft sondern eine Form des Kreationismus ist, der wiederum, als rein religiöse Auffassung, nicht in der Schule stattfinden darf.
Auch nach dieser Niederlage gaben die Kreationisten nicht auf und es folgte die dritte Phase ihres Kampfes gegen die ET: der heimliche Kreationismus. Diese Strategie beruht darauf, in entsprechenden neuen Gesetzesentwürfen das Wort „Schöpfung“ zu meiden und überhaupt keinerlei verfängliche und irgendwie auf religiöse Motive zurückzuführende Begriffe mehr zu verwenden und statt dessen eine „Antievolutionsstrategie“ zu verfolgen.
Nach 2005 begann man so im Discovery Institute (DI), der institutionellen und geistigen Heimat des ID, damit, sich auf Akademische-Freiheits-Gesetzte („academic freedom act“, AFA) zu konzentrieren, deren Fokus darauf liegt, Lehrer dazu zu ermutigen, im Zuge der akademischen Freiheit, die ET zu kritisieren, vermeintliche Schwachstellen aufzuzeigen und zu betonen. Über 71 solcher AFAs wurden in 16 Bundesstaaten vorgelegt und in drei Staaten angenommen und zu geltendem Recht. Der (verfassungs)rechtlichen Angreifbarkeit dieser Gesetze entging man durch die strategische Vagheit ihrer Formulierungen, die Verschleierung ihrer religiösen Motivation und indem die Kritik an der ET lediglich erlaubt nicht aber angeordnet wurde.
Das führte zur heutigen Situation in den USA, daß zwar nach wie vor offiziell kein Kreationismus unterrichtet werden darf, daß aber gegen entsprechende Verstöße durch Lehrer auf einer individuellen Basis vorgegangen werden muß, indem Schüler und Eltern sich beschweren, was, je nachdem, wo man in den USA wohnt, mit empfindlichen sozialen Sanktionen verbunden sein kann.
Wäre es nicht erfreulich ironisch, wenn sich nun nachweisen ließe, daß es seit Beginn der dritten Phase 2005 bis heute eine Art Evolution der Antievolutions-Strategien gibt? N. Matzke hat dazu insgesamt 67 Gesetzesentwürfe unter phylogenetischen Gesichtspunkten daraufhin untersucht, ob sich zeigen läßt, daß sie teilweise auseinander hervorgehen, sozusagen voneinander abstammen [1].
Mittels der phylomemetischen Analyse [2], die die Techniken der statistischen Phylogenetik nutzt, um kulturelle Transmission (etwa von Memen) nachzuvollziehen, untersuchte er die „Evolutionsgeschichte“ der Antievolutionsgesetze und –strategien, indem er prüfte, welche Passagen aus welchen Gesetz(esentwürf)en (GE) kopiert und modifiziert in anderen GE wieder auftauchten. Vergleichende phylogenetische Methoden können dabei aufzeigen, welche Schlüsselereignisse den Satz der derzeit zirkulierenden GE hervorgebracht haben, indem der legislative Erfolg auf die Evolution der Antievolutionstradition bewertet wird, was auch Hypothesen zu möglicherweise zukünftig verwendeten Strategien ermöglicht.
Die folgende Abbildung zeigt in einer Art Stammbaumdarstellung der Entwicklung und Abhängigkeiten von 65 GEs, einem Modellentwurf des DI und einem zwar obskuren aber sehr wichtigen Papier aus der Gemeinde „Ouachita“ in Lousiana, daß es starke Belege für das Kopieren von Passagen von GE zu GE und „Abstammung mit Modifikation“ gibt. Zusätzlich zu dieser linearen („Eltern zu Sprößling“) Transmission kann man darin erkennen, daß der GE aus 2008 in Louisiana (ursprünglich ein AFA, dann aber umbenannt in „Wissenschaftliche Bildungs-Gesetz“ (‚science eduction act’, SEA)) und spätere Antievolutions-GEs eine Art Kompositgeschichte aufweisen und Textpassagen aus der AFA-Tradition und dem Ouachita-Papier vereinen.
Die meisten AFA- und SEA-GEs lassen sich auf die dritte Phase der Antievolutionsstrategien zurückführen aber an einer Stelle gibt es eine große und bedeutsame Neuerung, die aus dem Ouachita-Papier hervorgeht: die bloße Kritik an der Evolution wird ausgeweitet zur „kritischen Analyse“ und bezieht nun neben ET und Theorien zum Ursprung des Lebens auch Konzepte wie Globale Erwärmung und das Klonen von Menschen ein. Diese Taktik könnte ein Ausweichmaneuver sein, um die mögliche Auslegung vorhandener gerichtlicher Entscheidungen zu umgehen, wonach die alleinige Konzentration auf die ET ein Beleg für eine religiöse Motivation und daher eben verfassungswidrig ist. Dazu paßt freilich, daß viele Konservative in den USA die Theorie der Globalen Erwärmung ohnehin ablehnen [3]. Die Hinzufügung von Globaler Erwärmung und dem Klonen von Menschen wurde so in mehr als 12 folgende GEs hineinkopiert.Der phylomemtische Stammbaum ist sehr asymmetrisch, es gibt also offenbar eine Neigung zu bestimmten GEs, die für neue Antievolutions-Bestrebungen ausgewählt wurden. Das hieße, daß ET-Gegner dazu tendieren, ganz bestimmte GEs und/oder Strategien auszuwählen und zu unterstützen. So eine massive Unterstützung und Förderung in einem Bundesstaat kann sich dann in andere Staaten verbreiten.
Man kann also feststellen, daß sich die Antievolutions-Bewegung seit dem Ende des Kitzmiller/Dover-Prozesses zweimal neu erfunden hat: erst larviert durch die AFA-GEs, die dann, nach dem großen Erfolg des Louisiana-SEAs, fast vollständig durch SEAs ersetzt wurden.
Sehr bedenklich ist dabei, daß die Einbeziehung von Konzepten wie der Globalen Erwärmung in die SEAs bedeutet, daß die Kontroverse um die ET sich womöglich auf andere gesellschaftliche Debatten ausweitet, in denen eine gute allgemeine wissenschaftliche (Schul)bildung von bestimmten Parteien durchaus unerwünscht sein dürfte. Die Verbreitung von SEAs in Louisiana und Tennessee hat so jedenfalls dazu geführt, daß Textpassagen aus einem obskuren Papier aus Ouachita mit 150.000 Einwohnern nun die wissenschaftliche Ausbildung an Schulen in zwei Staaten mit ca. 11,2 Mio. Einwohnern beeinträchtigen.
Fest steht nach Matzkes Untersuchung, daß sich der kreationistische Ursprung aktueller Antievolutionsstrategien ganz klar nachweisen läßt und daß mindestens 63 von 65 Antievolutions-GEs direkt mit dem Kreationismus in Verbindung gebracht werden können. Also in der Tat: es gibt eine Evolution der Antievolutionsstrategien. Wenn die Verbreitung dieser Strategien und GEs und deren Auswirkungen nicht so bedenklich und traurig wären, müßte man darob doch erheblich schmunzeln.
Ich kann nur hoffen, daß die ET-Befürworter in den USA (und überall sonst) es nicht aufgeben, sich für eine ideologiefreie und auf Evidenz basierende Wissenschaftsbildung in den Schulen einzusetzen und daß es vielleicht einen neuen Prozeß mit Präzedenzcharakter geben wird, der, womöglich mit Bezugnahme auf die hier vorgestellten Daten, den religiösen Charakter von AFA- und SEA-GEs enttarnt und sie zu Fall bringt.
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Referenzen:
[1] Matzke, N. J. (2016). The evolution of antievolution policies after Kitzmiller versus Dover. Science, 351(6268), 28-30.
[2] Howe, C. J., & Windram, H. F. (2011). Phylomemetics—evolutionary analysis beyond the gene. PLoS Biol, 9(5), e1001069.
[3] Branch, G., Scott, E. C., & Rosenau, J. (2010). Dispatches from the evolution wars: shifting tactics and expanding battlefields. Annual review of genomics and human genetics, 11(1), 317.
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