In Deutschland darf aus DNA-Proben von Tatverdächtigen und Tatorten ein zur Identifikation bzw. Abstammungsuntersuchung taugliches DNA-Profil erstellt und das Geschlecht bestimmt werden. Mehr nicht. Noch immer ist also die Bestimmung der äußeren Merkmale einer Person, meist eines Tatverdächtigen, anhand asservierter DNA in Deutschland laut §81e Strafprozessordnung (StPO) unzulässig, obwohl technisch längst machbar. Deutschland, mit seiner NS-Geschichte der Eugenik, ist damit das einzige Land, dessen Gesetzestexte sich überhaupt zur Verwendung kodierender Genabschnitte äußern und deren Untersuchung explizit verbieten. Schon vor drei Jahren schrieb ich dazu im Artikel über forensische DNA-Phänotypisierung (FDP):
„Wenn die Methode ausgereift ist, kann sie aber auch anderen forensischen Zwecken als der Strafverfolgung dienen. Z.B. wird man skelettierten, enthaupteten oder auf andere Arten unkenntlichen Leichen auf Grundlage der DNA aus verbleibenden Körperzellen ein Gesicht geben und so viel besser ihre Identität ermitteln können. Zusammen mit NGS werden sich so ungeahnte Möglichkeiten eröffnen…
Spätestens dann wird sich hoffentlich auch der deutsche Gesetzgeber dazu bewegen lassen, die StPO anzupassen und die Einbeziehung von DNA-Polymorphismen, die zur Bestimmung des äußeren Erscheinungsbildes dienen, gestatten.“
Kürzlich, drei Jahre später, im Bericht zum 37. Spurenworkshop, erzählte ich vom Vortrag eines Juristen,
„der auf die aktuelle Debatte zur Notwendigkeit der Aktualisierung der StPO zu sprechen kam, die sich am impliziten Verbot von FDP in Deutschland entzündet hatte, das im Mordfall von Freiburg die Ermittlungen behindert hatte. Der Druck auf die Politik ist inzwischen so groß […], daß es nun konkrete Bemühungen gibt, die StPO hinsichtlich des wissenschaftlichen Fortschritts zu aktualisieren und um die Möglichkeit für DNA-Untersuchungen zu erweitern, welche nun endlich auch die Feststellung äußerlich sichtbarer Merkmale gestatten.“
Einen entsprechenden Gesetzentwurf gibt es bereits, der jedoch trotz einer entsprechenden Petition in der ursprünglichen Version zunächst kein FDP zugelassen hätte, sondern lediglich die erweiterte Datenbanksuche nach Familienangehörigen von Tatverdächtigen. In der geänderten Version heißt es jetzt:
„Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I
- 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 3 Absatz 5 des Gesetzes vom
- Dezember 2016 (BGBl. I S. 3346) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
§81e wird wie folgt geändert:
- Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 wird gestrichen.
- Absatz 2 wird wie folgt geändert:
- Nach Satz 1 werden folgende Sätze 2 und 3 eingefügt:
Ist unbekannt, von welcher Person das Spurenmaterial stammt, dürfen auch Feststellungen über das Geschlecht, die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das biologische Alter der Person getroffen werden. Feststellungen über andere als die in Satz 2 bezeichneten Tatsachen dürfen nicht erfolgen; hierauf gerichtete Untersuchungen sind unzulässig.“
(Hervorhebung von mir)
Man beachte, daß die Feststellung der biogeographischen Herkunft bzw. ethnischen Zugehörigkeit nicht zulässig, obwohl technisch recht gut möglich und natürlich für Ermittlungsverfahren mit völlig unbekannten Tatverdächtigen extrem nützlich ist. Das hat auch nichts mit „racial profiling“ zu tun, da man ja die ethnische Zugehörigkeit vor Befunderhebung eben nicht kennt und wohl kaum anders oder weniger akribisch ermitteln würde, wenn das Ergebnis lautet, daß der Mörder höchstwahrscheinlich „europäisch-kaukasischer Herkunft“ ist.
Im Kommentar dazu heißt es weiter:
„Nach Auskunft des international renommierten Kriminaltechnischen Instituts des Landeskriminalamts Baden-Württemberg können – insbesondere auf Grundlage von Studien des in den schon seit einigen Jahren umfassendere DNA-Analysen zulassenden Niederlanden tätigen Prof. Manfred Kayser (vgl. hierzu Kayser, Forensic International: Genetics 18 [2015] 33) – zwischenzeitlich aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen derartigen Spurenmaterials mit hoher Wahrscheinlichkeit verlässliche Aussagen zur konkreten Augen-und Haarfarbe, zur Hautfarbe sowie zum biologischen Alter der Person getroffen werden, von der die jeweilige Spur stammt. DNA-fähiges Spurenmaterial fällt insbesondere bei schweren Sexual- und Gewaltstraftaten. Es liegt auf der Hand, dass es für die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen der in aller Regel sehr zeit- und personalintensiven Täterermittlungen hilfreich wäre, frühzeitig Kenntnis von den genannten Merkmalen zu haben. Auf diese Weise könnten die in einem Verfahren bestehenden Ermittlungsansätze sinnvoll gewichtet, Ermittlungsschwerpunkte gesetzt und Ermittlungshandlungen priorisiert werden. Damit können auch etwaige Eingriffsmaßnahmen gegen Unbeteiligte, die an Hand der zusätzlich getroffenen Feststellungen als Täter wenig wahrscheinlich sind (zB auch im Rahmen von DNA- Reihenuntersuchungen),vermieden werden.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Ausweitung der Untersuchungsmöglichkeiten bestehen im Ergebnis nicht (so auch SK-Rogall, StPO, 4. Aufl. 2014, § 81e Rn. 9). Die vorgesehene Erweiterung der Untersuchung von DNA-fähigem Material auf Augenfarbe, Haarfarbe, Hautfarbe sowie das biologisches Alter berührt wie schon die Untersuchung im Hinblick auf das Geschlecht (Löwe-Rosenberg/Krause, StPO, 26. Aufl. 2008, § 81e Rn. 24; BT-Drs. 15/350, S. 12) nicht den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit, da sie regelmäßig von außen ohne weiteres – insbesondere auch ohne genetische Untersuchung – erkennbare Merkmale einer Person betreffen.
Eine molekulargenetische Untersuchung von äußerlich nicht erkennbaren genetischen Anlagen des Betroffenen und genetisch bedingten Merkmalen wie psychischen, charakter- oder krankheitsbezogenen Persönlichkeitsmerkmalen oder Erbanlagen wird ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 103, 21 Rn. 50 – zitiert nach juris)“
(Hervorherbung von mir)
Letzte Woche gab es zu der Initiative dann noch eine weitere Plenarberatung.
Es ist natürlich unglücklich und zugleich typisch für Deutschland, einem Land mit ca. 1600 Morden pro Jahr, daß es ein Mordfall war, in den ein Flüchtling involviert war, der diese längst überfällige Debatte und letztlich den übereilten Entwurf zur Gesetzesänderung ausgelöst hat. Politischer Druck hat hier – wie so oft – zu überhastetem Aktionismus und nicht oder nicht ausreichend sachdienlichen gesetzgeberischen Bemühungen geführt.
Den Bedenken, daß die neuen, ja lediglich probabilistischen Methoden letztlich diskriminierend gegen Minderheiten sein oder eingesetzt werden könnten, ist entgegenzuhalten, daß der Einsatz dieser Techniken nur in enger Zusammenarbeit zwischen Polizei und forensischen Genetikern erfolgen und dabei stets genau diskutiert werden sollte, welche Information realistischerweise aus einer Probe z.B. einer asservierten Spur, die häufig sehr klein sind, gewonnen werden kann und welche Schlußfolgerungen wirklich gezogen werden können. Und entgegen dem, was CSI & Co. einen glauben machen wollen, würde FDP sehr viel seltener eingesetzt, als vielleicht angenommen, da die nicht unerheblichen Kosten solcher Untersuchungen immer gegen den Wert der zu erwartenden Vorhersage abzuwägen sind. FDP wäre damit ein Mittel der letzten, nicht der ersten Wahl, das man nutzen würde, wenn alle anderen ermittlerischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
Und man kann auch einmal darauf hinweisen, daß FDP auch Vorurteilen entgegenwirken kann: 2003 schon gab es in den Niederlanden eine entsprechende Gesetzesänderung nach einem Sexualmord im Jahr 1999, dessen zunächst ein örtlicher Asylbewerber verdächtigt worden war. Um einen Aufruhr zu verhindern, ordnete ein Gericht eine FDP-Untersuchung an, die erbrachte, daß der Täter wahrscheinlich nordeuropäischer Herkunft war. Nach entsprechenden Ermittlungen wurde der Täter gefaßt: er war ein einheimischer Bauer.
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Nachtrag am 28.06.: Beim Science Media Center findet sich zum Thema nun eine Sammlung von Stellungnahmen verschiedener Fachleute (darunter Frau Lipphardt und yours truly).
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