Jedes Jahr erleiden circa 15 Millionen Menschen weltweit einen Schlaganfall, 6 Millionen sterben daran, 5 Millionen tragen dauerhafte schwere bis schwerste Beeinträchtigungen einschließlich kostspieliger Pflegebedürftigkeit davon. Der Schlaganfall ist damit eine der auch aus ökonomischer Sicht ungünstigsten Erkrankungen unserer Zeit.

Ein Schlaganfall mit seinen typischen Ausfallerscheinungen tritt auf, wenn Bereiche des Hirns nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Das kann passieren, wenn Gefäße im Hirn z.B. durch einen Thrombus verstopft (ischämischer Schlag) oder gerissen (hämorrhagischer Schlag) sind. In beiden Fällen gelangt kein sauerstoffgesättigtes Blut mehr zu bestimmten Hirnarealen, deren empfindliche Neuronen daraufhin relativ schnell absterben. Deshalb ist schnelle Hilfe nach einem Schlaganfall auch so absolut entscheidend für das Schicksal der betroffenen Person. Erschwerend kommt noch hinzu, daß vor Beginn einer Behandlung unbedingt die Art des Schlags durch bildgebende Verfahren festgestellt werden muß (dafür gibt es spezielle Einrichtungen an Krankenhäusern oder inzwischen sogar mobil, die sogenannten „Stroke Units“), da die beste und wirksamste Behandlung des ischämischen Schlags eine sichere Methode ist, Menschen mit einem hämorrhagischen Schlag umzubringen.

Neben der Beseitigung der Ursache des Schlaganfalls, Auflösen des Thrombus’ bzw. Flicken des gerissenen Gefäßes, befassen sich moderne therapeutische Ansätze aber auch mit der Verhinderung bzw. Minimierung des neuronalen Schadens, den ein Schlaganfall anrichtet. Bis heute wurden schon einige sogenannte neuroprotektive Wirkstoffe an Tieren und Menschen getestet, deren Nutzen aber durch das extrem kurze Zeitfenster, das sich für eine Behandlung bietet, limitiert wird und es gibt noch keine zugelassenen Wirkstoffe dieser Kategorie auf dem Markt.

Man nimmt an, daß der Schaden im Hirn durch die Apoptose von Nervenzellen (Neuronen) verursacht wird, welche wiederum durch einen Ionenkanal, ASIC1a, der den durch den Sauerstoffmangel bedingten starken Abfall des pH-Werts im Hirn detektiert, ausgelöst wird. Deshalb suchten auch australische Forscher nach Hemmstoffen für genau diesen Ionenkanal wobei ihnen rein zufällig die enorme Ähnlichkeit der Zusammensetzung (Peptidsequenz) des Gifts der Trichternetzspinne (Hardonyche infensa) zu derjenigen eines der ASIC1a-Hemmstoffe, die sie gerade untersuchten, auffiel. Sie nannten das Giftpeptid Hi1a, extrahierten es aus dem Gift und fanden heraus, daß Hi1a in aufgereinigter Form der stärkste bisher bekannte Hemmstoff für ASIC1a ist. Weiter ermutigt durch den Befund, daß Hi1a Neuronen in Zellkultur vor Schäden durch Sauerstoffmangel schützen konnte, testeten sie die Substanz auch in Ratten, denen künstlich ein Schlaganfall beigebracht wurde. Sie fanden, daß Hi1a nicht nur wirksam die Rattenhirne vor neuronalem Schaden bewahrte, sondern auch, daß dieser Effekt auch 8 Stunden nach dem eigentlichen Schlaganfall noch zu beobachten war, ohne daß größere Nebenwirkungen auftraten [1].

Die Gruppe um G. King erforscht nun das neuroprotektive Potential von Hi1a auch bei anderen Erkrankungen, die mit neuronalen Schädigungen bzw. Ischämien assoziiert sind, wie Rückenmarksverletzungen und Herzinfarkt. Es steht zu hoffen, daß Hi1a sich in klinischen Studien bewähren und mittelfristig als Medikament zur Verfügung stehen wird, das sehr vielen Menschen ein schlimmes Schicksal ersparen kann.

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Und hier haben wir schon wieder einen Artikel über die Nützlichkeit von Spinnen und ihrem Gift (nebenbei: auch Tarantelgift eignet sich zur Hemmung von ASIC1a). Ich finde Spinnen wirklich sehr faszinierend, dieses Buch hier gehörte in meiner präliteralen Zeit zu den am meisten angeschauten und wenn dieser und ähnliche Artikel LeserInnen Anlaß gäben, ihre (nicht selten klischeehafte) Abneigung gegenüber diesen großartigen Tieren nocheinmal zu überdenken, wär ich’s zufrieden 😉

Und auch Australien sollte sich freuen: endlich gibt es mal ein supergiftiges Tier dort, das, neben Touristen umbringen, auch Menschen retten kann 🙂

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Referenz:

[1] Chassagnon, I. R., McCarthy, C. A., Chin, Y. K. Y., Pineda, S. S., Keramidas, A., Mobli, M., … & Rash, L. D. (2017). Potent neuroprotection after stroke afforded by a double-knot spider-venom peptide that inhibits acid-sensing ion channel 1a. Proceedings of the National Academy of Sciences, 114(14), 3750-3755.

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Titelbild:

File: AustralianMuseum spider specimen 10.JPG
Quelle
Wikimedia Commons
(C) Toby Hudson (User:99of9)

 

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Kommentare (4)

  1. #1 tomtoo
    19/01/2018

    @Cornelius

    Danke ! Sehr spannend.

  2. #2 Alisier
    19/01/2018

    Sehr schön, Cornelius, Danke hierfür, auch wenn das Ankleben der Beinenden nun wirklich nicht state of the art ist…..
    Aber die Spinnen und 6-Beinigen den Menschen näher zu bringen wird dieses Jahr zu meinen wichtigsten Anliegen gehören. Und solche Informationen zu verbreiten ist wichtig und spannend. Und es kann dazu beitragen, den positiven Respekt vor diesen Wesen zu erhöhen und Ängste abzubauen.

  3. #3 Joseph Kuhn
    21/01/2018

    Wenn ich Dich richtig verstehe, gibt es noch keine klinischen Studien, man ist noch in der tierexperimentellen Grundlagenforschung?

  4. #4 Cornelius Courts
    22/01/2018

    @Joseph: ” man ist noch in der tierexperimentellen Grundlagenforschung?”

    zumindest, soweit ich weiß….