Warnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
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Heute ein weiterer Fall aus der Reihe „ungewöhnliche Suizide“, bei dem der Suizident eine Armbrust einsetzte. Selbst bei anscheinend offensichtlichen Suiziden wie diesem ist es wichtig, trotzdem immer durch sorgfältige Untersuchung zu klären, was sich vor dem Tode der Person wirklich abgespielt hat, um den Suizid bestätigen und vor allem von einem Unfallgeschehen oder gar einem als Suizid maskierten Tötungsdelikt abgrenzen zu können. Dazu muß nicht nur die medizinische Vorgeschichte und ggf. das familiäre Umfeld einbezogen werden, sondern ist auch die gründliche Untersuchung der Leiche, am besten durch Obduktion unbedingt erforderlich.
Zum Fall [1]:
Auf einem Feld in der Nähe seines Wohnhauses in Italien fanden Angehörige den 40-jährigen Verstorbenen tot auf, nachdem sie eine Stunde lang vergeblich nach ihm gerufen und ihn gesucht hatten. Ein Armbrustbolzen steckte in seinem Kopf und die hinzugerufene Polizei stellte eine Armbrust mit Zielvorrichtung, Modell Barnett Commando II, die in der Nähe des Toten lag, sicher.
Die Untersuchung der medizinischen und familiären Vorgeschichte ergab, daß der Verstorbene eine problematische Beziehung mit seiner Partnerin hatte und unter Depressionen litt, die er zwar mit Benzodiazepinen und Escitalopram behandelte, was aber nicht verhindert hatte, daß er kurz vor seinem Tod suizidale Phantasien geäußert hatte, weshalb an seinem Todestag bereits eine Zwangseinweisung durch einen Psychiater angeordnet worden war, die jedoch nicht mehr vollstreckt werden konnte.
Vor der zur Aufklärung des Todesgeschehens angeordneten Obduktion wurde der Leichnam geröntgt.
Vor der Leichenöffnung wurde der Bolzen entfernt, indem die Spitze abgeschraubt (s. Bild rechts) und der 56 cm lange Schaft aus der Einschußwunde unter dem Kinn ausgezogen wurde, die korrespondierend zur Bolzenspitze die Form eines dreistrahligen Sterns aufwies: Im Rahmen der Obduktion zeigte sich an allen von dem Bolzen verletzen Organen und weichen Strukturen, wie der Zunge, der Hirnhaut und der Kopfhaut, das korrespondierende sternförmige Muster. Bei der Sektion des Schädels wurden verschiedene Bruchstücke sichtbar, die von der Stelle stammten, an der der Bolzen die innere Schädeldecke durchschlagen hatte (s. Bild oben). Man fand Anzeichen einer ausgedehnten subduralen und subarachnoidalen Blutung, insbesondere an den Stellen, die der Bolzen durchstoßen hatte. Dies und eine erhebliche Hirnschwellung wurde auch in der feingeweblichen Untersuchung bestätigt. Der Bolzen hatte das ganze Hirn durchquert, beginnend beim unteren Teil des Schläfenlappens bis zur linken Parietalregion, wo er ein Stück weit ausgetreten war. Über die Schädelverletzungen hinaus wurden autoptisch keine weiteren Verletzungen oder sonstige Auffälligkeiten festgestellt. Feingeweblich zeigten sich noch lokalisierte parenchymale Blutungen in den den Bolzen umgebenden Bereichen sowie diffuse axonale Verletzungen, die mit einer prolongierten Gewebehyperperfusion assoziiert waren, die extensive und irreversible Nervenschäden hervorgerufen hatten. Leider sind im Bericht keine toxikologischen Befunde erwähnt, die zur Beurteilung des Falls sehr relevant gewesen wäre. Als Todesursache wurde auf traumatische Hirnverletzung mit massiver Blutung und Hirnschwellung erkannt.Berichte über Armbrustverletzungen sind nur selten in der forensischen Literatur zu finden. Dennoch weist der vorliegende Fall viele typische Kennzeichen eines Armbrustsuizids auf, z.B. das Geschlecht (männlich), das typische Alter (31 – 58 Jahre) und den Kopf als die präferierte Einschußstelle (Tötungsdelikte betreffen meist Kopf oder Brust, Unfälle häufig die unteren Extremitäten). Wenn Bolzen mit einfachen, punktförmigen Spitzen verwendet und besonders, wenn sie nach der Beibringung einer Verletzung entfernt werden, kann es forensisch problematisch sein, die Wunde von einer mit einer Feuerwaffe beigebrachten Schußwunde zu unterscheiden [2-4]. Im vorliegenden Fall halfen die zur Bolzenspitze korrespondierenden Wundmuster und das Fehlen von Schmauch und sonstigen Verbrennungsrückständen z.B. in der Haut des Toten beim Ausschluß einer Feuerwaffenverletzung.
Eine andere Frage, die sich bei Armbrustverletzungen, speziell Kopfschüssen stellt, ist die der Handlungsfähigkeit (ich hatte ja schon berichtet, daß selbst bei Feuerwaffenverletzungen am Kopf Handlungsfähigkeit erhalten bleiben kann). Im Vergleich zu Feuerwaffenprojektilen haben Armbrustbolzen eine niedrige kinetische Energie und in der Literatur gibt es mehrere Berichte über überlebte Armbrusttreffer [2,5,6-9]. Durch die scharfe Spitze kann der Bolzen zwar tief ins Gewebe eindringen, verursacht er aber wegen seiner niedrigeren Energie weit weniger Schäden am umliegenden Gewebe als ein Feuerwaffenprojektil. Außerdem fungiert ein im Körper steckender Bolzen wie eine Art Pfropf wodurch, zusammen mit der natürlichen elastischen Gewebekontraktion, eine Verlangsamung der inneren Blutungen bewirkt wird [5,10-12]. Selbst bei einem Kopftreffer kann eine Person also u.U. nur wenige Symptome einer solchen Verletzung aufweisen und handlungsfähig und bei Bewußtsein bleiben (vgl. auch diesen Fall), so daß es sogar, ganz analog zum Kopfschußartikel (s.o.), zu mehreren selbst beigebrachten Schußwunden kommen kann [10, 13].
Es gibt also ein wahrscheinlich nicht so kleines Zeitfenster, in dem solchermaßen Verletzten noch medizinische Hilfe zuteil werden kann und nur selten wird der Tod sofort oder auch nur schnell eintreten, so daß Armbrüste bei Tötungsdelikten auch eher zum Stoppen der Opfer und für die eigentliche Tötung dann eine andere Waffe eingesetzt wird [14,15]. Im vorliegenden Fall starb der Suizident an seinen Verletzungen, wahrscheinlich weil er nicht um Hilfe rufen konnte (Zungenverletzung) oder wollte. Den Schuß hatte niemand gehört.
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Referenzen:
[1] Panata, L., Lancia, M., Persichini, A., Pantuso, S. S., & Bacci, M. (2017). A crossbow suicide. Forensic science international, 281, e19-e23.
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[13] J.C. Downs, C.A. Nichols, D. Scala-Barnett, B.D. Lifschultz, Handling and interpretation of crossbow injuries, J. Forensic Sci. 39 (2) (1994) 428–445.
[14] B. Karger, H. Bratzke, H. Grass, G. Lasczkowski, R. Lessig, F. Monticelli, J. Wiese, R.F. Zweihoff, Crossbow homicides, Int. J. Leg. Med. 118 (6) (2004) 332–336.
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