Lysergsäurediethylamid, besser bekannt als LSD, ist eine halb-synthetische halluzinogene Substanz, die aus Mutterkorn gewonnen wird. 1943 fand A. Hofmann eher zufällig heraus, daß LSD schon in sehr kleinen Dosen sehr starke psychedelische Effekte hervorruft und in den 50er und 60er Jahren gab es reichlich Forschung an und mit LSD als potentiellem Therapeutikum für verschiedene schwere, rezidivierende und/oder therapierefraktäre psychiatrische Erkrankungen. Metaanalysen dieser Forschungsdaten befanden, daß LSD als relativ ungefährlich, also mit nur sehr wenigen schädlichen Nebenwirkungen assoziiert ist [2-4]. Mit dem CSA der FDA endete dann leider die Möglichkeit, LSD ungehindert zu erforschen.
Wie ich persönlich über Drogen, Drogenpolitik und das Recht Erwachsener auf Rausch denke, habe ich anderswo schon kenntlich gemacht und soll heute hier nicht Thema sein, nur diese Bemerkung noch: daß Ethanol frei verfügbar und LSD verboten ist, ist vollkommen absurd. Alkohol ist mit Abstand die gefährlichste Droge der Welt und laut dieser Darstellung viel, viel schlimmer als LSD, dessen Verbot, wie so vieles in der Drogenpolitik, ideologische und keine rationalen Gründe hat. (Das ist sehr schade, denn es gibt gute Anhaltspunkte für die Wirksamkeit von LSD-Mikrodosierung bei der Behandlung von Depressionen aber auch für mich persönlich, denn bevor ich DMT ausprobieren würde, würde ich mich gerne erstmal mit LSD „warmmachen“ ;-))
Der Position, daß LSD in niedrigen Dosen (50 – 200 µg) ungefährlich sei und es eigentlich keine guten Gründe für ein Verbot zum Freizeit- und schon gar nicht therapeutischen Gebrauch gebe, werden immer wieder wissenschaftliche Berichte und Studien zu angeblich LSD-assoziierten Todesfällen entgegengehalten. Tatsächlich haben einer Schätzung zufolge 10,2% der US-Amerikaner, also 31 Millionen Personen, schon mindestens ein Mal LSD eingenommen, ohne daß auch nur ein einziger Todesfall bei Einnahme üblicher Dosen aufgetreten wäre [5-7]. Nichols und Grob haben sich daher nun kürzlich einmal die Studien zu vermeintlichen LSD-Todesfällen aus forensischer Sicht näher angesehen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft [1]. In ihrem Aufsatz in Forensic Science International diskutieren sie insgesamt 6 Fälle. Ihr Ausgangspunkt für die Bewertung der Toxizität von LSD ist die aus Tierstudien geschätzte tödliche orale LSD-Dosis bei Menschen von 100 mg (ein Vielfaches höher als eine übliche Strassendosis von 200 µg) [8].
Zusammenfassend stellten sie fest, daß in keinem der Fallberichte eine übliche Dosis von LSD plausiblermaßen die Todesursache gewesen sein könnte: Im ersten Fall wurde eine LSD-Konzentration in der Leber von 31,2 µg/ml festgestellt, dem die Einnahme einer massiven und sicher tödlichen Überdosis von ~320 mg vorausgegangen sein mußte (und mit den Möglichkeiten einer modernen Intensivstation wäre auch eine solche Vergiftung überlebbar gewesen).
Im zweiten Fall gab es nur eine lückenhafte Datenerhebung und nur einen LSD-Wert im Plasma vor dem Tod von 14,4 ng/ml, eine unbekannte Zeit nach der Einnahme. Auch hier sprach also alles für eine starke und eben toxische Überdosis.
Im dritten Fall hatte ein 14-jähriger nach LSD-Einnahme einen „schlechten Trip“ und rastete völlig aus. Um ihn zu kontrollieren, wurde er von vier Polizisten auf eine als „hogtie“ bezeichnete Weise gefesselt, die für davon Betroffene sehr belastend ist. Der Patient tobte weiter und kämpfte gegen die Fesselung an, woraufhin man erst Druck auf seinen Rücken ausübte und ihn schließlich gefesselt bäuchlings in eine Gummizelle legte. Dort verlor er das Bewußtsein und seine Atmung setzte aus. Er wurde sofort ins Krankenhaus gebracht, starb dort jedoch nach siebentägigem Koma. Als Todesursache wurde auf „Tod durch Asphyxie bei Fesselung und agitiertem Delir“.
Im vierten Fall fixierten Polizisten einen 28-jährigen nach einem eskalierten Nachbarschaftsstreit, nachdem er zuvor mehrere Schlagstockhiebe erlitten hatte (einer an den Kopf), mittels der hogtie-Fesselung. Immer noch wütend und protestierend wurde er auf den engen Rücksitz eines Polizeifahrzeugs verbracht. Auf der Fahrt zum Gefängnis rutschte der Patient in den Zwischenraum zwischen Vordersitzen und Rückbank in eine Zwangslange. Drei Minuten später wurde sein Atemgeräusch gurgelartig und ein Notarztwagen wurde gerufen, der zur selben Zeit wie das Polizeifahrzeug am Gefängnis ankam, wo der Patient bereits bewußtlos war und nicht mehr reanimiert werden konnte. In seinem Blut fanden sich Alkohol (~1,1 ‰), LSD (3,2 ng/ml) und THC (4,1 ng/ml). Als Todesursache wurde auf positionale Asphyxie (auch als Gewahrsamstod bezeichnet) erkannt.
Im fünften Fall nahm ein 30-jähriger Asthmatiker eine kleine Menge LSD ein, wonach er ängstlich und klaustrophobisch wurde. Er rannte davon, ca. einen halben Kilometer weit durch eine Einkaufsstraße, wo er durch einen Passanten der Polizei gemeldet wurde. Die Polizei kam und setzte einen Hund zur Festnahme ein, der den Patienten in den linken Arm biß. Anschließend wurden Taserwaffen auf den Patienten abgefeuert, der im Rücken getroffen wurde. Schließlich wurde der Patient von mehreren Polizisten überwältigt und in der hogtie-Haltung gefesselt. Der hinzugerufene Rettungsdienst legte den Patienten auf eine Trage, worauf er mit fünf Riemen, einer über seinen Kopf, fixiert wurde, wogegen er ankämpfte. Ein angelegtes 3-Punkt-EKG wies eine supraventrikuläre Tachykardie bei fallendem Blutdruck nach und der Patient wurde ins Krankenhaus eingeliefert, wo er immer noch beschleunigten Puls und Atmung aufwies und weiter gegen die Fesselung ankämpfte. Ca. eine halbe Stunde später erhielt er Haloperidol und Lorazepam (starke Beruhigungsmittel), woraufhin er nach 14 Minuten keine Lebenszeichen mehr von sich gab. Nach 22 minütigen Wiederbelebungsversuchen wurde er schließlich für tot erklärt. In seinem Blut fand sich 1 ng/ml LSD und THC, keine anderen Drogen und als Todesursache wurde „Komplikationen von LSD-Toxizität“ erfaßt. Das erscheint angesichts der Literatur überaus unglaubwürdig, da es für eine toxische Wirkung einer so niedrigen Konzentration von LSD, die auf eine Einnahmedosis von lediglich 100 µg zurückgerechnet werden kann, keinerlei Anhaltspunkte gibt. Gewahrsamstod erscheint deutlich wahrscheinlicher.
Im sechsten Fall nahm eine 20-jährige im Rahmen der Teilnahme an einem Musikfestival LSD ein und mußte ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ihre Körpertemperatur betrug schon vor Erreichen des Krankenhauses 40,5 °C und 39,4°C später dort (eine erhöhte Körpertemperatur ist nicht assoziiert mit LSD-Intoxikation). Insgesamt wurden der Patientin, die im Krankenhaus verstarb, 4,8 l Flüssigkeit aus der Lunge gesaugt und zwei ihrer Blutproben enthielten 0,22 ng/ml und 0,47 ng/ml LSD, was der Einnahme einer straßenüblichen Dosis entspricht. Andere Drogen, wie GHB, MDMA, Psilocin und „Spice“ sowie Ethanol wurden nicht gefunden und auf Tod durch akute LSD-Toxizität erkannt. Es wurde jedoch und bedauerlicherweise nicht auf Drogen getestet, die wahrscheinlich die erhöhte Temperatur hätten hervorrufen können, wie 25i-NBOMe, PMA oder PMMA (N-Methylderivat von PMA), so daß die Annahme einer LSD-Toxizität hier als höchst fraglich gewertet werden muß. So fragwürdig in der Tat, daß nach Presseermittlung und –berichten die Todesursache im Obduktionsbericht auf „Tod durch Multiorganversagen, Hyperthermie und Dehydrierung mit Koagulopathie und möglicher LSD-Intoxikation“ abgeändert wurde. Eine Untersuchung zur Entdeckung der Droge, die die festgestellten Symptome wirklich hervorgerufen hatte, fand nicht statt.
Es gibt inzwischen gute Erkenntnisse, daß Patienten, die bei harter Fesselung (wie bei hogtie) plötzlich zusammenbrechen, tödliche Herzrhythmusstörungen, manchmal noch überlagert von Atemstillstand, erleiden. Daher wäre wohl „Herzrhythmusstörungen bei Fesselung“ (CDDR, [9]) die intellektuell ehrlichste Todesursache in solchen schwierigen Fällen. Denn eine toxische Wirkung ist mit selbst vergleichsweise hohen Dosen von LSD (200 µg), die nach 1,5 Stunden eine maximale Blutkonzentration von 3,1 ng/ml erzeugen können [10], nicht zu erzielen.
In den berichteten und hier untersuchten vier Fällen von Tod nach Einnahme einer Freizeitdosis LSD (also nicht die massiven Überdosen der Fälle 1 und 2), war in drei Fällen (3-5) wohl eher CDDR die Todesursache. Im letzten Fall (6) ist LSD-Toxizität als Todesursache angesichts der Symptome ebenfalls überaus fragwürdig.
Es ist nicht davon auszugehen, daß LSD ein agitiertes Delir hervorrufen kann. Agitiertes Delir ist eng assoziiert mit dem Gewahrsamstod [11-13] und tritt häufig im Zusammenhang mit Drogen wie Methamphetamin und PCP auf. Es ist gekennzeichnet durch Unempfindlichkeit gegenüber Schmerzen, beschleunigte Atmung, Schwitzen, Agitation, stark erhöhte Körpertemperatur, Widerständigkeit (gerne gegen Vollzugsbeamte), aggressives, kampflustiges Verhalten und erhöhte Kraft. Aus post-mortem Studien des Hirns von Personen, die nach agitiertem Delir starben, weiß man, daß im Striatum ein charakteristischer Verlust von Dopamin-Transportern auftritt. Es wurde daher angenommen, daß ein möglicher Weg zur Entstehung des agitierten Delirs exzessive Dopamin-Stimulation im Striatum sein könnte. LSD hingegen stimuliert vornehmlich Serotonin-5HT2-Rezeptoren und interagiert nicht mit dem Dopain-Transporter und führt somit auch nicht zu einer Dopamin-Depletion im Striatum. Es ist bekannt, daß einige LSD-User „schlechte Trips“ erleiden können, doch obwohl dieser Zustand einige Gemeinsamkeiten mit dem agitierten Delir hat (z.B. Widerständigkeit, Agitation), sind dies doch sehr unterschiedliche Zustände, inbesondere erhöht sich unter LSD nicht die Körpertemperatur und während es Berichte über plötzlich eintretenden Tod während agitierten Delirs gibt [14], gibt es keine über Todesfälle während schlechter Trips. In den oben berichteten Fällen war der Tod bei Personen mit schlechtem Trip eingetreten, weil sie streng gefesselt worden waren.
Zusammenfassend ist also stark zu bezweifeln, daß LSD die ihm in diversen wiss. Veröffentlichungen aber auch einigen Medienberichten zugeschriebene Toxizität aufweist. Diese Berichte haben eher Verwirrung erzeugt und von den eigentlichen Gründen für den jeweiligen Tod, nämlich Gewahrsamstod bei brutaler Fesselung und/oder die zusätzliche Einnahme anderer, gefährlicherer Drogen, abgelenkt. Es steht zu hoffen, daß das erkannt wird und nicht zu einem Zögern oder Zurückweichen bei den ersten kleinen Schritten führt, mit denen man sich LSD als potentielles potentes Psychotherapeutikum wieder anzunähern begonnen hat.
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Referenzen:
[1] Nichols, D. E., & Grob, C. S. (2018). Is LSD toxic?. Forensic science international, 284, 141-145.
[2] Cohen, S. (1960). Lysergic acid diethylamide: side effects and complications. J Nerv Ment Dis, 130, 30-40.
[3] Malleson, N. (1971). Acute adverse reactions to LSD in clinical and experimental use in the United Kingdom. The British Journal of Psychiatry, 118(543), 229-230.
[4] Strassman, R. J. (1984). Adverse reactions to psychedelic drugs. A review of the literature. J Nerv Ment Dis, 172(10), 577-595.
[5] Hendricks, P. S., Thorne, C. B., Clark, C. B., Coombs, D. W., & Johnson, M. W. (2015). Classic psychedelic use is associated with reduced psychological distress and suicidality in the United States adult population. Journal of Psychopharmacology, 29(3), 280-288.
[6] Cohen, S. (1967). Psychotomimetic agents. Annual review of pharmacology, 7(1), 301-318.
[7] Jaffe, J. H. (1985). Drug addiction and drugs abuse. The pharmacological basis of therapeutics, 532-581.
[8] Griggs, E. A., & Ward, M. (1977). LSD toxicity: a suspected cause of death. The Journal of the Kentucky Medical Association, 75(4), 172.
[9] Cina, S. J., & Davis, G. J. (2010). Cardiac dysrhythmia during restraint. The American jounal of forensic medicine and pathology, 31(4), e4.
[10] Dolder, P. C., Schmid, Y., Haschke, M., Rentsch, K. M., & Liechti, M. E. (2015). Pharmacokinetics and concentration-effect relationship of oral LSD in humans. International Journal of Neuropsychopharmacology, 19(1), pyv072.
[11] Wilke, N., & Grassberger, M. (2013). Medizinische Aspekte polizeilicher Zwangsmaßnahmen. In Klinisch-forensische Medizin (pp. 439-455). Springer, Vienna.
[12] Vilke, G. M., DeBard, M. L., Chan, T. C., Ho, J. D., Dawes, D. M., Hall, C., … & McMullen, M. J. (2012). Excited delirium syndrome (ExDS): defining based on a review of the literature. The Journal of emergency medicine, 43(5), 897-905.
[13] Vilke, G. M., Payne-James, J., & Karch, S. B. (2012). Excited delirium syndrome (ExDS): redefining an old diagnosis. Journal of forensic and legal medicine, 19(1), 7-11.
[14] Hall, C., Votova, K., Heyd, C., Walker, M., MacDonald, S., Eramian, D., & Vilke, G. M. (2015). Restraint in police use of force events: examining sudden in custody death for prone and not-prone positions. Journal of forensic and legal medicine, 31, 29-35.
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Quelle Titelbild: Von Jü – Eigenes Werk, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11495905
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