Zusätzlich muß, um ein Transferereignis zu verstehen (oder nachzustellen), auch eine Gewichtung der Variablen vollzogen werden, da in jedem Szenario Variablen unterschiedlich stark zum Transfer beitragen und es daher bedeutsam ist, vor allem die relevantesten d.i. die am stärksten den Transfer beeinflussenden Variablen zu identifizieren und ihren relativen Beitrag zum Gesamttransfer zu berücksichtigen.
Ist der Kontakt erst vollzogen, spielen zusätzlich auch die Bedingungen und Umstände der Lagerung eine Rolle dafür, ob und wieviel der transferierten DNA erhalten bleibt und zum Beispiel beim nächsten Kontakt noch weitertransferiert werden kann. Diese nennen wir „nontransferentielle Variablen“, da sie nicht den Transfer selbst betreffen, aber dennoch Einfluß auf das Ergebnis haben. Und natürlich kann auf einem Objekt, auf das DNA transferiert wird, schon DNA enthalten sein (Hintergrund-DNA (s. Abbildung) oder DNA aus einem vorherigen Transferereignis), die sich dann mit der neu transferierten DNA mischt und einen Gesamt-DNA-Pool bildet.
Doch damit nicht genug: denn um DNA-Transfer nachweisen und die Person, von der die DNA stammt feststellen zu können, müssen wir von dem Ort, an den die DNA im letzten Transferschritt transportiert wurde, eine Probe nehmen, aus dem Probenmaterial DNA isolieren, quantifizieren und dann daraus ein DNA-Profil erstellen: die gemessene DNA-Menge und das DNA-Profi sind das eigentliche Ergebnis, um das es uns geht und das wir forensisch auswerten können. Selbstverständlich umfassen aber auch diese Schritte Variablen (Tabellenspalte ganz rechts), die zwar nichts über den Transfer verraten, also ebenfalls nontransferentielle Variablen sind, die aber dennoch das Ergebnis deutlich beeinflussen können. Also so ein bißchen wie bei Heisenberg: die Beobachtung verändert das Beobachtete. Daher müssen auch diese Variablen berücksichtigt, erforscht und bei Experimenten und in der Fallarbeit kontrolliert werden.
Ich hoffe, es ist bisher deutlich geworden, wie schwierig und komplex das Phänomen DNA-Transfer ist, obwohl ich nicht einmal alle Schwierigkeiten erwähnt habe, die zu bedenken sind. Und all das gilt ja nicht nur für experimentelle Fragestellungen sondern auch und besonders, wenn man als Sachverständiger bei Gericht zu DNA-Transfer befragt wird, bzw. dem Gericht erklären soll, wie wahrscheinlich das von der Verteidigung vorgetragene Alternativszenario zur Erklärung des gefundenen DNA-Musters ist, das von mehreren Instanzen von DNA-Transfer ausgeht und bei dem der Angeklagte an der Entstehung nur indirekt beteiligt und nie selbst am Tatort war. Angesichts dessen, daß diese Situationen immer häufiger werden, man meist die Alternativszenarien nie sicher vollständig ausschließen kann und daher systematisches Wissen über DNA-Transfer und seine Bedingungen immer wichtiger wird, erklärt sich der Bedarf nach Forschung zu diesem Thema.
Doch obwohl DNA-Transfer durchaus emsig beforscht wird und es inzwischen hunderte Studien dazu gibt, sind die vorhandenen Forschungsergebnisse gerade leider nicht sehr gut geeignet, um DNA-Transfer besser zu verstehen und schon gar nicht, um einen Sachverständigen vor Gericht in die Lage zu versetzen, eine Frage zur Wahrscheinlichkeit oder Plausibilität eines konkreten Transferszenarios zu beantworten. Für den sehr vielversprechenden Ansatz, Bayes-Netzwerke zu verwenden, um solche Wahrscheinlichkeiten zu berechnen [2], reicht die Qualität der dafür vorliegenden Daten ebenfalls nicht aus.
Das liegt daran, daß viele der vorhandenen Studien nicht auf eine Weise geplant und durchgeführt worden sind, die der Komplexität des untersuchten Phänomens mit all seinen Variablen einerseits und andererseits der Notwendigkeit, gerade bei einem solch schwierigen Untersuchungsgegenstand ganz besonders detailliert und transparent die Studiendurchführung (“Material und Methoden”) zu beschreiben, Rechnung getragen hat. Hinzukommt, daß es eine erhebliche Heterogenität hinsichtlich der eingesetzten Methoden aber auch der angelegten Standards gibt. Warum das so ist, darüber kann man nur spekulieren, ich persönlich vermute, es könnte daran liegen, das DNA-Transfer Studien scheinbar (!) leicht, schnell und für wenig Geld durchgeführt werden können. Sie reichen aus für eine Bachelor-Arbeit o.ä. und irgendwie und irgendwo kriegt man sie auch publiziert. Ein guter, systematischer Überblick über die gesamte relevante Forschungsliteratur zu DNA-Transfer gab es auch nicht.
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