Meine beiden Forschungsschwerpunkte (molekulare Ballistik und forensische RNA-Analyse) sind regelmäßigen LeserInnen dieses Blogs inzwischen geläufig. Daß wir (in erster Linie eine Masterstudentin und ich) seit einem knappen Jahr ein zusätzliches Forschungsfeld bearbeiten, nehme ich heute zum Anlaß, davon zu berichten: unter DNA-Transfer im forensischen Kontext versteht man die Übertragung von DNA-haltigem Material, meist Hautzellen, von einem forensisch-relevanten Element auf ein anderes. Solche „Elemente“ können Individuen aber auch (etwa tatrelevante) Objekte sein. Da unsere Nachweis- und Analysemethoden immer empfindlicher und leistungsstärker werden und längst schon DNA-Analysen aus Hautabriebspuren nach Berührung („touch-DNA“) und Einzelzellen möglich sind, verwundert es nicht, daß sich inzwischen auch der Transfer winziger Mengen DNA-haltigen Materials nachweisen läßt. DNA-Transfer ist damit nichts anderes als eine weitere Manifestation des Locard’schen Austauschprinzips, das, bereits in den 30er-Jahren formuliert, besagt, daß jeder Kontakt eine Spur, daß also Elemente bei jedem Kontakt wechselseitig Spuren aneinander hinterlassen.
Aber warum ist das so wichtig und was muß daran erforscht werden? Ein Beispiel: ich gebe einer Person die Hand. Später nimmt die Person mit der von mir geschüttelten Hand ein Messer und ersticht damit eine dritte Person. Im Zuge der kriminaltechnischen Ermittlung wird auch der Messergriff untersucht. Darauf findet sich ein Mischprofil mit meiner DNA als Hauptkomponente. Ich selbst habe das Messer aber weder berührt, noch war ich am Tatort. Ein solcher Sekundärtransfer ist, wie inzwischen einige Studien belegen, ein durchaus mögliches Szenario. Und auch Transferereignisse höherer Ordnung (Tertiärtransfer) sind möglich. Die folgende Abbildung stellt ein DNA-Transferszenario schematisch dar:
Wie wahrscheinlich ist nun das Auftreten einer bestimmten Ergebniskonstellation nach DNA-Transfer (z.B. daß sich im o.g. Beispiel soviel meiner DNA auf dem Messergriff, den ich nie berührt habe, befindet, daß sie im Mischprofil die Hauptkomponente darstellt) und welche Parameter und Variablen beeinflussen das Ergebnis? Die Antwort ist leider, daß wir es nicht wissen. Wir wußten bisher nur, daß DNA-Transfer kompliziert ist und verstehen gerade, daß er noch komplizierter ist, als viele dachten (oder befürchteten). Das liegt daran, daß so viele verschiedene Variablen (von denen wir wissen) den DNA-Transfer beeinflussen können. Ich kann und will gar nicht alle hier aufzählen, nur ein paar wichtige Beispiele, um klar zu machen, worum es geht:Studien haben inzwischen gezeigt, daß sowohl das Alter als auch das Geschlecht einer Person beeinflussen, wieviel DNA sie bei einem Kontakt überträgt. Natürlich spielt es auch eine Rolle, mit welcher Hand (links oder rechts) oder welchem Körperteil (z.B. Lippen) und wie intensiv, wie lange und auf welche Weise (drücken, reiben, drücken und reiben) der Kontakt stattfindet und was man vorher mit der Hand gemacht hat (nichts, gewaschen, schwere Arbeit).
Wer mehr wissen will, lese gerne unseren Übersichtsartikel [1], die folgende Tabelle gibt aber schon einmal einen guten Überblick:
Jeder Eintrag in der Tabelle kann dann wieder einige bis viele verschiedene Manifestationen haben, z.B. gibt es offensichtlich zahlreiche verschiedene Oberflächen, die sich z.T. stark darin unterscheiden, wie sie auf DNA-Transfer einwirken (ob und welches DNA-haltige Material sie wie gut aufnehmen bzw. abgeben).
Natürlich existieren diese Variablen auch nicht isoliert voneinander sondern können miteinander wechselwirken, was eine weitere Komplexitätsebene bedingt. Ein Beispiel: man untersucht den Einfluß der Kontaktintensität (KI) bei Kontakt mit der dominanten Hand und trägt in einem Graphen die DNA-Ausbeute (=Menge) gegen die Kontaktintensität auf. Dann untersucht man den Einfluß der KI bei Kontakt mit dem Unterarm und erzeugt einen analogen Graphen. Beim Vergleich sieht man, daß sich die Ausbeuten bei gleichen KI-Werten zwischen unterschiedlichen Körperoberflächen unterscheiden. Man kann also nicht einfach davon ausgehen, daß die KI immer den gleichen Einfluß auf die transferierte DNA-Menge hat.
Zusätzlich muß, um ein Transferereignis zu verstehen (oder nachzustellen), auch eine Gewichtung der Variablen vollzogen werden, da in jedem Szenario Variablen unterschiedlich stark zum Transfer beitragen und es daher bedeutsam ist, vor allem die relevantesten d.i. die am stärksten den Transfer beeinflussenden Variablen zu identifizieren und ihren relativen Beitrag zum Gesamttransfer zu berücksichtigen.
Ist der Kontakt erst vollzogen, spielen zusätzlich auch die Bedingungen und Umstände der Lagerung eine Rolle dafür, ob und wieviel der transferierten DNA erhalten bleibt und zum Beispiel beim nächsten Kontakt noch weitertransferiert werden kann. Diese nennen wir „nontransferentielle Variablen“, da sie nicht den Transfer selbst betreffen, aber dennoch Einfluß auf das Ergebnis haben. Und natürlich kann auf einem Objekt, auf das DNA transferiert wird, schon DNA enthalten sein (Hintergrund-DNA (s. Abbildung) oder DNA aus einem vorherigen Transferereignis), die sich dann mit der neu transferierten DNA mischt und einen Gesamt-DNA-Pool bildet.
Doch damit nicht genug: denn um DNA-Transfer nachweisen und die Person, von der die DNA stammt feststellen zu können, müssen wir von dem Ort, an den die DNA im letzten Transferschritt transportiert wurde, eine Probe nehmen, aus dem Probenmaterial DNA isolieren, quantifizieren und dann daraus ein DNA-Profil erstellen: die gemessene DNA-Menge und das DNA-Profi sind das eigentliche Ergebnis, um das es uns geht und das wir forensisch auswerten können. Selbstverständlich umfassen aber auch diese Schritte Variablen (Tabellenspalte ganz rechts), die zwar nichts über den Transfer verraten, also ebenfalls nontransferentielle Variablen sind, die aber dennoch das Ergebnis deutlich beeinflussen können. Also so ein bißchen wie bei Heisenberg: die Beobachtung verändert das Beobachtete. Daher müssen auch diese Variablen berücksichtigt, erforscht und bei Experimenten und in der Fallarbeit kontrolliert werden.
Ich hoffe, es ist bisher deutlich geworden, wie schwierig und komplex das Phänomen DNA-Transfer ist, obwohl ich nicht einmal alle Schwierigkeiten erwähnt habe, die zu bedenken sind. Und all das gilt ja nicht nur für experimentelle Fragestellungen sondern auch und besonders, wenn man als Sachverständiger bei Gericht zu DNA-Transfer befragt wird, bzw. dem Gericht erklären soll, wie wahrscheinlich das von der Verteidigung vorgetragene Alternativszenario zur Erklärung des gefundenen DNA-Musters ist, das von mehreren Instanzen von DNA-Transfer ausgeht und bei dem der Angeklagte an der Entstehung nur indirekt beteiligt und nie selbst am Tatort war. Angesichts dessen, daß diese Situationen immer häufiger werden, man meist die Alternativszenarien nie sicher vollständig ausschließen kann und daher systematisches Wissen über DNA-Transfer und seine Bedingungen immer wichtiger wird, erklärt sich der Bedarf nach Forschung zu diesem Thema.
Doch obwohl DNA-Transfer durchaus emsig beforscht wird und es inzwischen hunderte Studien dazu gibt, sind die vorhandenen Forschungsergebnisse gerade leider nicht sehr gut geeignet, um DNA-Transfer besser zu verstehen und schon gar nicht, um einen Sachverständigen vor Gericht in die Lage zu versetzen, eine Frage zur Wahrscheinlichkeit oder Plausibilität eines konkreten Transferszenarios zu beantworten. Für den sehr vielversprechenden Ansatz, Bayes-Netzwerke zu verwenden, um solche Wahrscheinlichkeiten zu berechnen [2], reicht die Qualität der dafür vorliegenden Daten ebenfalls nicht aus.
Das liegt daran, daß viele der vorhandenen Studien nicht auf eine Weise geplant und durchgeführt worden sind, die der Komplexität des untersuchten Phänomens mit all seinen Variablen einerseits und andererseits der Notwendigkeit, gerade bei einem solch schwierigen Untersuchungsgegenstand ganz besonders detailliert und transparent die Studiendurchführung (“Material und Methoden”) zu beschreiben, Rechnung getragen hat. Hinzukommt, daß es eine erhebliche Heterogenität hinsichtlich der eingesetzten Methoden aber auch der angelegten Standards gibt. Warum das so ist, darüber kann man nur spekulieren, ich persönlich vermute, es könnte daran liegen, das DNA-Transfer Studien scheinbar (!) leicht, schnell und für wenig Geld durchgeführt werden können. Sie reichen aus für eine Bachelor-Arbeit o.ä. und irgendwie und irgendwo kriegt man sie auch publiziert. Ein guter, systematischer Überblick über die gesamte relevante Forschungsliteratur zu DNA-Transfer gab es auch nicht.
Das war nach unserer Bestandsaufnahme in etwa der “status quo” beim forensischen DNA-Transfer, als wir gerade selbst ein Projekt dazu beginnen wollten. Um nicht ‘yet another’ unbrauchbare Studie dazu zu erzeugen, haben wir uns, bevor wir unsere eigentliche Studie geplant haben, daher erst einmal hingesetzt, das Problem dargestellt, über seine Größe gestaunt und dann auch gleich eine mögliche Lösung ersonnen (wir wollten konstruktiv sein) und der Community vorgestellt [1]. Und genau darum wird es im zweiten Teil gehen.
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Referenzen:
[1] Gosch, A., & Courts, C. (2019). On DNA transfer: The lack and difficulty of systematic research and how to do it better. Forensic Science International: Genetics. 40:24-36.
[2] Taylor, D., Samie, L., & Champod, C. (2019). Using Bayesian Networks to track DNA movement through complex transfer scenarios. Forensic Science International: Genetics. 42: 69-80.
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