Ok, soviel zur „transparenteren Berichterstattung“ und zur „strengeren Begutachtung“. Doch ein wichtiger Punkt fehlt noch: die Studienplanung. Es gibt inzwischen zig Studien zum „shedder status“ aber quasi (noch) keine zum DNA-Transfer bei der Handhabung von Schußwaffen. Es gibt also Bereiche im DNA-Transfer-Feld die (über)reichlich und andere die eindeutig unter-erforscht sind. Es wäre also lohnend und im Interesse aller, wenn man sich schon bei der Studienplanung auf Bereiche konzentrieren würde, die noch nicht so gut ausgeforscht sind wie andere. Wie aber soll man solche Bereiche ausfindig machen, wenn man nicht die ganze, inzwischen ja hunderte Studien umfassende DNA-Transfer-Literatur kennt?
Genau, um hier eine Hilfestellung anbieten zu können, haben wir uns die sehr (!) erhebliche Arbeit gemacht, eine Datenbank aufzubauen, in der die wesentliche Information aus allen relevanten DTS enthalten ist. Diese SQL-basierte, durchsuch- und filterbare Datenbank heißt „DNA-TrAC“, ist frei verfüg- und nutzbar und ermöglicht die Abfrage von > 40 Variablen! Hier ein Überblick über ihren Aufbau:
Plant man also gerade eine DTS, kann man DNA-TrAC nutzen, um zu prüfen, ob für diesen Aspekt des DNA-Transfer, für den man sich interessiert, schon viele oder vielleicht noch keine Arbeiten vorliegen.
Doch DNA-TrAC ist nicht nur als Hilfe für eine bessere Studienplanung konzipiert sondern ausdrücklich auch als Tool für forensisch-genetische Sachverständige bei Gericht gedacht: wenn diese mit alternativen Hypothesen konfrontiert sind, die unterschiedliche Instanzen von DNA-Transfer zur Erklärung des Zustandekommens eines Spurenbilds umfassen, können sie DNA-TrAC nutzen, um schnell einen ersten Überblick über die bisher verfügbare Literatur zu den behaupteten Erscheinungsformen von DNA-TrAC zu bekommen.
Ein Beispiel: in einem Fall geht es um möglichen sexuellen Mißbrauch innerhalb einer Familie. Asserviert wurde die Unterwäsche der minderjährigen Geschädigten, auf der Sperma und ein volles DNA-Profil des Vaters festgestellt wurde. Diese Feststellung erfolgte jedoch nach einer Maschinenwäsche. Die Anklage erklärt den Befund durch die Postulierung einer sexuellen Handlung an der Geschädigten, die Verteidigung hingegen als Folge von DNA-Transfer innerhalb der Waschmaschine von der Unterwäsche des Vaters auf die der Geschädigten, die sich beim Waschgang in derselben Maschine befunden hatten. Der Sachverständige wird nun vom Gericht gefragt, ob ein Transfer wie von der Verteidigung behauptet, überhaupt möglich und, falls ja, wie wahrscheinlich er sei. Um dazu etwas vernünftiges und substantielles sagen zu können, muß man erst einmal wissen, ob es Studien gibt, die sich mit dieser Art von DNA-Transfer bereits befaßt haben. Das sagt einem DNA-TrAC sofort und auch, daß die vorhandenen Studien zu dem Schluß kamen, daß ein solcher Transfer tatsächlich möglich ist. Wie wahrscheinlich er ist, ist hingegen mangels Kenntnis aller am Transfer beteiligten Variablen und nach heutigem Kenntnisstand unmöglich zu sagen. Dennoch kann DNA-TrAC* hier die wichtige Funktion erfüllen, die Aussage eines Sachverständigen statt auf dessen persönliche und vielleicht durch ein unvollständiges Wissen der relevanten Publikationen gebiaste Meinung auf tatsächlich publizierte, einschlägige Evidenz zu gründen. Das ist gut und wichtig aber letztlich nur ein Provisorium, eine Zwischenstufe auf dem Weg zu einer von uns und anderen Gruppen geforderten Datenbank, die alle DNA-Transfer-Daten aus allen DTS enthält und die in ferner Zukunft vielleicht durch Integration entsprechender Rechenmodelle [2] tatsächlich die Ausgabe finiter und mit bekanntem Fehlerbereich ausgestatteter Wahrscheinlichkeiten für konkrete DNA-Transferszenarien gestatten würde. Das wäre der „heilige Gral“ der forensischen Analyse von DNA-Transfer.
Zusammenfassung: DNA-Transfer ist ein hochkomplexes, schwer zu erfassendes aber für die forensische Berichterstattung und letztlich die Strafjustiz immer wichtiger werdendes Thema, das gewissermaßen einen Fokuswechsel in der forensisch-molekularbiologischen Analyse von Spurenbildern von der Individualisierung hin zur Kontextualisierung markiert: in einer Zeit, in der immer geringere Mengen an DNA noch gefunden, analysiert und zuverlässig einer Person zugeordnet werden können, die Individualisierung also zusehends trivial wird, nimmt die Beantwortung der Frage, wie die DNA dorthin gekommen ist, wo man sie gefunden hat, stetig an Bedeutung zu. Leider sind die aus der derzeit verfügbaren Forschungsliteratur zu extrahierenden Daten nicht von ausreichender Qualität, um mittels mathematischer Modelle finite Wahrscheinlichkeiten für DNA-Transfer voraussetzende Hypothesen zur Entstehung einer Spur zu berechnen. Sachverständige können hier bislang nur mehr oder weniger begründete Meinungen abgeben. Um DTS mit hoher Qualität zu bekommen und die Hürde davor, ungenügende DTS zu veröffentlichen, zu erhöhen, brauchen wir Richtlinien für die Publikation von DTS auf Seiten der Autoren und den Willen zu strengerer Kontrolle und Kooperation auf Seiten von Gutachtern und Fachzeitschriften. Wenn dann eines Tages ausreichend Studien mit Daten von hoher Qualität und Vergleichbarkeit vorliegen, sollten alle diese Daten in eine einzige, große Datenbank eingepflegt werden, die dann als Grundlage dienen kann, um mittels geeigneter mathematischer Modelle in Frage stehende DNA-Transferszenarien in all ihrer Komplexität und mit allen relevanten Variablen abzubilden und Wahrscheinlichkeiten für alternative Hypothesen zu berechnen, was letztlich das ist, was sich die Gerichte wünschen und was auch im Sinne einer objektiven Bewertung von Straftaten und damit der Gerechtigkeit wäre.
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