Als molekulare Ballistik bezeichnen wir die molekularbiologische Untersuchung von Spuren, die bei Schüssen mit Feuerwaffen auf biologische Ziele entstehen. Diese Spuren können z.B. Backspatter (Rückschleuderspuren) oder auch Forwardspatter sein.
Dieses Jahr feiert das Forschungsfeld der molekularen Ballistik, das ich seinerzeit mit einem Kollegen zusammen begründet habe, seinen 10. Geburtstag. Eine gute Gelegenheit also, über aktuelle Forschungsergebnisse zu berichten: Derzeit bearbeiten mein Doktorand und ich ein DFG-gefördertes Projekt, in dem wir verschiedene Aspekte der Spurenentstehung bei Schüssen auf biologische Ziele untersuchen. Eine wichtige Voraussetzung, um Schußszenarien möglichst realistisch nachbilden zu können, war die Entwicklung eines neuen Kopfmodells, das die menschliche Anatomie eines menschlichen Kopfes möglichst gut simuliert.
Ein solches Modell soll aber nicht nur die komplexe und unregelmäßige Form des menschlichen Schädels nachempfinden, es soll auch den „materiellen“ Aufbau widerspiegeln, d.h. das Knochensimulans muß die gleiche Härte und sonstigen physikalischen Eigenschaften aufweisen, wie echter Schädelknochen und im Inneren muß ein Gewebesimulans sein, daß die Ausbildung einer realistischen temporären Wundhöhle durch Wechselwirkung mit dem Projektil gestattet. Außerdem muß natürlich irgendwie echtes Blut und/oder Gewebe enthalten sein, um den Backspatter zu generieren, den wir untersuchen wollen. Dieses sollte aber nicht in flüssiger Form vorliegen (etwa in einem Beutel oder Blister), da es im Hirn auch keine flüssigkeitsgefüllten Hohlräume gibt. Besser wäre eine schwammartige Matrix. Und natürlich sollte es triple-contrast-kompatibel [1] sein.
Und genau so ein Modell zu entwickeln und erfolgreich zu testen, ist uns gelungen [2]. Dafür haben wir uns von einer Spezialfirma Schädelmodelle aus einem besonderen Kunststoffgemisch liefern lassen, der die o.g. Anforderungen erfüllt:
In diese Modelle haben wir unter Einsatz von viel Geduld, Nachtschichten und winziger Hände zunächst mit triple-contrast-Mix dotierte, laminierte und vakuumierte Schwammträger innen an die später zu beschießenden Stellen angeklebt.
Dann wurden in einem eigenen Kessel spezielle ballistische Gelatine, die das weiche Gewebe simuliert, gebraut gekocht
und die präparierten Schädel schließlich damit ausgegossen. Und so sieht nach vielen Stunden Aushärtung im Kühlschrank der fertige Schädel auf dem Beschußgestell dann aus:
Mit einer Kiste voll fertig präparierter Schädelmodelle und einer Hochgeschwindigkeitskamera von „VKT Video Kommunikation GmbH – Technisches Fernsehen“ ausgerüstet sind wir dann in den Beschußkeller des LKA SH eingezogen, um dort unsere experimentellen Beschüsse durchzuführen. Unser Kooperationspartner und Sachverständiger für Waffen und Munition hat eine 9mm-Pistole und eine Flinte mit Flintenlaufgeschossen mitgebracht. Mit diesen Waffen wurden aus unterschiedlichen Winkeln und an unterschiedliche Stellen des Schädels aufgesetzte sowie Schüsse aus geringer Entfernung (ca. 10 cm) abgegeben. Der Schußvorgang wurde mit 40.000 Bildern pro Sekunde gefilmt. Nach dem Schuß wurde das beschossene Modell zunächst in Augenschein genommen und photodokumentiert (bzw. zusammengekehrt ;)). Außerdem wurden Spuren von Backspatter am Schützen, der Schußhand und natürlich der Waffe dokumentiert und von der Waffe in einem eigens eingerichteten, mobilen Labor abgerieben. Die Waffen wurden anschließend mit einem speziellen Verfahren gesäubert und wieder komplett DNA-frei gemacht, um sie für den nächsten Schuß vorzubreiten. Nicht völlig zerstörte Schädelmodelle wurden wieder eingepackt und ins Institut zurückgebracht, wo mein Doktorand sie zunächst geröntgt und anschließend eröffnet und den Gelatinekern in 1 cm dicke Scheiben lamelliert hat. Die einzelnen Scheiben hat er gescannt, um daraus ein Wundprofil des jeweiligen Schusses zu erzeugen:
Für die Erzeugung eines Wundprofils wird auf der X-Achse die Länge des Wundkanals (also der Pfad den das Geschoss durch das Modell gegraben hat) und auf der Y-Achse ein Maß für die Größe der temporären Wundhöhle aufgetragen (kann man sich hier ansehen). Aus einem solchen Profil lassen sich dann verschiedene wundballistische Erkenntnisse ziehen.
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