All diese vielen verschiedenen Ansätze, bei denen mittels verschiedenster Methoden ganz unterschiedliche molekulare Spezies untersucht werden, dienen also der Erschließung von forensisch relevanter Information die in biologischem Material verborgen ist und wichtige bis entscheidende Hinweise zu Beteiligten an und Ablauf von Straftaten liefern kann. Indem wir durch diese Methoden also die Zellen selbst zu Zeugen machen, tragen wir zu einer objektiven und möglichst rein evidenzgestützten Aufklärung und Beurteilung von Verbrechen bei.
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Zum Schluß entwerfe ich einmal einen hypothetischen Fall, den Ermittler und forensische Wissenschaftler der Zukunft (und in einer besseren Welt mit wesentlich besserer Förderung unserer Forschung) unter Einsatz moderner kontextualisierender Verfahren lösen könnten:
Der Fall: In einem Waldstück in der Nähe der Stadt A wird eine weibliche Leiche gefunden. Sie hat eine Schußverletzung im Kopf. Es gibt keine Zeugen, keine Waffe, kein Projektil und keine sonstigen Anhaltspunkte zur Tat in der Umgebung.
Die Ermittlung: Die Leiche wird in der Rechtsmedizin obduziert, es werden am Körper Proben an verschiedenen Stellen genommen, u.a. im Urogenitalbereich. Es werden auch Proben von Erdresten an den Schuhsohlen gesichert. Blut- und Urinproben gehen in die Toxikologie. Die Rechtsmediziner stellen Tod durch Kopfschuß fest, das Projektil ist im Kopf zersplittert und nicht auswertbar. Es gibt außerdem Anzeichen für Vergewaltigung. Die Toxikologen finden nichts. Keinen Alkohol, keine Drogen oder toxische Substanzen.
Die forensischen Genetiker erstellen zunächst ein DNA-Profil des Opfers. In einer Vermißtendatenbank wird man fündig, da die Eltern des Opfers, die es als vermißt gemeldet haben, bereits ihre DNA-Profile dort eingestellt haben und der Treffer über Verwandtensuche das Opfer identifiziert. In den Vaginalabstrichen finden die Genetiker ein Mischprofil und können das DNA-Profil einer männlichen Person, vermutlich des Täters, ableiten. Die Mischung, wie sie mittels RNA-Analyse feststellen, besteht aus Sperma des Täters und Blut und Vaginalsekret des Opfers. Es stellt sich dann heraus, daß der Täter noch nicht in der DNA-Datenbank des BKA gespeichert ist, es gibt keinen Treffer, man kommt also nicht weiter. Die forensischen Genetiker führen daraufhin eine FDP-Analyse und eine Methylierungsanalyse durch (das geht gleichzeitig, sie haben ja ein NGS-Gerät) und erhalten gute Schätzungen zu Haut-, Haar- und Augenfarbe sowie zur biogeographischen Herkunft des Täters (in der Zukunft ist das natürlich selbst in Deutschland erlaubt), außerdem schätzen sie sein Alter auf 2 Jahre genau ab. Als nächstes analysieren sie die RNA aus Blutspuren von der Kleidung des Opfers, die vermutlich durch die Schußverletzung dorthin gelangten. Sie errechnen daraus, daß die Tat 12 Tage zurückliegt und nachts zwischen 2 und 6 Uhr stattfand. Anschließend nehmen sie sich die Erde von den Schuhen vor und sehen sich das Mikrobiom darin an. Sie vergleichen seine Zusammensetzung mit der aus einer Erdprobe vom Auffindeort der Leiche und sehen, daß sie nicht zusammenpassen. In der Zukunft gibt es forensisch-mikrobiomische Datenbanken, in denen viele Tausende Mikrobiom-Sequenzdaten zusammen mit ihren Fundorten gespeichert sind. So kann man das Mikrobiom aus einer Spur einem bestimmten Ort zuordnen. Mittels dieser Datenbanken finden die forensischen Genetiker heraus, daß die Erde an den Schuhen der Leiche zu einer Gegend in der Nähe der Stadt B passt.
Mit dem Wissen um Herkunft, Aussehen und Alter des Täters wird nun in Stadt B klassisch-polizeilich ermittelt. Nach einiger Zeit wird ein möglicher Verdächtiger ausfindig gemacht, der für den möglichen Tattag und –uhrzeit auch kein Alibi hat. Die Polizei konfrontiert ihn und erhält eine DNA-Probe von ihm: das Profil paßt zum Spermaprofil aus der Leiche. Der Verdächtige räumt ein, daß er Sex mit dem Opfer gehabt habe, man sich danach aber getrennt habe. Die Tat habe er nicht begangen. Dennoch wird seine Wohnung durchsucht. Man findet in einem Geheimfach eine blankgeputzte Waffe und in einem Altkleidersack im Keller eine alte Jeansjacke, an deren Ärmel winzige backspatterverdächtige Flecken sichtbar sind. In einer Tasche der Jacke findet sich eine kleine Plastikflasche mit Flüssigkeitsresten. Der Verdächtige gibt zu, daß die Waffe ihm gehört, die DNA, die außen an der Waffe haftet, paßt zu ihm. Die Molekularballistiker nehmen dann Proben aus dem Inneren der Waffe und von den backspatterverdächtigen Spuren an der Jacke. Sie weisen im Inneren der Waffe und in den Spuren von der Jacke die DNA des Opfers und die RNA seines Hirngewebes nach.
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