Seit den 80er-Jahren besteht die wichtigste Aufgabe der forensischen DNA-Analyse darin, zu klären, von welcher Person ein bestimmtes biologisches Material oder eine Spur, das im Zusammenhang mit einer Straftat gesichert wurde, stammt. Das wird auch als Individualisierung, also die Zuordnung einer Spur zu einem bestimmten Individuum bezeichnet. In der Interpretationshierarchie biologischer Evidenz rangiert man damit auf der Sub-Quellenebene.

In einem bekannten Lehrbuch der Rechtsmedizin steht jedoch, daß biologische Spuren

sehr kleine Antragungen von Blut, Sekreten oder Gewebeteilen an Personen oder Sachen [sind], die einen Rückschluss auf die handelnden Personen (z.B. Täter oder Opfer) oder auf einen Handlungshergang (z.B. Straftat) gestatten.“ („Praxis Rechtsmedizin“, B. Madea)

In dieser Definition ist also neben dem Rückschluß auf die handelnde Person auch die Handlungsebene, also die Möglichkeit der Kontextualisierung, als Einordnung einer Spur in ihren Entstehenskontext bereits inbegriffen. (Übrigens: In diesem Artikel und wie immer, wenn es um forensische Genetik/Molekularbiologie geht, meine ich „biologische Spur“, wenn ich von Spur spreche.)

Obwohl der Aspekt der Individualisierung natürlich sehr wichtig ist – wie soll man eine Straftat aufklären, wenn man nicht weiß, wer daran beteiligt war? – bemerke(n viele Kollegen, mit denen ich darüber gesprochen habe und) ich seit Längerem schon eine „Perspektivverschiebung“ sowohl in der forensisch-molekularbiologischen wissenschaftlichen Community und Literatur als auch bei der Diskussion von forensisch-molekularbiologischen Beweismitteln bei Gericht fest.

Das hat damit zu tun, daß es mit immer sensitiveren und robusteren Methoden (Direct-PCR, verbesserte Multiplex-STR-PCR-Kits, neue Low-Template(LT)-DNA-Kniffe bis hin zur Einzelzellanalyse) und besseren Datenanalyse-Tools (Einbeziehung von Allelausfällen (drop-outs), bessere Schätzung der Mitverursacheranzahl bei Mischspuren und natürlich die mächtigen vollkontinuierlichen, probabilistischen Softwares zur Berechnung von Likelihood-Ratios (LR), die die gesamte Information eines EPGs einbeziehen können) in immer mehr Fällen gelingt, eine Spur zu individualisieren bzw. eine Person als Mitverursacher einer Spur festzustellen. Klingt erstmal gut, aber genau das reicht häufig nicht mehr. Denn ironischerweise versetzen uns die gerade aufgezählten Verbesserungen unserer Werkzeuge auch und überhaupt erst in die Lage, biologisches Material von Personen nachzuweisen, das lediglich durch indirekten Kontakt mit 2 oder sogar mehr Zwischenstationen und eben ohne Tatbezug an z.B. einen tatrelevanten Gegenstand gelangt ist (s. DNA-Transfer). Und während so die bloße Zuordnung eines DNA-Profils zu einer Person, ich will nicht sagen: nahezu trivial ist aber doch immer häufiger gelingt und dann auch so gut wie nie erfolgreich bestritten wird (wegen der extrem geringen und genau berechenbaren Irrtumswahrscheinlichkeiten der Methode), tritt die Frage, wie denn das zur Person X passende Material dorthin gelangt ist, von wo man es gesichert hat, immer mehr in den Vordergrund. Mit anderen Worten die Frage, ob die (auch von einem Verteidiger nicht bestrittene) Tatsache, daß am Tatort oder tatrelevanten Gegenstand oder sogar an/in einer geschädigten Person gesichertes Material von Person/Mandant X stammt, bereits ausreicht, um Person/Mandant X in einen kausalen Kontext mit der Begehung der Tat zu bringen oder ob es für diese Tatsache alternative Erklärungsmöglichkeiten gibt, für die dann häufig DNA-Transfer angenommen werden muß.

Wenn es also früher in der Regel noch ausgereicht hat, zu zeigen, daß eine tatrelevante Spur sicher von einer bestimmten Person stammt, um diese Person in Zusammenhang mit einer Tat zu bringen, so ist die Individualisierung einer Spur zwar auch heute noch sehr wichtig, aber eben keineswegs mehr in allen Fällen alleine hinreichend, um diesen Zusammenhang zu belegen. Dazu, wie man mit der Einbeziehung von DNA-Transfer bei der Erklärung und Bewertung möglicher alternativer Szenarien bei der Entstehung von Spuren an tatrelevanten Elementen umgehen kann, sowie zum heutigen Wissensstand und zur Optimierung künftiger Forschung, habe ich schon einiges aufgeschrieben.

Über diese überaus wichtige und immer wichtiger werdende und häufiger gestellte Frage hinaus, wie eine bestimmte Spur an einen Tatort /-gegenstand gelangt ist, lassen sich jedoch noch eine ganze Reihe weitere kontextuelle Details durch forensisch-molekularbiologische Analysen aufdecken. Theoretisch zumindest, denn viele dieser Ansätze sind – trotz vielversprechender Forschungsergebnisse – noch nicht routinetauglich. Diese Details umfassen z.B. Zeitpunkt und Ursache des Todes einer Person, den Zustand tatbeteiligter Personen und ihr Aussehen und Alter, die Tatzeit, den Ort, an dem und die Art und Weise, wie eine Tat verübt wurde, bzw. was während der Tatzeit getan wurde. All diese wichtigen Informationen sind auf die ein oder andere Weise in biologischen Strukturen, deren Mustern, Verteilungen, Zuständen und Zusammensetzungen kodiert und in unserer Forschung streben wir an, diese Information auslesen zu lernen. Natürlich können auch andere forensische, z.B. rechtsmedizinische, toxikologische, mikrobiologische, biochemische u.a. Untersuchungsformen solche und andere wichtige kontextrelevante Informationen liefern, woraus wieder die erhebliche Bedeutung transdisziplinärer forensisch-wissenschaftlicher Analysen zur evidenzgestützten Tatrekonstruktion erhellt.

Im Rahmen meiner beiden Forschungsschwerpunkte „forensische RNA-Analyse“ und „molekulare Ballistik“ versuche auch ich, genau zu diesem forensischen Erkenntnismodus beizutragen:

Wie in inzwischen einer ganzen Reihe von Artikeln auch in diesem Blog beschrieben, sind gerade die Anwendungsmöglichkeiten der forensischen Analyse von RNA (mRNA und micro-RNA) besonders interessant bei der Spurenkontextualisierung. Besonders bekannt und inzwischen auch in akkreditieren Routineuntersuchungen im Einsatz ist natürlich die RNA-basierte Identifikation von Körperflüssigkeiten (BFI) und Organgeweben (OTI), wodurch sich wichtige Aspekte einer Tat nachweisen lassen, z.B. die Schwere einer Verletzung anhand der Spur selbst oder aus welchen Komponenten eine komplexe Mischspur besteht, die mittels DNA-Analyse nicht sinnvoll untersucht werden können. Aber auch die RNA-basierte Messung von Zeitpunkten und Zeitverläufen kann wesentliche Informationen zum Verständnis eines Tathergangs beitragen. Zum Beispiel die  Abschätzung des Alters (also der Liegezeit) einer Spur und damit meist der Zeit, die seit einer Tat vergangen ist, oder im Sinne eines „molekularen Alibis“, die Tageszeit (nachts, morgens, mittags, nachmittags), zu der eine Spur gelegt wurde (Depositionszeit), oder das Alter einer Wunde und damit den ungefähren Zeitpunkt ihrer Beibringung etwa bei einer geschädigten Person, die nicht reden kann oder will oder das post-mortem-Intervall (PMI), also die Zeit, die seit dem Tod einer Person verstrichen ist oder das Alter einer von einer Leiche eingesammelten Puppe einer leichenbesiedelnden Insektenart und damit – zurückgerechnet – den frühesten möglichen Todeszeitpunkt. Forensische RNA-Analyse wurde auch schon eingesetzt, um bei der Unterscheidung morphologisch schwer abgrenzbarer Todesursachen zu helfen, z.B. zwischen Tod durch Hypoxie und mechanischer Asphyxie u.a., oder um diagnostische Hinweise auf das Vorliegen des Plötzlichen Kindstods zu erhalten.

Die oben schon genannte RNA-basierte OTI kann man übrigens auch mit der molekularen Ballistik (MB), meinem anderen Forschungsschwerpunkt, kombinieren, auch dazu gab es hier schon eine Menge zu lesen. Die Erkenntnisse der MB, also die molekularbiologische Analyse von Spuren, die bei Schüssen mit Feuerwaffen auf biologische Ziele entstehen, sollen ihrerseits helfen, diese Spuren zu kontextualisieren, also Rückschlüsse auf den Hergang einer Tat unter Einsatz von Feuerwaffen zu ermöglichen. Zum Beispiel, durch DNA-Analyse der Waffe und des Backspatters, daß eine bestimmte Person mit einer Waffe eine andere Person verletzt oder getötet hat. Und sogar, wenn man RNA-basierte OTI hinzunimmt, an welcher Stelle eine Person getroffen, also wie schwer sie verletzt wurde.

Mit dieser nicht vollständigen Aufzählung will ich es bewenden lassen, da ich denke, daß der Punkt, nämlich das Kontextualisierungspotential der forensischen RNA-Analyse, deutlich geworden ist. Neben der RNA und unter Zuhilfenahme von Techniken wie NGS kann man sich darüber hinaus inzwischen auch das Mikrobiom für forensische Analysen zunutze machen. Z.B. zur Bestimmung des post-mortem-Intervalls (PMI) oder zur Prüfung etwa einer Ortskongruenz: wenn beispielsweise das Mikrobiom in der Erde von den Schuhen einer getöteten Person nicht zum Mikrobiom im Waldboden, auf dem sie gefunden wurde passt, ist sie offenbar nachträglich dorthin verbracht worden.

Und selbst die gute alte DNA kann helfen, kontextuelle Information zu einer Spur zu erhalten. Und damit meine ich nicht nur Anhaltspunkte zum Aussehen und zur biogeographischen Herkunft einer tatbeteiligten Person, die sich, wie hier beschrieben, mittels forensischer DNA-Phänotypisierung (FDP) ermitteln lassen (was jetzt sogar im guten, alten, rückständigen Deutschland erlaubt ist). Mittels epigenetischer Analysen z.B. des Methylierungsmusters der DNA aus einer Spur kann man zudem das biologische Alter der Person, von dem sie stammt, und/oder die Körperflüssigkeit(en), aus denen sie besteht, bestimmen.  Biogeographische und populationsgenetische Herkunftsanalysen lassen sich übrigens auch an nicht-menschlicher DNA durchführen, um etwa im Rahmen von „wildlife forensics“-Untersuchungen bei der Bekämpfung von „wildlife crime“ konfiszierten gewilderten Elefantenstoßzähnen nicht nur die genau Art des Elefanten, sondern mit Glück auch die grobe Gegend, wo er gewildert wurde, bestimmen zu können.

In letzter Zeit gab es sogar ein paar Ideen zur forensischen Proteinanalyse, darunter die Möglichkeit, aus der Aminosäureabfolge im Keratin in Haaren, die sich aufgrund genetischer Variabilität zwischen Menschen unterscheiden kann, eine Person zu identifizieren. Proteomische Analysen bieten sich generell auch an, wenn die DNA in Spuren schon zu degradiert oder zu wenig ist oder von vorneherein gar nicht vorhanden war.

All diese vielen verschiedenen Ansätze, bei denen mittels verschiedenster Methoden ganz unterschiedliche molekulare Spezies untersucht werden, dienen also der Erschließung von forensisch relevanter Information die in biologischem Material verborgen ist und wichtige bis entscheidende Hinweise zu Beteiligten an und Ablauf von Straftaten liefern kann. Indem wir durch diese Methoden also die Zellen selbst zu Zeugen machen, tragen wir zu einer objektiven und möglichst rein evidenzgestützten Aufklärung und Beurteilung von Verbrechen bei.

___

Zum Schluß entwerfe ich einmal einen hypothetischen Fall, den Ermittler und forensische Wissenschaftler der Zukunft (und in einer besseren Welt mit wesentlich besserer Förderung unserer Forschung) unter Einsatz moderner kontextualisierender Verfahren lösen könnten:

Der Fall: In einem Waldstück in der Nähe der Stadt A wird eine weibliche Leiche gefunden. Sie hat eine Schußverletzung im Kopf. Es gibt keine Zeugen, keine Waffe, kein Projektil und keine sonstigen Anhaltspunkte zur Tat in der Umgebung.

Die Ermittlung: Die Leiche wird in der Rechtsmedizin obduziert, es werden am Körper Proben an verschiedenen Stellen genommen, u.a. im Urogenitalbereich. Es werden auch Proben von Erdresten an den Schuhsohlen gesichert. Blut- und Urinproben gehen in die Toxikologie. Die Rechtsmediziner stellen Tod durch Kopfschuß fest, das Projektil ist im Kopf zersplittert und nicht auswertbar. Es gibt außerdem Anzeichen für Vergewaltigung. Die Toxikologen finden nichts. Keinen Alkohol, keine Drogen oder toxische Substanzen.

Die forensischen Genetiker erstellen zunächst ein DNA-Profil des Opfers. In einer Vermißtendatenbank wird man fündig, da die Eltern des Opfers, die es als vermißt gemeldet haben, bereits ihre DNA-Profile dort eingestellt haben und der Treffer über Verwandtensuche das Opfer identifiziert. In den Vaginalabstrichen finden die Genetiker ein Mischprofil und können das DNA-Profil einer männlichen Person, vermutlich des Täters, ableiten. Die Mischung, wie sie mittels RNA-Analyse feststellen, besteht aus Sperma des Täters und Blut und Vaginalsekret des Opfers. Es stellt sich dann heraus, daß der Täter noch nicht in der DNA-Datenbank des BKA gespeichert ist, es gibt keinen Treffer, man kommt also nicht weiter. Die forensischen Genetiker führen daraufhin eine FDP-Analyse und eine Methylierungsanalyse durch (das geht gleichzeitig, sie haben ja ein NGS-Gerät) und erhalten gute Schätzungen zu Haut-, Haar- und Augenfarbe sowie zur biogeographischen Herkunft des Täters (in der Zukunft ist das natürlich selbst in Deutschland erlaubt), außerdem schätzen sie sein Alter auf 2 Jahre genau ab. Als nächstes analysieren sie die RNA aus Blutspuren von der Kleidung des Opfers, die vermutlich durch die Schußverletzung dorthin gelangten. Sie errechnen daraus, daß die Tat 12 Tage zurückliegt und nachts zwischen 2 und 6 Uhr stattfand. Anschließend nehmen sie sich die Erde von den Schuhen vor und sehen sich das Mikrobiom darin an. Sie vergleichen seine Zusammensetzung mit der aus einer Erdprobe vom Auffindeort der Leiche und sehen, daß sie nicht zusammenpassen. In der Zukunft gibt es forensisch-mikrobiomische Datenbanken, in denen viele Tausende Mikrobiom-Sequenzdaten zusammen mit ihren Fundorten gespeichert sind. So kann man das Mikrobiom aus einer Spur einem bestimmten Ort zuordnen. Mittels dieser Datenbanken finden die forensischen Genetiker heraus, daß die Erde an den Schuhen der Leiche zu einer Gegend in der Nähe der Stadt B passt.

Mit dem Wissen um Herkunft, Aussehen und Alter des Täters wird nun in Stadt B klassisch-polizeilich ermittelt. Nach einiger Zeit wird ein möglicher Verdächtiger ausfindig gemacht, der für den möglichen Tattag und –uhrzeit auch kein Alibi hat. Die Polizei konfrontiert ihn und erhält eine DNA-Probe von ihm: das Profil paßt zum Spermaprofil aus der Leiche. Der Verdächtige räumt ein, daß er  Sex mit dem Opfer gehabt habe, man sich danach aber getrennt habe. Die Tat habe er nicht begangen. Dennoch wird seine Wohnung durchsucht. Man findet in einem Geheimfach eine blankgeputzte Waffe und in einem Altkleidersack im Keller eine alte Jeansjacke, an deren Ärmel winzige backspatterverdächtige Flecken sichtbar sind. In einer Tasche der Jacke findet sich eine kleine Plastikflasche mit Flüssigkeitsresten. Der Verdächtige gibt zu, daß die Waffe ihm gehört, die DNA, die außen an der Waffe haftet, paßt zu ihm. Die Molekularballistiker nehmen dann Proben aus dem Inneren der Waffe und von den backspatterverdächtigen Spuren an der Jacke. Sie weisen im Inneren der Waffe und in den Spuren von der Jacke die DNA des Opfers und die RNA seines Hirngewebes nach.

In der Zwischenzeit haben die Toxikologen die Urin- und Blutproben des Opfers den forensischen Genetikern übergeben und dafür die Flasche mit den unbekannten Flüssigkeitsresten erhalten. Diese analysieren und identifizieren sie schließlich als ein k.o.-Mittel. Die Genetiker indessen weisen im Blut RNAs nach, die in Folge metabolischer Stoffwechselprozesse gebildet werden, die auf die Einnahme genau jenes k.o.-Mittels hinweisen.

Die Auflösung: Am Ende werden alle Erkenntnisse, Beweise und Analyseergebnisse zusammengetragen und integriert und folgende, evidenzgestützte Hypothese zum Hergang formuliert:

Am x.x. um ca. X Uhr verabreichte der Täter dem Opfer in einer Discothek in B. ein k.o.-Mittel, brachte sie in ein Waldstück und vergewaltigte sie dort. Möglicherweis kam das Opfer zu sich und/oder begann, sich zu wehren, so daß der Täter es mit seiner mitgeführten Waffe durch einen Kopfschuß aus der Nähe tötete. Die Leiche brachte er in das Waldstück in der Nähe von A. und ließ sie dort liegen.

Zeugen gab es keine. Aber Zellen.

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Kommentare (9)

  1. #1 zimtspinne
    19/02/2020

    @ Cornelius

    Ich bin jetzt noch am Anfang deines fiktiven Falles, habe dazu aber schon mal zwei Fragen, bevor die wieder in der Versenkung des Vergessens verschwinden:

    Kapitalverbrechen (also Mord- und Totschlag, Vergewaltigung, Folter, Ritualmord* etc) sind ja sehr oft Beziehungstaten.
    Täter und Opfer kennen sich und haben einen Bezug zueinander; haben vielleicht gemeinsame Umfelder – macht das eine DNA Verkruschelei nicht allgemein sehr wahrscheinlich bei genau diesen Straftaten (mehr als bei anderen Delikten, wo Täter und Opfer nicht so oft einen engen Bezug zueinander haben oder sich überhaupt kennen)?
    Also da fielen mir als Strafverteidigen dann gleich viele Möglichkeiten ein, wie Spuren des Tatverdächtigen an den Tatort oder das Opfer gelangt sein könnten.
    Das muss ja dann alles puzzleartig zusammengesetzt werden, bis es wirklich überzeugend ist, dass Spuren X, Y, Z nur in Zusammenhang mit genau dieser Tat an den Tatort/Opfer gelangt sein können und nicht anderweitig.

    Zu deinem Fall:
    ähm äh, Vergewaltigung im Wald und erschossen……

    Von “Lustmord” gehe ich da mal nicht aus, sehr unwahrscheinlich zumindest,
    eher schon Vertuschungsmord, wäre die Leiche dann nicht aber gut versteckt worden und nicht einfach nur erschossen und liegengelassen?

    Am ehesten würde ich noch darauf schließen, dass der Täter Waffenbesitzer und Schütze ist (das grenzt die Tätersuche ein) und es für ihn die einfachste Art der Tötung war, da geübt und Waffe dabei.
    Die Vergewaltigung war eher eine Gelegenheitstat, weil, sonst passt das alles nicht so gut zusammen.
    Besitzt jemand illegal eine Schusswaffe (wir sind hier doch in Deutschland oder?) und plant eine Vergewaltigung, würde er sich dafür einen sichereren Ort suchen; Wald und unversteckte Leiche sprechen doch eher für eine Tat im Affekt?
    Jaja, ich weiß schon, dass du jetzt nicht so sehr auf die Aspekte des Motives und Tathintergrundes hinauswolltest, sondern mehr auf den Tathergang und Täterüberführung….. aber ich konnte jetzt einfach nicht anders 😀

    * gibt es Ritualmorde in der Praxis überhaupt, hattest du schon mal so etwas in deiner Laufbahn?

  2. #2 zimtspinne
    19/02/2020

    Korrektur: das Mord- und Totschlag war jetzt falsch, entweder Mord oder Totschlag.

  3. #3 libertador
    20/02/2020

    Es wird hier schön aufgezeigt, dass man bei solchen Schlüssen immer den Kontext berücksichtigen muss. Aber im Beispielfall passt das ja alles wunderbar zusammen. Schwieriger wird es sicher bei uneindeutiger Spurenlage.

    Daneben fand ich einen anderen Punkt ganz interessant:

    Die forensischen Genetiker erstellen zunächst ein DNA-Profil des Opfers. In einer Vermißtendatenbank wird man fündig, da die Eltern des Opfers, die es als vermißt gemeldet haben, bereits ihre DNA-Profile dort eingestellt haben

    Den Punkt finde ich aus Sicht des Datenschutzes bei freiwilliger Abgabe interessant. Sollte die Einwilligung der probengebenden Person ausreichen, wenn dadurch auch die Identifizierung von Angehörigen möglich ist? Wann darf man solche Daten verknüpfen?

    Bei der Identifizierung eines Opfers erscheint es unproblematisch. Wenn aber Zeugen identifiziert werden sollen, dann kann es durchaus heikel werden.

    Wie ist denn der Zugriff auf solche Datenbanken geregelt?

  4. #4 Andinski
    20/02/2020

    Super interessanter Artikel und spannender Fall, der echt plausibel klingt. Etwas stutzig bin ich bei diesem Satz geworden:

    In der Zukunft gibt es forensisch-mikrobiomische Datenbanken, in denen viele Tausende Mikrobiom-Sequenzdaten zusammen mit ihren Fundorten gespeichert sind. So kann man das Mikrobiom aus einer Spur einem bestimmten Ort zuordnen.

    Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich, weil das Mikrobiom viel zu variabel und vor allem zu dynamisch ist. Ich würde schätzen, dass die wechselnden Faktoren, wie Wetter und Jahreszeit, mindestens genauso wichtig wie der Ort sind. Das bedeutet man müsste ständig Proben sammeln um nicht nur eine räumliche Zuordnung sondern auch eine zeitliche Zuordnung treffen zu können…
    Die Aussage “die Erde an den Schuhen des Opfers stammt nicht vom Fundort” ist kein Problem, aber die Identifikation der Stadt, aus der die Erde stammt wird in meinen Augen nicht möglich sein.

  5. #5 zimtspinne
    20/02/2020

    @ Adinski

    über diesen Abschnitt war ich auch gestolpert.
    Zur schnellen Identifizierung und Zuordnung des Opfers sinnvoll, aber rechtfertigt das die Datenbank?
    Wird sie auch für die Ermittlung -> Tätersuche verwendet bzw wie kann sie dabei nützlich sein?

    Ich bin ja eigentlich kein Datenschutzparanoiker, hätte aber schon leichtes Bauchgrummeln, im Falle der Vermissung einer nahestenden Person umgehend mein DNA-Profil erfassen und speichern zu lassen.
    Auch stellt sich dann die Frage, wie nahestehend darfs denn sein, gilt das nur für Verwandte 1. Grades oder könnten auch DNA Profile anderer weiter entferterer Angehörigen eingespeist werden, falls sich die Eltern/Kinder/Geschwister des Opfers beispielsweise weigern oder gerade im Ausland sind etc?
    uff, und da wäre dann auch das Problem, dass bei so einer Datenerfassung alle möglichen lang gehüteten Familiengeheimnisse ans Tageslicht finden – angenommener Vater ist gar nicht biologischer Vater, Kind wurde adoptiert, weiß aber bis zum gewaltsamen Tod eines Elternteils nichts davon und und und….

  6. #6 zimtspinne
    20/02/2020

    Nachtrag – GEschwister sind natürlich Verwandstschaftsgrad 2, hatte ich missverständlich mit zu den 1. Grades dazugepackt.

  7. #7 Andinski
    20/02/2020

    zimtspinne:
    Zur schnellen Identifizierung und Zuordnung des Opfers sinnvoll, aber rechtfertigt das die Datenbank?

    Meine Zweifel bezogen sich auf eine Mikrobiom-Orts-Datenbank, nicht auf eine Personen-DNA-Datenbank. Die wäre deutlich einfacher aber wird so schnell in einem Land wie Deutschland nicht kommen, keine Sorge!

  8. #8 Cornelius Courts
    21/02/2020

    @libertador: “Wie ist denn der Zugriff auf solche Datenbanken geregelt?”

    Das ist die große Frage und gilt natürlich für alle Datenbanken, in die man aus irgendwelchen Gründen genetische Daten einstellt. Ich glaube z.B. nicht, daß die Leute, die ihre Daten in diese genealogische Datenbank eingestellt haben, wußten, daß die Polizei sie nutzen wird, um nach Jahrzehnten einen Mörder zu fassen: https://www.theverge.com/2019/12/10/21005443/golden-state-killer-genetic-database-identity-company-acquisition-crime-scene-dna-data

    Bei Vermisstendatenbanken kommt es halt drauf an, wer sie betreibt und was so in den AGBs drinsteht – kann dann ja jeder mündige Bürger selbst entscheiden, ob er’s macht. S. z.B. die Datenbank von Interpol: https://www.interpol.int/How-we-work/Forensics/DNA

    Fakt ist, daß Datenbanken, v.a. die privaten, kommerziellen, inzwischen von großem Interesse für Ermittler geworden sind. Einige werben sogar damit, daß man durch das Einstellen seiner DNA nicht nur die gewünschte Information zur genetischen Abstammung bekommt , sondern auch der Polizei hilft.
    https://gcn.com/articles/2020/02/20/police-dna-databases.aspx

    ___

    @Andinski: “Die Aussage “die Erde an den Schuhen des Opfers stammt nicht vom Fundort” ist kein Problem, aber die Identifikation der Stadt, aus der die Erde stammt wird in meinen Augen nicht möglich sein.”

    Das scheinen Habtom et al. anders zu sehen. https://www.fsigenetics.com/article/S1872-4973(18)30581-7/fulltext
    Und wie gesagt: mein Fall spielt in einer hypothetischen Zukunft, in der sehr viel mehr Forschung betrieben wird und daher auch genug Daten für eine solche Datenbank vorliegen

  9. #9 zimtspinne
    21/02/2020

    @ Andinski
    Hab dich verwechselt, sorry.

    Vereinfachenderweise könnte man einfach bei Geburt ein DNA Profil erstellen und in die Datenbanken der Polizei einspeisen (und was sich sonst noch anbietet, Krankenkassen, Jugendamt, …).

    Die meisten wirklich schweren Straftaten werden davon aber weiterhin bei der Aufklärung und überhaupt erstmal Kenntnisnahme nicht profitieren.
    Morde – nur schätzungsweise jeder zweite wird aufgeklärt. Ganz miese Statistik.
    Internetkriminalität – DNA-Spuren?
    Der ganze rieisige Bereich sexueller Kindesmissbrauch, insbesondere die häufigste Form innerhalb der Familie – Tabuthema, nahezu kaum jemals überhaupt Anklage.
    Ich weiß nicht mal, ob bei vielen “leichteren” Delikten solche Methoden überhaupt zum Einsatz kommen. Bei schwerer Körperverletzung evtl, bei leichter nicht, weiß ich aus eigener Erfahrung aus dem Bekanntenkreis.