In der Diskussion versteigt sich Louhelainen dann glücklicherweise nicht zu der Folgerung, daß seine Untersuchungen zeigten, daß Kosminski tatsächlich Jack the Ripper gewesen sei oder auch nur, daß die Sperma-Spur von ihm oder das Blut von C. Eddowes stamme. Ich denke, er wußte, daß seine Daten das nicht hergeben. Er sagt lediglich, daß er ein paar interessante, teils neue Methoden zur Sicherung und Analyse alten, angegriffenen und kontaminationsgefährdeten Spurenmaterials vorgestellt habe und daß seine Erkenntnisse die These stützten, daß der Schal nicht C. Eddowes sondern dem Mörder gehört habe, da er nicht nur viel zu teuer war, als daß die arme Frau ihn sich hätte leisten können, sondern auch, weil die nicht wasserfeste Farbe darauf hinweist, daß er als über der übrigen Kleidung zu tragendes Alltagsaccessoire ungeeignet gewesen wäre.
Tja… was machen wir nun daraus? Ich stelle zunächst einmal fest, daß einige der zu Beginn genannten offenen Fragen nun geklärt sind. Andererseits bleibt die wichtige Frage offen, warum (immer noch) nicht die Analyse mittels NGS fortgesetzt worden ist. Damit ließen sich sehr wahrscheinlich auch die mtDNA-Daten verbessern, denn bisher sind die mtDNA-Ergebnisse sehr problematisch und legen bei vorsichtiger Interpretation eher den Ausschluß Kominsikis als Spurenleger nahe.
Warum Louhelainen bei der FDP-Analyse dann auf eine selbstgemachte SNP-Multiplex zurückgegriffen hat, statt die gut etablierte und validierte HIrisplex-Methode vom Erasmus-Medical Center [2] zu verwenden, das auch einen frei zugänglichen Auswertealgorithmus anbietet, erschließt sich mir nicht. So bleibt undurchsichtig, wie die SNP-Daten interpretiert wurden und wie groß die Fehlerwahrscheinlichkeit der gemachten Vorhersagen ist. Und was ist überhaupt aus der Hautfarbe geworden? Warum gibt es keine Angaben dazu, obwohl die SNPs dazu mitgetestet wurden?
Ob es, darüber hinaus, realistisch ist, daß wirklich Jack the Ripper beim Morden mit einem teuren, seidenen Frauenschal ‘rumgelaufen ist und so unvorsichtig war, ihn am Tatort zu hinterlassen, darf vermutlich bezweifelt werden. Auch daß er Sperma-Spuren darauf hinterlassen haben soll, paßt nicht zu seiner Vorgehensweise in den anderen Mordfällen, bei denen es sich eben nicht um „normale“ Sexualdelikte handelte. Und die Frage, warum eigentlich ein Polizist seine Streife verlassen und ein Beweisstück vom Tatort einer der berüchtigsten Mordserien Englands stehlen sollte, ist sicher auch zu stellen.
Mit meinen Kritik und Bedenken bin ich nicht allein. D. Rossmo hat bereits kurz nach Erscheinen des Artikels einen kritischen Kommentar geschrieben und im gleichen Journal veröffentlicht, in dem er auf weitere, nicht methodische sondern v.a. Ermittlungsergebnisse der damaligen Zeit betreffende Schwachpunkte von Louhelainens Arbeit eingeht und u.a. auch die Herkunft des Schals in Zweifel zieht [3].
Fazit: War also wirklich Aaron Kosminski Jack the Ripper? Wahrscheinlich nicht. Jedenfalls ist Louhelainens Arbeit nicht geeignet, diese Hypothese zu stützen. Wenigstens haben die Ripperologen nun immer noch ein Hobby 😉
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Nachtrag am 24.09.2024: Die Zeitschrift Journal of Forensic Science, in der Louhelainens Arbeit erschienen war, hat nun ein “Expression of Concern” veröffentlicht, d.h. die Zeitschrift meldet Zweifel an den Ergebnissen an und distanziert sich von der Arbeit (das ist eine Stufe vor “Retraction”, dem Zurückziehen eines Artikels). Vorausgegangen war dem ein Briefwechsel zwischen Kritikern von Louhelainens Arbeit (s. auch [3]) und ihm selbst, so daß das Journal schließlich um die Original-Daten bat, um die Sache unabhängig prüfen zu können. Diese, so Louhelainen, existierten nicht mehr, eine nachträgliche Prüfung könne also nicht mehr erfolgen.
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Referenzen:
[1] Louhelainen, J., & Miller, D. (2020). Forensic investigation of a shawl linked to the “Jack the Ripper” murders. Journal of forensic sciences, 65(1), 295-303.
[2] Chaitanya, L., Breslin, K., Zuñiga, S., Wirken, L., Pośpiech, E., Kukla-Bartoszek, M., … & Kayser, M. (2018). The HIrisPlex-S system for eye, hair and skin colour prediction from DNA: Introduction and forensic developmental validation. Forensic Science International: Genetics, 35, 123-135.
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